Landärztinnen: Sorgenvolle Zukunft

25.10.2011 | Politik

Die Tätigkeit eines Landarztes gestaltet sich – vor allem für Frauen – nicht unbedingt einfach, wie zwei Beispiele aus Tirol und Salzburg zeigen.
Von Ruth Mayrhofer

Die beiden niedergelassenen Allgemeinmedizinerinnen Renate Meinert* und Erika Lackner arbeiten in kleinen, abgeschiedenen Gemeinden Österreichs. Die Damen haben viel gemeinsam: beide sind Mitte 50, lieben ihren Beruf. Beide sind Mütter von zum Teil schon erwachsenen Kindern. Jahrelang haben sie ihre Ordinationen zwischen den Anliegen ihrer Patienten und ihren familiären Verpflichtungen geführt und diesen „Spagat“ häufig nur mit tatkräftiger Unterstützung ihrer Familien geschafft. Beide sahen sich in ihren Anfangsjahren mit Anfeindungen konfrontiert, und beide machen sich Sorgen darüber, was wohl passieren wird, wenn sie in Pension gehen, denn zumindest bei Renate Meinert ist der Fortbestand der Ordination keineswegs gesichert.

Renate Meinert arbeitet in einer Gemeinde mit weniger als 1.000 Einwohnern im Bundesland Salzburg. Die Praxis übernahm sie – nach einigen Schwierigkeiten, weil „politisch interveniert wurde“- 2001. Keine Freude mit dem „Zuzug“ hatten ihre männlichen Kollegen im Nachbarort: Gezielt streuten sie den Patienten gegenüber Zweifel aus, ob die neue Ärztin auch wirklich kompetent sei. Dazu kam, dass die Ordination vor der Übernahme durch Meinert als Wahlarztpraxis geführt wurde – ein Umstand, der viele Patienten von vornherein davon abgehalten hat, zu kommen. „Die Anfangszeit war schon sehr schwierig und ich stand tatsächlich am Rand der wirtschaftlichen Existenzfähigkeit“, erinnert sich Meinert. Geholfen hat ihr damals jedoch der Umstand, dass sie als „Zweitverdienerin“ nicht exklusiv auf ihren Verdienst angewiesen war und als Mutter von zwei Buben doch mehr Zeit für Mann und Kinder aufbringen konnte.

Turbulenzen

Doch die Zeiten änderten sich: Zum Einen fassten die Patienten vor Ort Vertrauen in die neue Ärztin, durch Zuzüge wuchs der Patientenstrom sehr langsam, aber stetig. Zum Anderen wagte ihr Ehemann im Ausland den Sprung in die Freiberuflichkeit mit der entsprechenden Unsicherheit und den dazugehörigen Risiken. „Ich musste also mehr arbeiten, um eine wirtschaftliche Absicherung für uns zu erreichen“, erklärt Meinert. Praxisvertretungen bei insgesamt sechs Ärzten brachten zwar Geld, doch auch weniger Zeit für die Kinder mit sich. „Das war sehr schwierig und fast nicht zu schaffen“, betont die Ärztin. „Aber was blieb mir anderes übrig: Hätte ich zu arbeiten aufgehört, wäre ich ‚weg vom Fenster‘ gewesen. Gott sei Dank konnte ich damals auf die Unterstützung meiner Mutter zurückgreifen.“ Als die Kinder klein waren, wuchsen ihr ihre Verpflichtungen fast über den Kopf – auch deswegen, weil ihre Ehe ins Trudeln geraten war: „Ich war plötzlich de facto Alleinerzieherin. Ich habe nur mehr funktioniert, hatte das Gefühl, keine eigene Persönlichkeit zu sein.“

2009 – der nächste Schlag: der Wegfall der Hausapotheke durch die Eröffnung einer öffentlichen Apotheke. Die leidvolle Konsequenz: plötzlich ein Drittel weniger Einkommen. „Das war ein immenser Einschnitt und ich gebe zu, dass ich mir damals ernsthaft überlegt habe, aufzuhören“, erinnert sich Meinert. Ihren Patienten zuliebe arbeitete sie jedoch weiter und strukturierte ihre Praxis um. „Seit Ende 2010 arbeite ich allein, meine Ordinationshilfe kommt nur mehr einen Tag pro Woche. Alles andere – inklusive freiwillige Wochenenddienste – erledige ich selbst. Das heißt, dass ich jetzt ohne Personal doppelt so viel, aber um das halbe Geld arbeiten muss“, meint die Ärztin bitter. Um das Budget aufzubessern, erstellt sie seit einiger Zeit Pflegegutachten.

Strukturen verändern!

