Kom­men­tar – Dr. Karl­heinz Kux: Huss­lein und seine „Ver­ir­run­gen”

10.02.2011 | Politik

Huss­lein und seine „Ver­ir­run­gen“

Zum Thema Prä­na­tal­dia­gnos­tik, das medial all­ge­gen­wär­tig ist, unter­lau­fen dem Vor­stand der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Frau­en­heil­kunde am Wie­ner AKH, Prim. Univ. Prof. Peter Huss­lein, wis­sent­lich oder unwis­sent­lich etli­che, nicht geringe „Ver­ir­run­gen“.

So sagt er in der Sen­dung „Im Zen­trum“ vom 9.1.11 wort­wört­lich: „Aber das Wirk­samste ist natür­lich schon der Scha­den­er­satz. Er ist wesent­lich wirk­sa­mer als das ärzt­li­che Ethos. … Der wirk­li­che Druck, ordent­lich zu arbei­ten, der kommt nun ein­mal beim Men­schen dann, wenn sie Angst haben, dass sie einen Scha­den haben.“

Das ist „Ver­ir­rung Nr. 1“: Wenn Men­schen – also auch Ärzte – Angst haben müs­sen, dann flüch­ten sie in die Leis­tungs- und Ver­ant­wor­tungs­ver­mei­dung, bei Ärz­ten in die Defen­siv­me­di­zin; diese ist nicht ident mit Qua­li­tät.

Huss­lein wei­ter: „Das wirk­samste Instru­ment der Qua­li­täts­si­che­rung ist nun mal die Haf­tung.“ Das ist „Ver­ir­rung Nr. 2“: Die Ver­pflich­tung „ordent­lich zu arbei­ten“, kommt doch bei den meis­ten Men­schen – somit auch bei Ärz­ten – aus dem inne­ren Antrieb, aus ethi­schem und fach­li­chem Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl, aus Anstand oder viel­leicht auch „nur“ aus fach­li­chem Ehr­geiz. Die wohl am meis­ten pro­ble­ma­ti­sche Moti­va­tion für mensch­li­ches – hier kon­kret ärzt­li­ches – Han­deln ist die Angst vor der Haf­tung. Alle Theo­rien und Prak­ti­ken der Qua­li­täts­si­che­rung stel­len daher Moti­va­tion vor Sanktion!

„Ver­ir­rung Nr. 3“: Die Prä­na­tal­dia­gnos­tik auf die Scha­den­er­satz- und Haf­tungs­frage zu redu­zie­ren, ver­engt die Pro­ble­ma­tik unzu­läs­sig, weil sie ethi­sche, medi­zi­ni­sche, soziale und auch andere juris­ti­sche Werte aus­blen­det. Einem Kli­nik­vor­stand sollte die­ses Ver­säum­nis nicht unter­lau­fen. Wie steht Huss­lein eigent­lich zu fol­gen­der Situa­tion, die sich aus sei­ner Posi­tion zwangs­läu­fig ergibt: Um aus dem Titel des Scha­den­er­sat­zes finan­zi­elle Unter­stüt­zung für die Betreu­ung eines behin­der­ten Kin­des zu erhal­ten, müs­sen Eltern behaup­ten, dass sie bei Kennt­nis der Behin­de­rung ihr Kind abge­trie­ben hät­ten. Und dies wegen eines Kin­des und gegen­über einem Kind, dem – wenn nicht geis­tig behin­dert – die­ser elter­li­che Stand­punkt nicht ver­bor­gen blei­ben kann und das zu sei­ner kör­per­li­chen Behin­de­rung nun wohl auch eine schwere see­li­sche Beschä­di­gung erle­ben wird müs­sen.

„Ver­ir­rung Nr. 4“: In der Presse vom 5.1.11 kon­sta­tiert Huss­lein wie folgt: „… es wer­den wie in der Ver­gan­gen­heit üblich – die Uner­fah­rens­ten in die Ultra­schall­am­bu­lanz gestellt, die hal­ten dann den Ultra­schall­ap­pli­ka­tor kurz auf den Bauch der Schwan­ge­ren und stel­len fest, dass alles in Ord­nung ist – was es ja auch zumeist ist.“ Wenn dem so wäre, ist Huss­lein öffent­lich zu befra­gen, was er denn seit Jah­ren gegen­über den Spi­tals­er­hal­tern unter­nom­men hat, eine sol­che Pra­xis abzu­stel­len? Als „Ober­gy­nä­ko­loge und Ober­gut­ach­ter der Nation“, als der er sich nun ein­mal fühlt, hätte er ja dazu wohl die Auto­ri­tät und Wort­ge­walt gehabt. Oder wen­det Huss­lein seine Wort­ge­walt nur gegen­über Ärz­ten und Fach­kol­le­gen an, glaubt er immer noch, ihr Ober­leh­rer sein zu kön­nen? Die Öster­rei­chi­sche Ärz­te­kam­mer erwar­tet, dass Huss­lein seine dies­be­züg­li­chen Ver­säum­nisse gegen­über den Spi­tals­er­hal­tern nach­holt.

