Pilotprojekt E-Medikation: „Eindeutig geschlampt“

10.06.2011 | Politik

Die Querelen rund um das Pilotprojekt E-Medikation gehen weiter. Während die Wiener Ärztekammer schon längst einen Stopp des Projekts gefordert hat, sieht der Hauptverband keinerlei Handlungsbedarf.
Von Ruth Mayrhofer

Am 16. Mai 2011 zogen die ÖÄK und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger bei einer Pressekonferenz eine erste Bilanz zum laufenden Pilot-Projekt E-Medikation. Hauptverbands-Chef Hans-Jörg Schelling zeigte sich mit der Zahl der Anmeldungen zur E-Medikation zufrieden, gestand aber „Kinderkrankheiten“ am System ein. Deutlich kritischer fiel die Beurteilung des Obmannes der Kurie für niedergelassene Ärzte und Vizepräsidenten der Ärztekammer für Wien, Johannes Steinhart, aus. Für ihn braucht das System „noch ein paar Transplantationen“, wie er betonte.

Erst Enthusiasmus, dann Frust

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten seit dem Projekt-Start am 1.4.2011 genau 3.578 Patienten ihre Zustimmungserklärung unterzeichnet – ein Indikator, dass das Projekt nicht so gut wie erwartet von den Bürgern angenommen wird, obwohl es als Zeichen einer höheren Patientensicherheit gesehen wird. In einer ersten Anfangsphase ist der Hauptverband von einer Beteiligung von mindestens 50.000 Patienten ausgegangen.

Zwischenzeitlich ist der Frust bei der Ärzteschaft, die teilweise mit großem Enthusiasmus das Projekt unterstützten, aber groß, hat sich doch gezeigt, dass die Stolpersteine des Projekts das große Ganze überdeutlich ins Wanken gebracht haben: Die Tatsache, dass der Hauptverband den Installations-Auftrag der für die E-Medikation benötigten Software lediglich an drei Software-Firmen vergeben hatte, erwies sich als Problem Nummer Eins: Für Wien bedeutet das, dass nur noch in Summe 90 Ärzte über die notwendige Software in den Pilotregionen Wien 21 und 22 verfügen, wovon 37 Ordinationen ihr Interesse an einer Teilnahme bekundeten.

Daneben hatte der Hauptverband diese drei Software-Unternehmen ohne öffentliche Ausschreibung ins Boot geholt. Das brachte dem Hauptverband seitens des Bundesvergabeamtes bekanntlich eine Geldbuße von 24.000 Euro ein. Ein Novum, denn noch nie wurde eine öffentliche Institution zu einer so hohen Geldstrafe verurteilt und noch nie wurden Verträge für nichtig erklärt.

Am 17. Mai hat somit der Vorstand der Wiener Ärztekammer in einer Resolution den sofortigen Stopp des Pilotprojekts zur E-Medikation gefordert. Außerdem hat der Vorstand der Ärztekammer für Wien ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die E-Medikation Teil der geplanten Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) ist. Bereits in der Vergangenheit hatte Steinhart ja massive Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit bei E-Medikation und ELGA geäußert. Durch den Bescheid des Bundesvergabeamtes sieht er sich in seiner Auffassung bestätigt, dass „bei derzeitigem Planungsstand von E-Health keine Voraussetzungen dafür gegeben sind, die Elektronische Gesundheitsakte in Österreich einzuführen“.

Zur Tagesordnung übergehen?

Der Hauptverband sieht die Sache indes ganz anders. In einem ORF-Interview ließ Volker Schörghofer, Generaldirektor-Stellvertreter des Hauptverbandes, verlauten, dass er in Sachen Vergabe „auch heute wieder so handeln“ würde und überzeugt ist, „alles richtig gemacht zu haben“. Das sorgte wiederum in der Ärztekammer für helle Empörung: „Der Hauptverband hat bei der Ausschreibung eindeutig geschlampt“, stellt Johannes Steinhart fest. Und: „Wenn ich eine Strafe von einer unabhängigen Behörde erhalte, kann ich nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“ Auch Gesundheitsminister Alois Stöger scheint dies nicht allzu tragisch zu nehmen. Dass die Vergabe der E-Medikations-Software für das Pilotprojekt nicht ausgeschrieben worden war, sei zwar „nicht schön“, sagte Stöger auf Nachfrage der Austria Presse Agentur, doch werde dies das Projekt als solches nicht gefährden.

Gefährdet ist das Projekt aber allemal. Die Probleme bei der Software-Installation haben sich nämlich auch deswegen ergeben, weil die Software-Hersteller die teilnehmenden Ärzte nicht, nur unzureichend oder nicht verständlich genug über die technischen Erfordernisse informiert hatten. Werden Systemumstellungen notwendig, ist das für die jeweilige Arztordination auch eine offene finanzielle Frage. Besonders kurios: In einer Arztordination stellte die Software-Firma fest, dass die derzeitige technische Ausrüstung „hoffnungslos veraltet“ sei. Tatsächlich feierte das dort installierte System gerade einmal seinen ersten Geburtstag.

Und es wurden noch weitere Probleme in den teilnehmenden Praxen geortet: Substanzgleiche Medikamente können aufgrund von Schnittstellen-Problemen nicht oder nur sehr umständlich abgerufen werden. Oder: Obwohl angedacht, „merkt“ sich das Programm verschiedene Arzneimittel-Dosierungen nicht. Diverse andere Handling-Probleme machen den Ärzten ebenfalls das Leben schwer.

Kein Wunder, dass bei der Ärztekammer die Telefone heiß laufen, wenn aufgebrachte Testärzte mit den geschilderten Problemen zu kämpfen haben und diese bei den zuständigen Projektpartnern nicht die gewünschte Auskunft erhalten. „Das Ganze ist ein großer Murks“, meint Johannes Steinhart, der mit den ob der geschilderten Probleme oft aufgebrachten „Test-Ärzten“ in laufendem Kontakt steht.

Evaluierung zum jetzigen Zeitpunkt „sinnlos“

Wie auch immer: Dem Hauptverband zufolge soll der österreichweite Rollout der E-Medikation frühestens im zweiten Quartal 2012 erfolgen. Der Beginn einer ersten Evaluierung des Projekts hätte bereits am 6. Juni 2011 starten sollen. Unter den gegebenen Umständen „völlig sinnlos“, wie seitens der Ärztekammer für Wien betont wird.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2011