Kommentar – Univ. Prof. Johannes Bonelli: Neuroenhancement bei Gesunden?

25.02.2011 | Politik

In den vergangenen Jahren haben die Neurowissenschaften eine Reihe von effektiven Behandlungsmöglichkeiten für Krankheiten entwickelt, die früher für unerreichbar gehalten wurden. Diese therapeutischen Fortschritte haben in jüngster Zeit einige Forscher auf die Idee gebracht, medizinische Techniken zur Gehirnleistungssteigerung auch bei Gesunden anzuwenden, mit dem Ziel, die Intelligenz, Konzentrationsfähigkeit, Emotionen, das Gedächtnis oder die Fähigkeit zur Datenverarbeitung zu optimieren (Mind-Brain Enhancement).

Zugegeben: Die Menschheit hat sich immer schon bemüht, die eigenen Fähigkeiten zu verbessern, nichts anderes soll doch mit Erziehung und Bildung beziehungsweise mit körperlichem und geistigem Training erreicht werden. Auch der Konsum von Kaffee oder von anderen stimulierenden Getränken zur allgemeinen Leistungssteigerung sind Maßnahmen, gegen die wohl grundsätzlich nichts einzuwenden ist, solange sie maßvoll angewendet werden, also zu keinen körperlichen und psychischen Schäden führen. Anders ist hingegen zu bewerten, wenn medizinische Methoden, die zur Behandlung von schweren psychischen Krankheiten vorgesehen sind, gezielt zur Optimierung bestimmter geistiger Gehirnleistungen bei Gesunden eingesetzt werden sollen.

Die Gehirnleistungen laufen ja nicht autonom in isolierten Neuronen ab, sondern sind vielfach vernetzt im Verbund unzähliger Schaltstellen. Der Zugriff auf eine einzelne Hirnleistung kann daher die Balance der gesamten basalen Persönlichkeitsstruktur beeinträchtigen. Jeder Arzt weiß aus eigener Erfahrung, wie tief manche Psychopharmaka in die seelisch-geistigen Vorgänge eines Patienten eingreifen und zum Beispiel seine Emotionalität oder sein soziales Verhalten verändern können. Außerdem besteht die Gefahr, dass geistiges Enhancement Klienten dazu verleitet, über ihre Leistungsgrenzen so hinauszugehen, dass sie die Warnsignale des eigenen Körpers nicht mehr wahrnehmen und ins Burnout getrieben werden können.

Die Medikalisierung der Normalität zur Leistungssteigerung bestimmter geistiger oder psychischer Fähigkeiten ist jedenfalls keine harmlose Angelegenheit, sondern ein gefährlicher Eingriff in das neurophysiologische Gleichgewicht einer gesunden Persönlichkeit. Man könnte hier sozusagen von geistig-seelischem Gehirndoping sprechen. Dabei wird das biotechnisch Machbare zur Norm erhoben, und die menschliche Person zu einem medizinischen Kunstprodukt herabgewürdigt. Letztlich würde dies zur Diskriminierung all jener führen, die dieser Norm nicht entsprechen oder nicht entsprechen wollen. Damit wird aber die Doppelbödigkeit solcher Praktiken sichtbar: Einerseits wird uns heute von allen Seiten der Respekt und der Wert einer pluralistischen Vielfalt gepredigt, was uns aber auf der anderen Seite offensichtlich nicht davon abhält, mit Hilfe eugenischer Methoden (Enhancement), gewisse physische und psychische Stereotypen zu produzieren (J. Habermas).

Eine derartige Manipulation überschreitet den Heilauftrag des Arztes bei weitem. Die Medikalisierung der Normalität bedeutet eine Abkehr vom traditionellen ärztlichen Handeln, das in der Heilung von eindeutigen Krankheiten und in der Linderung von Leiden besteht. Deshalb sollten wir Ärzte uns darauf beschränken, die Errungenschaften der Neurowissenschaften nur für eindeutig kranken Patienten einzusetzen, wo der Nutzen den unvermeidbaren Schaden nach dem Prinzip primum nil nocere weit übertrifft.

Freilich könnte man einwenden, dass die Grenzlinien zwischen Gesundheit und Krankheit, normal und künstlich nicht so leicht zu definieren sind. Diese theoretische Unklarheit in der Definition kann allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass der Arzt in der Praxis auf Grund seiner Erfahrung und seines Wissens sehr wohl in der Lage ist, im Einzelfall zwischen „normal“, „Abweichung vom Normalen“, „krank“ und „schwer krank“ zu unterscheiden.

Wenn man schon glaubt, Forschungsprojekte zum geistig-seelischen Enhancement bei gesunden Personen etablieren zu müssen, dann fällt dies sicher nicht in die ärztliche Profession. Dazu müsste sich erst ein eigener, neuer Berufszweig hergeben, etwa „Ingenieure für kosmetische Neuropsychologie“. Die heilen dann aber nicht Patienten, sondern bedienen ihre Klientel.

*) Univ. Prof. Dr. Johannes Bonelli ist Direktor von IMABE – Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2011