Standpunkt – Präs. Walter Dorner: ELGA: koste es, was es wolle?

25.11.2011 | Standpunkt

(c) Bernhard Noll

Der Druck auf die Staaten in der Euro-Zone, rasch und konsequent gegen die Schuldenpolitik vorzugehen, wächst unaufhörlich. Das gilt mittlerweile auch für die Staaten, deren wirtschaftliche Bonität bisher außer Zweifel gestanden ist. Sparen ist angesagt.

Einmal mehr sieht sich Österreich als Insel der Seligen: Trotz der exorbitant hohen Staatsverschuldung wird bei uns der Sparstift erst 2013 angesetzt. Wobei: Großprojekte scheinen davon ausgenommen, denn rund 20 Milliarden Euro sind vorgesehen, um die entsprechenden Tunnel unter dem Semmering, der Koralm und dem Brenner bauen zu können. Erfahrungen aus ähnlichen Großprojekten lassen vermuten, dass hier noch mit erheblichen Kostensteigerungen zu rechnen ist.

Investiert wird auch im Gesundheitsbereich – allerdings in ein Projekt und eine Technologie, die mehr als hinterfragenswert sind: Gemeint ist die elektronische Gesundheitsakte. Eine Firma will hier eine veraltete Technologie auf den Markt bringen. Schon jetzt kostet allein der Betrieb der ELGA-GmbH mehrere Millionen Euro pro Jahr. Das Gesundheitsministerium hat seine ursprüngliche Kostenschätzung – allein für die Investitionskosten – für ELGA von 30 Millionen Euro auf 130 Millionen Euro erweitert. Das lässt Schlimmes erahnen.

Dadurch, dass man Fehlmeinungen immer wieder erneuert, kommen sie der Wahrheit auch nicht näher. Die beiden – angeblichen – Kernprobleme, die der Gesundheitsminister für die Notwendigkeit von ELGA ins Treffen führt, lassen sich auf wesentlich einfachere und effizientere Weise beheben. Um die Patienten vor unnötigen Medikamenten-Wechselwirkungen zu bewahren, hat schon heute jeder Arzt auf seinem PC eine entsprechende Software installiert. Und wenn man die Menschen vor – vermeintlich – unnötigen Krankenhausaufenthalten bewahren will, sollte man rasch und ohne zu zögern daran gehen, den niedergelassenen Bereich zu stärken: mit einer entsprechenden Aufstockung der Zahl der Kassenärzte, mit einer endlich zeitgemäßen Ausstattung des kassenärztlichen Leistungskatalogs. All das käme letzten Endes auch bei einer flächendeckenden Umsetzung immer noch billiger als das Monster-Prestigeprojekt ELGA, von dem man nicht wirklich weiß, was es kosten wird.

Eigenartigerweise gibt es Geld – zwar nicht dort, wo man es braucht – aber für ELGA ist jedenfalls Geld vorhanden. Kein Geld gibt es für die flächendeckende kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung im niedergelassenen Bereich, kein Geld gibt es für die Praxis-orientierte und dringend notwendige Ausbildung in der Lehrpraxis und die Gruppenpraxen oder für längst überfällige medizinische Leistungen nach dem State of the Art auf Kassenkosten. Bei den Spitalsärztinnen und Spitalsärzten wiederum fehlt Geld für Personal, um die Arbeitszeit-Höchstgrenzen einzuhalten, es fehlt Geld für die Aufrechterhaltung der Mindeststandards von Spitälern und für die Nachtdienste – wie etwa aktuell im AKH –, es gibt kein Geld für adäquate Spitalsärzte-Gehälter und es gibt auch kein Geld für die in vielen Häusern dringend notwendige Modernisierung der medizinisch-technischen Ausstattung.

Die Elektronikindustrie jedenfalls bietet bereits jetzt eine sehr einfache und überdies günstige Alternative zu ELGA an: einen Hochleistungs-USB-Stick, auf dem die gesamte Krankengeschichte eines Menschen – inklusive Befunde, Röntgen, CT-Bilder etc. – Platz hat. Preis: vernachlässigbar. Moderne Technologie ist doch einen Versuch wert, oder? Im Übrigen: Großbritannien hat sein ELGA-Projekt verworfen.

Walter Dorner
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2011