Die Disziplin der Versorgungsforschung ist neu – ihre Anliegen keineswegs. Die Chance: positive Veränderungen im Gesundheitswesen auch politisch voranzutreiben.
Von Ruth Mayrhofer
Mit Versorgungsforschung beschäftigt man sich in Deutschland seit rund sechs Jahren. In Österreich ist dieses Feld so neu, dass es bis dato noch keine einzige heimische Website dazu gibt. Grundsätzlich werden in der Versorgungsforschung die Wirksamkeit von Versorgungsstrukturen und Versorgungsprozessen im Gesundheitswesen unter Alltagsbedingungen untersucht und die Bedingungen des Versorgungssystems analysiert. Die Versorgungsforschung ist somit die wissenschaftliche Basis, um Veränderungen im Gesundheitswesen und deren Auswirkungen zu beschreiben und zu untersuchen. Ergebnisse der Versorgungsforschung sollten Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen sein. Dazu bedarf es der Transparenz und des Wissenschaftstransfers zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik.*
Von „unreflektiert“ zu „zielgerichtet“
Einer der ganz wenigen, die sich hierzulande mit Versorgungsforschung als Disziplin auseinandersetzen, ist der Sozialmediziner, Gesundheitsökonom und Public Health-Experte Univ. Prof. Bernhard Schwarz. „Die meisten Themen, die Versorgungsforschung betreffen, sind Public Health-Themen, die keineswegs neu sind“, erklärt der Experte. Der Patient steht dabei im Mittelpunkt des Geschehens. Die Frage, wie etwa Gesundheitsleistungen beim Patienten ankommen sowie die Bewertung von medizinischen Methoden, die Definition eines medizinischen Leistungsangebots, die Angebotsplanung und makroökonomische Betrachtungen und Analysen werden in Österreich seit Langem von verschiedenen Stellen – vorrangig dabei beteiligt ist das ÖBIG – bearbeitet. Also bloß alter Wein in neuen Schläuchen? – Nicht unbedingt: Zusammengefasst unter dem neuen Titel Versorgungsforschung könnten alle bisherigen und kommenden dahingehenden Anstrengungen kanalisiert werden und für den bestmöglichen Einsatz vorrangig öffentlicher Mittel für Gesundheitsleistungen sorgen. „Das wurde bisher in Österreich vernachlässigt“, merkt Schwarz kritisch an, „bisher wurde eher unreflektiert in Strukturen investiert.“
Von den Ergebnissen von Versorgungsforschung sind alle Akteure im Gesundheitswesen betroffen: Ärzte, Apotheken, Pharma- und Medizintechnik-Industrie, die Pflege- und MTD-Berufe. „Alle werden sich auf dieses Thema draufsetzen“, ist Schwarz überzeugt, „denn es geht dabei natürlich auch um Partikularinteressen.“
Obwohl in Österreich die Gesundheitsausgaben nicht übermäßig ansteigen – im Zeitraum von 1990 bis 2008 betrug die Steigerungsrate 2,2 Prozent -, muss man in einem Umfeld von beschränkten Ressourcen vermehrt auf eine vernünftige Leistungssteuerung achten. Ein Beispiel dafür sind die in letzter Zeit viel diskutierten Pläne für „Krankenhaus-Schließungen“ vulgo „Effizienzerhöhungen in Krankenhäusern“, die auf Basis der Analyse der Notwendigkeiten von wohnortnaher beziehungsweise wohnortferner Versorgung in manchen Fällen Sinn machen würden. Ebenso sei die rigide Trennung des stationären und ambulanten Sektors zu überdenken; die Schaffung der Ärzte-GmbHs sieht der Experte als einen ersten wichtigen Schritt in diese Richtung. Aber: „Sinnvolle Politik muss auch sinnvoll verkauft werden“, so Bernhard Schwarz.
Auch dem in Österreich drohenden Ärztemangel könnte mithilfe von Versorgungsforschung – und manch politisch vielleicht unpopulären Mitteln – vorgebeugt werden. Aus Sicht des Sozialmediziners Schwarz wäre damit ein klares Aufzeigen der Defizite und daraus resultierend eine Vermehrung von Ausbildungsplätzen ein erster notwendiger Schritt, der aber genauso eine Aufhebung der Zugangsbeschränkungen an den medizinischen Universitäten nach sich ziehen sollte. „Viele heimische Ärzte gehen mangels Arbeitsmöglichkeiten ins Ausland. Das ist nicht gut. Und wenn Österreich auf den quasi ‚Einkauf‘ ausländischer Ärzte angewiesen ist, wird die Sache auch nicht gerade billiger.“
Die Chance der Versorgungsforschung in Österreich sieht Schwarz in der interdisziplinären Zusammenarbeit, wie sie im Public Health-Bereich bereits heute gang und gäbe ist. „Die Experten sind in Österreich vorhanden. Durch die Versorgungsforschung könnten Public Health-Themen neuen Schwung und frischen Wind bekommen, und das ist auch gut für das Themen-Marketing.“ Aber alle Anstrengungen, so der Fachmann, „werden nichts nützen, wenn sich in der Politik nichts bewegt. Da wird sich viel ändern müssen.“
* Quelle Definition: Clearingstelle Versorgungsforschung NRD/Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung; www.versorgungsforschung.nrw.de
Interview – Vize-Präs. Artur Wechselberger „Weg vom parteipolitischen Kalkül!“ Artur Wechselberger, ÖÄK-Vizepräsident und Präsident der Tiroler Ärztekammer, fordert im Gespräch mit Ruth Mayrhofer, dass auch in Österreich mit wissenschaftlichen Methoden an die Gestaltung des Gesundheitswesens herangegangen wird. Stichwort Partikularinteressen: Wie sieht der Standpunkt der ÖÄK zum Thema Versorgungsforschung aus? Welche Schritte sehen Sie dabei als Standesvertreter als prioritär an? |
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 /10.03.2011