„Ver­ir­rung Nr. 5“: In dem­sel­ben Bei­trag schreibt Huss­lein wort­wört­lich: „Ist dann eine Fehl­bil­dung über­se­hen wor­den, lebt es sich mit der Rüge der Ärz­te­kam­mer pro­blem­los wei­ter – aller­dings zum Scha­den der Repu­ta­tion der Frau­en­heil­kunde und wahr­schein­lich auch der betrof­fe­nen Schwan­ge­ren.“ Mit die­ser Aus­sage doku­men­tiert Huss­lein Unwis­sen­heit: Beam­tete Spi­tals­ärzte unter­lie­gen in der Regel einem eige­nen Dienst- und Dis­zi­pli­nar­recht und nicht jenem der Ärz­te­kam­mer. Der Rüge-Vor­wurf wäre daher den Spi­tals­er­hal­tern zu machen. Trotz alle­dem: Die Öster­rei­chi­sche Ärz­te­kam­mer hat schon in meh­re­ren Fäl­len Ärz­ten wegen schwer­wie­gen­der beruf­li­cher Fehl­leis­tun­gen die Berufs­be­fug­nis ent­zo­gen; diese Ärzte wer­den also nicht nur gerügt, son­dern ihnen wird die Berufs­aus­übung ver­bo­ten. Sol­che Ent­schei­dun­gen der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer haben auch der letzt­in­stanz­li­chen Prü­fung durch die Höchst­ge­richte stand­ge­hal­ten.

„Ver­ir­rung Nr. 6“ zuletzt in der Presse vom 24.1.11: In reine Pole­mik ver­fällt Huss­lein, wenn er schreibt, „die Ärz­te­kam­mer wolle einen Haf­tungs­aus­schluss für alle Ärzte, sie sei der Schutz­pa­tron der Schlam­pi­gen, die Qua­li­täts­si­che­rung gehöre der Ärz­te­kam­mer ent­zo­gen, eine Berufs­gruppe dürfe sich nicht selbst kon­trol­lie­ren.“ Erneute Unwis­sen­heit Huss­leins: Einen gene­rel­len Haf­tungs­aus­schluss für ärzt­li­ches Han­deln hat die Ärz­te­kam­mer nie­mals ver­langt, statt­des­sen die obli­ga­to­ri­sche gesetz­li­che Haft­pflicht­ver­si­che­rung für frei­be­ruf­lich tätige Ärzte, wie vor kur­zem im Ärz­te­ge­setz auch gere­gelt.

Für die Qua­li­täts­si­che­rung in Kran­ken­an­stal­ten ist die Ärz­te­kam­mer über­haupt nicht zustän­dig, dies ist kraft Gesetz aus­schließ­lich Sache der Rechts­trä­ger. Das weiß Huss­lein natür­lich, aber es ist für ihn ein­fa­cher und ver­meint­lich auch spek­ta­ku­lä­rer, sich mit der eige­nen Berufs­ver­tre­tung – wenn auch fälsch­li­cher­weise – anzu­le­gen, statt mit mäch­ti­gen Bun­des- und Lan­des­re­gie­run­gen und ‑behör­den, die die Zustän­dig­keit für die Spi­tä­ler, deren Per­so­nal und andere Kran­ken­an­stal­ten haben.

Für die Qua­li­täts­si­che­rung von nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten – die in der Regel die spe­zi­elle Prä­na­tal­dia­gnos­tik (Nacken­trans­pa­renz­mes­sung, Organ­scree­ning, Amnio­zen­tese etc.) nicht durch­füh­ren – ist zwar die Öster­rei­chi­sche Ärz­te­kam­mer zustän­dig, aber nicht allein, wie Huss­lein behaup­tet: Ein inter­dis­zi­pli­nä­rer Wis­sen­schaft­li­cher Bei­rat, bei dem u.a. auch die Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten ver­tre­ten sind, berät die Ärz­te­kam­mer. Diese hat eine ver­bind­li­che Qua­li­täts­si­che­rungs-Ver­ord­nung zu erstel­len, die der Geneh­mi­gung durch den Gesund­heits­mi­nis­ter bedarf. Danach sind alle Ordi­na­tio­nen qua­li­ta­tiv zu eva­lu­ie­ren und ein Qua­li­täts­be­richt an den Bun­des­mi­nis­ter zu erstel­len. In den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren wur­den erst­mals mehr als 20.000 Ordi­na­tio­nen eva­lu­iert, ein nächs­ter Durch­gang steht bevor. So etwas gibt es in ganz Europa nicht! Dass die Ärz­te­kam­mer allein die Qua­li­täts­si­che­rung durch­führt – wie Huss­lein behaup­tet – ist daher schlicht und ein­fach falsch!

