Standpunkt – Präs. Walter Dorner: Offene Grenzen

15.08.2011 | Standpunkt

(c) Bernhard Noll

Die Welt ist mobil geworden. Heutzutage ist es fast schon unmöglich, wenn man im Rahmen seiner akademischen Ausbildung nicht eine gewisse Zeit im Ausland verbringt. Die Fachhochschulen haben hier einen überaus pragmatischen Zugang, indem sie Auslands-Semester verpflichtend vorschreiben.

Das Überwinden größerer Distanzen war – jedenfalls während meiner Ausbildung – noch eine große Herausforderung, wie überhaupt das Studieren im Ausland als etwas völlig Exotisches galt – jetzt einmal ganz abgesehen davon, dass man diejenigen, die die finanziellen Mittel für einen Studienaufenthalt im Ausland aufbringen konnten, an einer Hand abzählen konnte.

Die Zeiten ändern sich. Junge Menschen sind in einem noch nie da gewesenen Ausmaß mobil: Das hat Auswirkungen auf ihre Beziehungen, die Familien und nicht zuletzt auch auf den Beruf. Diese Entwicklung macht auch vor der Medizin nicht halt: Pflichtfamulaturen im Ausland sind in nahezu jedem Lebenslauf eines angehenden Mediziners zu finden. Wer nicht die Studienzeit für eine Auslandserfahrung genutzt hat, macht dies oft postpromotionell.

Hier lassen andere Länder – im Gegensatz zu Österreich – das Unmögliche möglich werden, nämlich sofort mit der Facharztausbildung beginnen zu können ohne den Umweg Turnus nehmen zu müssen. Mehr als 2.500 österreichische Jungärztinnen und Jungärzte sind diese versteckte Zugangsbeschränkung umgangen, indem sie ihre Ausbildung in Deutschland absolvieren.

Europa ist offen – die österreichischen Ärztinnen und Ärzte haben die europäische Integration schon längst geschafft.

So wie die ausländischen Spitäler bei uns um Jungärzte werben, wird es über kurz oder lang auch in Österreich soweit sein, dass man sich aktiv um Ärztinnen und Ärzte bemüht; ganz egal, ob es dabei nur um die Ausbildung oder um die Tätigkeit als Arzt im Spital ganz grundsätzlich geht.

Hier ist vor allem die Politik gefragt, die einzelnen Regionen und die jeweiligen Landesfürsten, an denen es in erster Linie liegt, für die entsprechenden Rahmenbedingungen zu sorgen.

Es wird einiger Anstrengungen bedürfen, um die Arbeitssituation von Ärztinnen und Ärzten im niedergelassenen Bereich und auch im Spitalsbereich zu verbessern. Junge Menschen heutzutage sind mobil: Wer hier in Österreich kein überzeugend attraktives Arbeitsangebot vorfindet, sucht solange, bis er etwas Besseres hat. Mobilität ist dabei kein Thema mehr.

Die Situation ist ernst, was sich auch daran zeigt, dass sich inzwischen der Deutsche Bundestag mit dem Thema Arztmangel am Land beschäftigt. Die Geschäftsführer der deutschen Kliniken wiederum geben viel Geld aus für Werbeaktivitäten, mit denen sie nach Ärzten suchen. Für viele österreichische Jungmediziner sind die Arbeitsbedingungen in Deutschland noch immer besser als hier bei uns und trotzdem ist der Ärztemangel vielerorts unübersehbar.

Werden die Arbeitsbedingungen im niedergelassenen Bereich und auch in den Spitälern nicht rasch verbessert, wird es Österreich sein, das in absehbarer Zeit händeringend nach Ärzten sucht.


Walter Dorner

Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2011