Standpunkt – Präs. Walter Dorner: Grenzerfahrung

25.04.2011 | Standpunkt

(c) Bernhard Noll

Die Tatsache, dass sich mehr als 6.000 Ärztinnen und Ärzte an unserer Online-Befragung zum Thema „Burnout“ beteiligt haben, sollte eigentlich – wegen des großen Interesses – Anlass zur Freude sein. Eigentlich. Doch bedauerlicherweise hat die wissenschaftliche Auswertung dieser Daten Erschreckendes zu Tage gebracht: nämlich dass jeder zweite Arzt an seine Grenzen gelangt und daher gefährdet ist, ein Burnout zu erleiden.

Ehrlich gesagt: Mich wundert dieses Ergebnis ja nicht – angesichts der zahlreichen Maßnahmen, die die Politik den Ärzten in den letzten Jahren unter dem Mäntelchen der Effizienzsteigerung aufgebürdet hat. Nun ist es erwiesen, dass sich all das tatsächlich auf die Gesundheit derer auswirkt, deren eigentliche Aufgabe es ist, die Gesundheitsprobleme von Anderen zu diagnostizieren und zu behandeln. Es ist paradox. Von Seiten der ÖÄK haben wir nicht nur einmal darauf hingewiesen, dass die Belastbarkeit der Ärzte Grenzen hat.

Die Politik hat sich dieser Problematik bisher noch gar nicht angenommen und keine einzige Umfrage dazu gemacht. Diese von der Uniklinik für Psychiatrie Graz durchgeführte Studie ist – weltweit – überhaupt die erste wissenschaftlich fundierte Untersuchung zu dieser Problematik. Im Übrigen: Der Studie aus den verschiedensten Gründen mangelnde wissenschaftliche Seriosität vorzuwerfen, ist mindestens ebenso unseriös wie der Vorwurf selbst.

Aus den Kommentaren in der Online-Befragung – immerhin haben mehr als 3.500 Ärzte persönliche Anmerkungen darüber gemacht, was sie wirklich belastet – zeigt sich, dass es ganz eindeutig die Rahmenbedingungen sind, die die Ärzte ausbrennen lassen: Im niedergelassenen Bereich ist es die Tatsache der Unternehmerschaft, die enormen Druck verursacht. Im Spital wiederum sind es die Nachtdienste, in denen es kaum noch Ruhephasen gibt. Wer heutzutage im Nachtdienst ist, arbeitet mindestens ebenso viel wie die Kollegen im Tagdienst – mitunter sogar mehr.

Diese Ergebnisse rufen großes Unbehagen bei uns hervor. Und was macht die Politik? Sie setzt den Rotstift an: Im Wiener AKH etwa sollen 30 Diensträder gestrichen werden. Ich höre immer wieder, dass es sogar bei Primararztstellen in renommierten Krankenhäusern kaum noch mehrere qualifizierte Bewerber gibt. Und dass es im ländlichen Raum nahezu unmöglich ist, Stellen von Allgemeinmedizinern nachzubesetzen, muss die betroffene Bevölkerung vielerorts am eigenen Leib erfahren. Wir haben immer davor gewarnt, jetzt ist es offenbar soweit: Der ärztliche Beruf ist unattraktiv (geworden).

Erst wenn größere Regionen in Österreich ohne ausreichende ärztliche Versorgung sind, wenn in den Spitälern die Grundversorgung nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, werden die verantwortlichen Politiker begreifen, dass man die Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit – und zwar sowohl im niedergelassenen Bereich als auch im Spital – verbessern muss.

Und all denjenigen, die sich als die großen Reformer im Gesundheitswesen sehen – speziell bei der aktuellen Diskussion über die Spitäler – sei ins Stammbuch geschrieben, dass Gesundheitspolitik mehr bedeutet als nur den Rechenstift anzusetzen.


Walter Dorner

Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2011