Projekt Medpol: Ein Schritt gegen Gewalt

15.07.2011 | Politik

Nach wie vor ein Tabu ist das Thema Gewalt. Mit einer breit angelegten Informations- und Fortbildungsinitiative, im Rahmen derer u.a. Checklisten für die Erfassung von Gewaltfolgen zur Verfügung gestellt werden, will die ÖÄK dem entgegenwirken.
Von Birgit Oswald

Gewalt zeigt sich im ärztlichen Alltag in den unterschiedlichsten Formen: teils offensichtlich als körperliche Verletzungen, teils versteckt als psychosomatische Beschwerden. Das Thema wird immer noch tabuisiert; konkrete Daten zu Opfern und Verletzungen fehlen. Die Österreichische Ärztekammer hat daher eine Initiative ergriffen, im Rahmen derer psychische und physische Gewalt erfasst und langfristig durch gezielte Maßnahmen eingedämmt werden. „Grundsätzlich geht es darum, den Umgang, die Betreuung und die Behandlung von Opfern zu verbessern“, erklärt Jörg Pruckner, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin und Projektverantwortlicher seitens der ÖÄK. Das Projekt ist Teil von „Medpol“, einer Kooperation zwischen Medizin und Polizei. Die Schwerpunkte konzentrieren sich auf vier Kernpunkte: Prävention, Information, Opferhilfe und adäquate Therapie.

Konkret soll eine informelle Vernetzung der Ansprechpartner unter den Ärzten, Behörden, Gerichten und sozialen Einrichtungen geschaffen werden. Auch ein zentrales Gewaltschutzregister ist geplant, um mögliche Opfer sowie allfällige Verletzungen dokumentieren zu können. Weiters ist eine zentrale Anlaufstelle für Gewaltopfer vorgesehen, wo die ordnungsgemäße Befundung, die auch bei einem allfälligen gerichtlichen Nachspiel entscheidend ist, ebenso wie die adäqute Betreuung von Gewaltopfern erfolgen soll. Pruckner dazu: „In der Anlaufstelle wird es sowohl medizinische als auch psychologische Hilfe sowie Gutachter geben, auch ein Ansprechpartner der Exekutive soll vor Ort sein.“ Diese Einrichtungen sollen 24 Stunden geöffnet sein, um einen möglichst barrierefreien und niederschwelligen Zugang für alle Betroffenen garantieren zu können.

Mit einer breiten Informations- und Fortbildungsinitiative sowie durch Checklisten für den Umgang mit Gewaltopfern soll es praktische Unterstützung für Ärzte geben, die damit konfrontiert werden. Solche Checklisten werden bereits für gewisse Bereiche wie etwa Gewalt gegen Frauen oder geriatrische Patienten von den zuständigen Fachgesellschaften und den Ministerien bereitgestellt. „Wir wollen diese unterschiedlichen Checklisten zentral sammeln, nach Themen sortieren, in eine einheitliche Form bringen und leicht zugänglich machen“, erklärt Pruckner. Die österreichische akademie der ärzte wurde daher beauftragt, eine Wissensplattform zu entwickeln, wo spezielle Fortbildungsmaßnahmen angeboten werden und die Checklisten für alle Ärzte zum Download zur Verfügung stehen (www.docwissen.at).

Kinder häufig Opfer

Da speziell Kinder häufig Opfer von Gewalt werden, wird es auch eine spezielle Checkliste für den pädiatrischen Bereich geben. Laut aktuellem UNICEF-Report sind Übergriffe in dieser Gruppe gerade durch neuere Formen der Gewalt wie Mobbing am Schulhof oder über Mobiltelefone sowie Cyber-Bullying im Internet gestiegen. Unterstützung kommt dazu sowohl von der Fachgruppe Gynäkologie in der ÖÄK als auch von der Fachgruppe Pädiatrie, wie deren Obmann Dietmar Baumgartner im Gespräch mit der ÖÄZ betont: „Jede Aktion, die dazu beiträgt, Gewalt gegen Kinder zu verhindern, ist positiv zu beurteilen. Gerade bei Kindern ist es sehr wichtig, gewisse Anzeichen frühzeitig zu erkennen. Checklisten wären hier sehr hilfreich.“

Gewalt an Kindern in Zahlen

  • Jedes Jahr erleiden weltweit 500 Millionen bis 1,5 Milliarden Kinder Gewalt.
  • Nur fünf Prozent sind davor durch Gesetze geschützt.
  • In mehr als 80 Staaten ist Gewalt an Schulen zugelassen.
  • In 42 Ländern ist Gewalt als Bestrafung, in 156 Staaten als Strafmaßnahme in Betreuungseinrichtungen gestattet.
  • Ehrenmorde, Genitalverstümmelung sowie Zwangs- und Kinderehen sind in Entwicklungsländern weit verbreitet. Jedes Jahr sterben rund 70.000 Mädchen an den Folgen zu früher Schwangerschaften.
  • Schätzungen des Europarates zufolge wird eines von fünf Kindern in Europa Opfer sexueller Gewalt.

Quelle: UNICEF-Report 2011

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2011