Symposium Medizin & Ethik: Krankheit als Mode-Erscheinung?

25.10.2011 | Politik


Von Birgit Oswald

Die moderne Gesellschaft ist von extremen Haltungen zu Krankheit und Gesundheit geprägt. Werte wie Schönheit und Erfolg verschmelzen immer häufiger zu einem Ideal, für das sogar die eigene Gesundheits aufs Spiel gesetzt wird. Auf diese bedenklichen gesellschaftlichen Veränderungen wies Walter Dorner, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, bei seiner Eröffnungsrede im Zuge des Symposiums „Medizin & Ethik: Krankheit als Lebensstil?“ hin. Dabei seien Parallelen zu Narziss erkennbar, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte. In der Tatsache, dass sich „18-jährige Mädchen zur Matura nicht mehr den Führerschein wünschen, sondern eine Brustvergrößerung“, sieht Dorner ein „deutliches Alarmzeichen“.

Univ. Prof. Hildegunde Piza, Fachärztin für Plastische und Wiederherstellungschirurgie, verwies auf die persönliche Freiheit, die jedem Individuum zustehe und respektiert werden müsse. Dass sich neben der kurativen Medizin längst eine Art „Wunschmedizin“ etabliert habe, zu der auch die Schönheitschirurgie zu zählen sei, bedeute aber nicht, dass Ärzte zu reinen Dienstleistern degradiert werden dürften. Dorner erinnerte an das ärztliche Ethos und forderte die Ärzteschaft auf, ihr Handeln kritisch zu hinterfragen: „Warum verschönert ein Schönheitschirurg? Warum verschreibt ein Arzt Dopingmittel – wissend, dass er damit eventuell einen Menschen ins Unglück stoßen kann?“

Im weiteren Verlauf der Diskussion wies Dorner darauf hin, dass es oft sogar als „schick“ gelte, an einer Krankheit zu leiden. Auch der Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien, Univ. Prof. Ulrich Körtner, griff diesen Gedanken auf und erklärte, dass Krankheit dann zum Lebensstil werde, wenn Gesundheit und Medizin auf eine kultisch-religiöse Ebene gehoben würden. Krankheit als Lebensstil zu definieren, hielt Univ. Prof. Michael Musalek, Vorstand des Anton-Proksch-Instituts in Wien, für nicht zutreffend: „Das Wort Lebensstil impliziert, dass etwas selbst gewählt wurde. Viele suchen sich ihre Krankheiten aber nicht aus.“

Der große Komplex „Krankheit als Teil des normalen Lebens“ stellte einen weiteren thematischen Schwerpunkt der Veranstaltung dar. Tilman Jens, Autor des Buches „Demenz – Abschied von meinem Vater“, veranschaulichte das Thema am Beispiel seines an Demenz erkrankten Vaters, dem Gelehrten Walter Jens. Der Schriftsteller betonte, wie schwierig es nicht nur für die Familie, sondern auch für die betreuenden Ärzte war, die richtige Diagnose zu akzeptieren. Zu Beginn wurde die Diagnose Depression gestellt, da Walter Jens schon einmal daran erkrankt war. Viele wollten nicht wahrhaben, dass der renommierte Rhetorikprofessor und Literaturhistoriker Walter Jens an Demenz leide.

Seele miteinbeziehen

Der Theologe und Psychotherapeut Arnold Mettnitzer brachte den Aspekt der Seele in die Diskussion ein. Seinen Aussagen zufolge sei der Mensch mehr als eine „triviale Maschine“ und „als beseeltes Wesen immer wieder für eine Überraschung gut, weil in seinem Inneren alles Erlebte gespeichert ist und nur von dorher auch einigermaßen verstanden werden kann“. Folglich sei auch keine Heilungsmethode vorstellbar, die nicht davon ausginge, dass die Wahrheit im Menschen selbst zu finden sei. Eine einseitige Beschäftigung mit der Welt und Vernachlässigung der Seele oder das Umgekehrte führe ins Kranksein. Mettnitzer untermauerte seine Argumentation mit einem Zitat von Hildegard von Bingen: „Wir müssen auf unsere Seele hören, wenn wir gesund werden wollen. Letztendlich sind wir hier, weil es kein Entrinnen vor uns selbst gibt.“ Auch die ehemalige TV-Moderatorin und Ärztin Antje-Katrin Kühnemann betonte diesen Aspekt. Oftmals würden kranke Menschen davon ausgehen, dass Heilung nur von außen kommen müsste. „Viele Menschen denken, wenn mir nicht geholfen wird, dann war ich beim falschen Arzt“, so Kühnemann. Es käme jedoch vielmehr auf das „selber dazu tun“ an, um Heilungsprozesse in Gang zu setzen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2011