Kom­men­tar – Dr. Susanne Kum­mer: Wunsch­traum „Null-Feh­ler-Baby“

15.07.2011 | Politik

Soll der Gen-Check bei Embryo­nen im Reagenz­glas, die soge­nannte Prä­im­plan­ta­ti­ons­dia­gnos­tik (PID), künf­tig gesetz­lich erlaubt sein? Über diese Frage hat man in Deutsch­land lange inten­siv und gesell­schafts­po­li­tisch auf einer brei­ten Basis dis­ku­tiert. Nun hat der Bun­des­tag vor kur­zem die begrenzte Zulas­sung der Prä­im­plan­ta­ti­ons­dia­gnos­tik beschlos­sen. In der Schluss­ab­stim­mung erhielt der ent­spre­chende Geset­zes­ent­wurf 326 von 594 abge­ge­be­nen Stim­men. Ins­ge­samt lagen drei Geset­zes­ent­würfe zur Rege­lung der PID vor; einer der Ent­würfe, in dem ein strik­tes Ver­bot von Gen­tests an künst­lich erzeug­ten Embryo­nen vor­ge­se­hen war, fand keine Mehrheit.

Und Öster­reich? Man schaut zum Nach­barn, aller­dings – wie so oft in bio­ethi­schen Fra­gen – ohne sich bis­lang der Anstren­gung eines brei­ten öffent­li­chen Dis­kur­ses zu unter­zie­hen. Da nun in Deutsch­land die Ent­schei­dung gefal­len ist, die PID in Fäl­len zuzu­las­sen, „in denen ein oder beide Eltern­teile die Ver­an­la­gung für eine schwer­wie­gende Erb­krank­heit in sich tra­gen oder mit einer Tot- oder Fehl­ge­burt zu rech­nen ist“: Wäre das der ethisch sau­bere Kom­pro­miss für die umstrit­tene Methode der Embryo­nen­se­lek­tion in der Petri-Schale, an dem sich auch Öster­reich ori­en­tie­ren sollte?

Je näher man auf die ein­zel­nen Pro-Argu­mente ein­geht, desto dün­ner wird ihre Sub­stanz. Dazu gehört zunächst die prak­ti­schen Undurch­führ­bar­keit eines Ein­zel­fall- oder Indi­ka­ti­ons­mo­dells. Wel­che Watch­list von Krank­hei­ten soll denn rech­tens erstellt wer­den – und von wem – auf­grund derer dann Embryo­nen aus­ge­son­dert und ver­nich­tet wer­den dür­fen? Das Bei­spiel Groß­bri­tan­nien zeigte, dass PID auf einen begrenz­ten Ein­zel­fall nach weni­gen Jah­ren einer Gesell­schaft nicht mehr gerecht wird, sobald Begehr­lich­kei­ten nach einem Null-Feh­ler-Baby geweckt wur­den. Die PID wurde dort 2006 lega­li­siert; sie kann bei der dro­hen­den Ver­er­bung bestimm­ter For­men von Krebs, Alz­hei­mer und Mus­kel­krank­hei­ten genutzt wer­den – ins­ge­samt bei mehr als 160 Indi­ka­tio­nen. Inzwi­schen genügt das bloße Vor­han­den­sein eines soge­nann­ten Risiko-Gens – etwa des Brust­krebs­gens BRCA1 -, um Embryo­nen im Zuge der PID aus­zu­sor­tie­ren, selbst wenn bekannt ist, dass die Krank­heit weder zwin­gend aus­bre­chen wird, noch allein auf die­ses Risiko-Gen rück­führ­bar ist. Im Jän­ner 2009 wurde schließ­lich das erste „brust­krebs­gen­freie“ IVF-Baby nach einer geziel­ten gene­ti­schen Embryo-Selek­tion gebo­ren, nach­dem eine 27-jäh­rige Bri­tin dank PID ihre elf erzeug­ten Embryo­nen vor der Ein­pflan­zung in den Mut­ter­leib auf gene­ti­sche Feh­ler hatte unter­su­chen lassen.

Ein ande­res Argu­ment, wonach die PID ohne­hin nur nicht lebens­fä­hige Embryo­nen aus­sor­tie­ren würde bezie­hungs­weise die IVF-Rate stei­gern könnte, scheint selbst – wie Stu­dien zei­gen – unter Repro­duk­ti­ons­me­di­zi­nern umstrit­ten. Das prak­ti­sche Pro­blem der PID ist ihre schwa­che Aus­sa­ge­kraft in Bezug auf Chro­mo­so­men­an­oma­lien. Nicht sel­ten wer­den diese nach dem Acht-Zell-Sta­dium dank bio­lo­gi­scher Mecha­nis­men unter Kon­trolle gebracht. Und es kann zu Fehl­dia­gno­sen kom­men: Gen­ma­te­rial, das aus zwei ver­schie­de­nen Blas­to­me­ren ent­nom­men wird, kann zwei kom­plett ver­schie­dene Ergeb­nisse lie­fern. Wird es nun ein gesun­des oder ein kran­kes Kind?

Aus­wir­kun­gen der PID

Ob durch die Ein­füh­rung der PID die Zahl der Spät­ab­trei­bun­gen gesenkt wer­den könnte, ist mehr als spe­ku­la­tiv, meint dazu der Medi­zin­ethi­ker und Mit­glied im Deut­schen Ethik­rat, Axel W. Bauer. Sicher ist jedoch, dass die Band­breite von „Nor­ma­li­tät“, die in unse­rer Gesell­schaft künf­tig noch tole­riert wer­den wird, durch die Mög­lich­kei­ten der PID deut­lich schma­ler wer­den wird. Und dass die Ent­schei­dung im Zwei­fel gegen das Leben des poten­ti­ell kran­ken Embryos aus­fällt, liegt auf der Hand. Womit das gesell­schaft­lich-poli­ti­sche Dilemma einer – wenn auch begrenz­ten – Frei­gabe der PID deut­lich wird: Anders als die Prä­na­tale Dia­gnos­tik (PND), die – unge­ach­tet ihres Miss­brauchs in der medi­zi­ni­schen Pra­xis – auch wich­tige Erkennt­nisse für eine der Gesund­heit des Unge­bo­re­nen die­nen­den Geburts­vor­be­rei­tung sowie der früh­zei­ti­gen Ein­lei­tung von The­ra­pien die­nen kann, ist die PID ein „rei­nes Selek­ti­ons­werk­zeug“. Nicht die Krank­hei­ten wer­den eli­mi­niert, son­dern die Kranken.

*) Mag. Susanne Kum­mer ist stell­ver­tre­tende Geschäfts­füh­re­rin von IMABE – Insti­tut für medi­zi­ni­sche Anthro­po­lo­gie und Bio­ethik, Wien.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2011