Renate Meinert würde heute nicht mehr den Weg in eine Landarztpraxis wählen, obwohl das „gute Verhältnis zu ihren Patienten vieles aufwiegt“. Sie macht sich Sorgen, wie es weitergeht, wenn sie in einigen Jahren tatsächlich ihrer Berufslaufbahn ade sagt: „Es wird ohne Hausapotheke sehr schwierig werden, einen Nachfolger zu finden. Fixe Vertretungsärzte funktionieren im ländlichen Bereich durch die Abschlagsregelung nicht. Speziell für weibliche Ärzte sollte man daher Gruppenpraxen nicht nur zulassen, sondern explizit fördern“, ist Meinert überzeugt. Auch plädiert sie für die Vermittlung von betriebswirtschaftlichen Kenntnissen im Medizinstudium: „Ich bin absolut blauäugig in Vieles hineingeschlittert, was vermeidbar gewesen wäre.“ Abgesehen davon geht es der Ärztin auch um die weitere Betreuung insbesondere ihrer älteren und pflegebedürftigen Patienten: „Die Betreuung, so wie sie heute Betreuung, so wie sie heute ist, wird in Zukunft nicht aufrecht zu erhalten sein“, gibt Meinert zu bedenken, denn „die Jungen wollen sich das gar nicht mehr antun“.

Die Anästhesistin Erika Lackner ist vor 25 Jahren „der Liebe wegen“ ins Tiroler Lechtal, in einen kleinen Ort mit 850 Einwohnern, gezogen. Ihr Mann – Witwer mit drei Kindern – betrieb damals eine allgemeinmedizinische Praxis. Wenn auch rasch zwei eigene Kinder zur Familie hinzu kamen, versuchte Lackner wann immer es ging, in der Ordination ihres Mannes zu helfen, wobei sie auch Hilfstätigkeiten nicht scheute. Eine Haushaltshilfe machte dieses berufliche Engagement möglich. Zentrales Anliegen der Ärztin war es schon damals, Kontakte zu den Patienten aufzubauen.

Heute ist Lackners Mann in Pension, die Kinder sind weitestgehend aus dem Haus, die Ärztin hat die Praxis übernommen und betreut mit einem zweiten (Sprengel-)Arzt ihre Patienten in zum Teil recht abgelegenen Tälern. „Wenn ich zu einem Hausbesuch ausrücken muss, bedeutet das oft bis zu 40 Kilometer mit dem Auto zu fahren“, erzählt Lackner. „Da bin ich schon froh, wenn im Winter oder in der Nacht mein Mann das Steuer übernimmt!“ Hausbesuche versucht die Ärztin grundsätzlich wegen des großen Zeitaufwandes einzuschränken; lediglich zu Pflegefällen und Krebspatienten, die häufig auch eine palliative Betreuung brauchen, fährt sie regelmäßig. Dabei verweist sie auf die gute Zusammenarbeit mit der Hauskrankenpflege, „ohne die eine qualitätsvolle Betreuung nicht möglich wäre“.

Insgesamt merkt Lackner jedoch kritisch an, dass „Österreich wohl verschwitzt hat, dass wir zunehmend ein Land von alten Menschen sind“. Für deren Versorgung müssten dringend neue und funktionierende Strukturen geschaffen werden, Gemeinschafts- und Gruppenpraxen ohne Hemmnisse zugelassen werden und die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen und stationärem Bereich gefördert werden. Auch für die Betreuung von behinderten Personen ortet die Ärztin schwere Defizite: „Da muss etwas geschehen.“ Zwar sei es in Tirol noch üblich, dass alte oder behinderte Familienangehörige daheim gepflegt würden, aber „das wird durch die Änderungen der Familienstrukturen immer schwieriger“.

Soziale Kompetenz gehört dazu!

„Ich vermisse bei einigen jungen Kollegen und Kolleginnen zunehmend die soziale Kompetenz.“ So wäre es ihrer Meinung nach wichtig, Wissens-orientierte Aufnahmetests für das Medizinstudium abzuschaffen und anstelle dessen vor Studienbeginn ein verpflichtendes Praxisjahr in einem Spital oder in einer Pflegeeinrichtung vorzuschreiben. „Dabei würde sich sehr schnell zeigen, wer für den Arztberuf geeignet ist und wer nicht.“

Ansonsten wähnt sich Erika Lackner fast auf einer „Insel der Seligen“: Die Familie ist intakt. Die Zusammenarbeit mit ihren männlichen Kollegen funktioniert ohne Probleme. Ihre Hausapotheke ist derzeit nicht in Gefahr. Wobei Lackner meint, dass eine derart exponierte Praxis ohne zusätzliche Einnahmen aus der Hausapotheke nicht wirtschaftlich zu führen ist und die Anzahl der Angestellten reduziert werden müsste. Seit Juli 2011 werden überdies Notfallsdienste gesondert honoriert. Durch dieses Geld hofft Lackner, wenigstens das Problem von ganztägigen Praxisvertretungen lösen zu können, da früher allein durch Kasseneinnahmen kein ausreichender finanzieller Anreiz für Vertretungen geboten werden konnte.

Allerdings müsse man konzedieren, adss man „am Land noch immer in einer Männergesellschaft lebt“. Dies wirkt sich einerseits dadurch aus, dass männliche Patienten weiblichen Ärzten zunächst etwas skeptisch gegenüberstehen, andererseits, dass „ohne das Zutun meines Mannes die Sprengelvergabe höchstwahrscheinlich deutlich schwieriger verlaufen wäre“.

* Name von der Redaktion geändert

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2011