Nadelstich-Verordnung: Zu Tode reguliert

15.12.2011 | Politik


Mit der sogenannten „Nadelstich-Verordnung“ muss das Gesundheitsministerium bis 2013 eine entsprechende EU-Richtlinie national umsetzen. Doch ist der Weg von der Regulierung zur Überregulierung ein kurzer und die Frage, ob das wirklich so sein muss, daher legitim.

Von Ruth Mayrhofer

Mit der „Verordnung … zum Schutz der Arbeitnehmer/innen vor Verletzungen durch scharfe oder spitze medizinische Instrumente“ – kurz Nadelstich-Verordnung (NastV) – muss das Gesundheitsministerium die Richtlinie des Rates 2010/32/EU „zur Vermeidung von Verletzungen durch scharfe/spitze Instrumente im Krankenhaus- und Gesundheitssektor“ verpflichtend für Österreich umsetzen. Damit gemeint sind insbesondere Nadelstichverletzungen durch Injektionsnadeln. Ebenso darin enthalten ist das Verbot des Wiederaufsetzens der Schutzkappe auf die gebrauchte Nadel (Recapping). Die Verordnung soll am 11. Mai 2013 in Kraft treten.

Diese Verordnung gilt für Arbeitsstätten, auswärtige Arbeitsstellen und Baustellen im Sinn des Arbeitnehmerschutzgesetzes (ASchG) in den Bereichen des Krankenhaus- und Gesundheitswesens, des Veterinärwesens sowie in Labors, wenn für die Arbeitnehmer Gefahr besteht, sich mit scharfen oder spitzen Gegenständen zu verletzen. Die Arbeitgeber haben sicher zu stellen, dass auch mögliche Sub-Unternehmer die Bestimmungen dieser Verordnung – und damit die vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen – einhalten. Letztere umfassen etwa die Verwendung der größtmöglich sicheren Arbeitsmittel sowie sichere Methoden für die Entsorgung scharfer oder spitzer medizinischer Instrumente. Wie in Paragraph 3 des Verordnungs-Entwurfes zu lesen ist, sind „bei der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren … alle Situationen zu erfassen, in denen Verletzungen und Kontakt mit Blut oder anderen potentiell infektiösen Stoffen vorkommen können“. Weiter heißt es dort: „… Zur Prävention von Infektionsgefahren sind aufgrund der Ermittlung und Beurteilung sichere Arbeitsregelungen einzuführen. Daher ist ein kohärentes und umfassendes Präventionskonzept einzuführen, das Technologie, Arbeitssituation, Arbeitsgestaltung, Arbeitsbedingungen, arbeitsbezogene psychosoziale Faktoren sowie den Einfluss von Faktoren der Arbeitsumgebung erfasst.“

Der Verordnungs-Entwurf sieht außerdem eine umfassende „Information und Unterweisung“ all jener Mitarbeiter vor, die potentiell diesen Gefahren ausgesetzt sind und es sind genauso Vorkehrungen für den Verletzungsfall zu treffen. Dafür müssen die Arbeitgeber ein systematisches Verfahren festlegen, bei dem eine Verletzung oder Infektion „unverzüglich den zuständigen Vorgesetzten oder den sonst dafür zuständigen Personen zu melden“ ist. Fast anekdotisch hält der Verordnungs-Entwurf fest, dass „zur Förderung einer Kultur der Vermeidung von Schuldzuweisungen dieses Verfahren nicht auf individuelle Fehler, sondern auf systemische Faktoren auszurichten und die systematische Meldung als akzeptiertes Verfahren anzusehen ist“.

Frauen führen Statistik an

Zur „Förderung des Gefahrenbewusstseins“ will das Gesundheitsministerium die Interessensvertretungen der Arbeitnehmer – im Fall der Ärzte also die ÖÄK – in die Pflicht genommen wissen. Mit entsprechenden Präventionsmaßnahmen – explizit nennt der Verordnungs-Entwurf „gute Beispiele auf der Website oder Informationen in periodischen Druckschriften oder die Veröffentlichung von entsprechendem Informationsmaterial“ – sollen Betroffene regelmäßig sensibilisiert werden. Und damit sind – wie es in den Erläuterungen zum Verordnungs-Entwurf zu lesen ist – vorrangig Frauen gemeint. Denn laut AUVA-Unfallstatistik wurden im Jahr 2010 innerhalb der besonders gefährdeten Berufsgruppen der Krankenpflegefachkräfte und Pflegehelfer bei weiblichen Beschäftigten gezählte 1.119 Nadelstichverletzungen festgestellt, bei Männern lediglich 169. Damit – Zitat aus den Verordnungs-Erläuterungen – kommt „ein entsprechender Arbeitnehmerschutz … überproportional den weiblichen Beschäftigten zugute“.

Wie schon erwähnt: Zur nationalen Umsetzung der Nadelstich-Verordnung gibt es keine Alternative. Auch wirtschaftspolitische Auswirkungen oder Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich werden nicht erwartet. Das trifft laut Verordnungs-Entwurf auch auf Auswirkungen in Umwelt-politischer, Konsumentenschutz-politischer sowie sozialer Hinsicht zu. Was die finanziellen Auswirkungen betrifft, ortet man allerdings, dass „durch das Verbot konventioneller Nadelsysteme, verbunden mit der verpflichtenden Bereitstellung von Nadeln mit integrierten Sicherheitsmechanismen, zusätzliche Kosten entstehen“ können.

Otto Pjeta, als Präsidialreferent für die Qualitätssicherung in der Medizin der ÖÄK mit der Thematik befasst, „hat nichts dagegen, wenn man sich um die Sicherheit Sorgen macht“. Dazu reicht jedoch seiner Ansicht nach der Hinweis auf ein Gefahrenpotential. Pjeta: „Es stört einfach, wenn man einen Handgriff und die Bewegungen im Rahmen einer Berufsausübung vorschreibt.“ Was ihn besonders ärgert: „Der Begriff ‚Verantwortung‘ ist durch die Vorschrift von Bewegungsabläufen in Zukunft überflüssig.“ Pjeta befürchtet, dass „wir uns zu Tode regulieren, wegen Checklisten unser Wissen nicht mehr brauchen und wir reflexartig in die Illegalität transportiert werden“.

„Zeitlich und finanziell“ wird sich, so Pjeta, die Nadelstich-Verordnung primär auf den Berufsalltag auswirken. Und er hegt den Verdacht, dass europaweit es die Medizinprodukte-Industrie ist, die hinter dieser Richtlinie steckt, weil diese wohl am meisten davon profitieren wird. Als indirekten Beweis dafür nennt er die Tatsache, dass die Problematik im Vorfeld mit der Industrie diskutiert wurde. Die daraus entstehenden, derzeit jedoch nicht absehbaren Kosten werden, befürchtet Pjeta, „sicher bemerkenswert“ sein. Resümee von Pjeta: „Haben wir denn keine anderen Sorgen?“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2011