Kom­men­tar – Univ. Prof. Enri­que Prat: Bio­ethik­kom­mis­sion: Radi­kal­um­bau nötig

25.09.2011 | Politik

Das Man­dat der Bio­ethik­kom­mis­sion beim Bun­des­kanz­ler­amt geht in die­sem Herbst nach zwei­jäh­ri­ger Tätig­keit regu­lär zu Ende. Nach zehn­jäh­ri­gem Bestehen die­ses Gre­mi­ums sind einige Fra­gen noch immer unbe­frie­di­gend beant­wor­tet: Was ist die Auf­gabe einer sol­che Kom­mis­sion wirk­lich? Ist sie eine Bera­tungs­in­stanz des Bun­des­kanz­lers in bio­ethi­schen Fra­gen, die Plu­ra­lis­mus zulässt? Oder ist sie ein poli­ti­sches Instru­ment und bloß ethi­sches Fei­gen­blatt im Dienste der jewei­lig herr­schen­den Ideo­lo­gie? Letz­te­res dürfte Ethik nie­mals sein, dies wäre eine Instru­men­ta­li­sie­rung für par­ti­ku­läre Inter­es­sen.

Zwei Modelle von Ethik­kom­mis­sio­nen haben sich welt­weit bewährt. Das erste Modell ent­stand 1975 bei der ers­ten Revi­sion der Hel­sinki-Dekla­ra­tion (1964) des Welt­ärz­te­bun­des mit der For­de­rung, dass jedes For­schungs­pro­jekt von einer unab­hän­gi­gen Ethik­kom­mis­sion geneh­migt wer­den soll. Dies sollte garan­tie­ren, dass öko­no­mi­sche, poli­ti­sche oder pri­vate Inter­es­sen nicht über die human­me­di­zi­ni­schen gestellt wer­den. Die For­schungs­pro­jekte sol­len auf ethi­sche Stan­dards geprüft wer­den. Wel­che Stan­dards? Es geht um die vier all­ge­mein akzep­tier­ten Prin­zi­pien der Bio­ethik: Auto­no­mie, Scha­dens­ver­mei­dung, Für­sorge und Gerech­tig­keit, die in der Erklä­rung aber auch in den gel­ten­den Richt­li­nien – GCP (Good Cli­ni­cal Prac­tice) – und in den Geset­zen der jewei­li­gen Län­der kon­kre­ti­siert werden.

Das zweite Modell ist jenes der kli­ni­schen Ethik­kom­mis­sio­nen. Diese sind seit den 1990er Jah­ren in vie­len Spi­tä­lern ent­stan­den mit dem Zweck, behan­deln­den Teams in schwie­ri­gen Fra­gen des kli­ni­schen All­tags zu hel­fen, sich ein ethi­sches Urteil zu bil­den und die rich­tige Ent­schei­dung zu tref­fen. Nicht der Ethi­ker, son­dern das Team trifft die Ent­schei­dun­gen. Auf­gabe der Ethi­ker ist es, die ethi­schen Prin­zi­pien auf­zu­zei­gen, die in den ethi­schen Leit­li­nien des jewei­li­gen Kran­ken­hau­ses ent­hal­ten sind und in dem kon­kre­ten Fall zum Tra­gen kom­men. In bei­den Model­len sind Zweck, Auf­gabe und ethi­sche Kri­te­rien klar defi­niert. Unab­ding­bare Vor­aus­set­zung für das Wir­ken der Ethik­kom­mis­sio­nen ist ihre Unabhängigkeit.

Zurück zur Ein­gangs­frage: Wel­che Rolle spielt die Ethik im Bera­tungs­gre­mium im Bun­des­kanz­ler­amt? Ist der Bei­name „Ethik“ berech­tigt? Es ist mehr als erstaun­lich, dass im Text der Ein­set­zungs­ver­ord­nung (Ver­ord­nung 226 vom 29. Juni 2001) das Wort Ethik oder Bio­ethik nur im Namen vor­kommt. Ver­wun­der­lich ist auch, dass unter den Fach­ge­bie­ten, die laut Ver­ord­nung (§ 3) in der Kom­mis­sion ver­tre­ten sein müs­sen, die Bio­ethik nicht erwähnt wird, obwohl diese mitt­ler­weile im aka­de­mi­schen Bereich ein voll eta­blier­tes Wis­sens­ge­biet ist. Zweck der Kom­mis­sion ist zwar, den Bun­des­kanz­ler zu bera­ten (§ 2); unklar ist aber, nach wel­chen ethi­schen Prin­zi­pien sich die Bera­tung rich­ten soll. Es gibt in der Ethik eine Viel­zahl von Ansät­zen, die ver­schie­dene Prin­zi­pien ver­tre­ten. Es wäre des­halb sinn­voll, wie in den ande­ren bei­den Model­len die Prin­zi­pien (Werte), die zur Anwen­dung kom­men sol­len, klar vorzugeben.

Pro­blem: Zusammensetzung

Noch viel stö­ren­der sind jedoch die frag­wür­dige Zusam­men­set­zung und der Aus­wahl­mo­dus der Kom­mis­si­ons­mit­glie­der, der ja für die Qua­li­tät ihrer Stel­lung­nah­men nicht irrele­vant ist. Das Pro­blem der Zusam­men­set­zung einer Bio­ethik­kom­mis­sion ist des­halb so groß, weil es eine wert­neu­trale Wis­sen­schaft nur auf dem Papier gibt und ein ideo­lo­gie­freier Experte nicht denk­bar ist. Dass die Bera­ter direkt von dem zu bera­ten­den Poli­ti­ker ernannt wer­den, ohne eine von der Öffent­lich­keit kon­trol­lier­bare Aus­wahl­pro­ze­dur, wirft ein schlech­tes Licht auf die Unab­hän­gig­keit des Gre­mi­ums. Dass es auch anders geht, sieht man beim Deut­schen Ethik­rat. Ist daher die Bio­ethik­kom­mis­sion im Bun­des­kanz­ler­amt nicht mehr als eine Polit­kom­mis­sion mit Fei­gen­blatt­funk­tion in den Hän­den des Bun­des­kanz­lers? Die jähr­li­chen Berichte der Kom­mis­sion las­sen eine ein­deu­tige Ver­nei­nung die­ser Frage nicht zu. Ihre Mit­glie­der soll­ten im eige­nen Inter­esse dem Bun­des­kanz­ler als ers­tes emp­feh­len, die Unab­hän­gig­keit der Kom­mis­sion gesetz­lich zu sichern.

*) Prof. Dr. Enri­que Prat ist Geschäfts­füh­rer von IMABE – Insti­tut für medi­zi­ni­sche Anthro­po­lo­gie und Bio­ethik, Wien

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 18 /​25.09.2011