Resü­mee: Wel­ches Men­schen­bild hat Huss­lein eigent­lich, wenn er als aka­de­mi­scher Leh­rer pos­tu­liert, dass Men­schen – also auch Ärzte – deren teil­weise Aus­bil­dung ihm anver­traut ist, nur dann „ordent­lich arbei­ten“, wenn sie unter Druck, Sank­tion und Haf­tungs­angst ste­hen?

Außer­dem: Huss­lein beruft sich bei sei­nen öffent­li­chen Auf­trit­ten immer wie­der auf seine Gut­ach­t­er­funk­tion. Gut­ach­tern ist Sach­lich­keit, Objek­ti­vi­tät, Wis­sen­schaft­lich­keit und sprach­li­che Zurück­hal­tung gebo­ten, zur Wah­rung ihrer Glaub­wür­dig­keit und Auto­ri­tät. Huss­lein ist ganz gewiss ein her­vor­ra­gen­der Arzt, ist er es auch noch als (öffent­li­cher) Gutachter?

Ein Lösungs­vor­schlag: Spe­zi­elle Prä­na­tal­dia­gnos­tik (siehe oben) sollte durch­wegs in Kran­ken­an­stal­ten (Spi­tals­am­bu­lan­zen) statt­fin­den, denn damit kann sie breit und sozial ver­träg­lich ange­bo­ten wer­den (In Öster­reich gibt es 80.000 Gebur­ten pro Jahr). Spi­tä­ler sind durch­wegs in der Hand öffent­li­cher Rechts­trä­ger, die ja bei Diagnose‑, Behand­lungs- und Auf­klä­rungs­feh­lern in aller­ers­ter Linie haf­ten; die bei die­sen ange­stell­ten und die Prä­na­tal­dia­gnos­tik durch­füh­ren­den Ärzte kom­men sel­ten direkt – allen­falls im Wege des Dienst­neh­mer­re­gres­ses – in eine Haf­tung. Erste Ansprech­part­ner für Huss­lein und seine Scha­den­er­satz­lö­sung sind daher nicht Ärzte, son­dern Kran­ken­an­stal­ten. Gemäß § 27a Abs 5 und 6 KAKuG ist für jeden Tag einer sta­tio­nä­ren Behand­lung ein Betrag in Höhe von 0,73 Euro zu bezah­len, der öster­reich­weit in Summe an die zehn Mil­lio­nen Euro aus­macht. Die­ser Betrag steht zur Abgel­tung von Behand­lungs­feh­lern zur Ver­fü­gung, die durch die Behand­lung in Kran­ken­an­stal­ten ent­stan­den sind und bei denen eine Haf­tung des Rechts­trä­gers nicht ein­deu­tig gege­ben ist. Die Lan­des­ge­setz­ge­bung hat sogar eine Ent­schä­di­gung für Fälle vor­zu­se­hen, bei denen eine Haf­tung des Rechts­trä­gers nicht gege­ben ist, wenn es sich um eine sel­tene, schwer­wie­gende Kom­pli­ka­tion han­delt, die zu einer erheb­li­chen Schä­di­gung geführt hat.

Erfah­rungs­ge­mäß wer­den diese Beträge wegen sol­cher Haf­tungs­fälle nicht zweck­ent­spre­chend voll aus­ge­nützt und ver­blei­bende Beträge von den Spi­tals­er­hal­tern zur all­ge­mei­nen Deckung des Spi­tals­be­trie­bes ver­wen­det! Für eine „öffent­li­che Fonds­lö­sung“ für behin­derte Kin­der nach einer Prä­na­tal­dia­gnos­tik (mit einem vor­werf­ba­ren Dia­gnose- oder Auf­klä­rungs­feh­ler) könn­ten also Geld­mit­tel zur Ver­fü­gung stehen.

Eine sol­che Lösung sollte zual­ler­erst geprüft wer­den; die Frage der Arzt­haf­tung könnte dem nach­fol­gend – als Arzt­haf­tungs­re­gress – in aller Ruhe und ohne öffent­li­chen und poli­ti­schen Druck auf rein juris­ti­scher Ebene dis­ku­tiert und – ohne das jet­zige Scha­den­er­satz­sys­tem zu ver­las­sen – gere­gelt wer­den. Käme näm­lich ein Spi­tals­er­hal­ter zur Auf­fas­sung, dass einem sei­ner Ärzte ein schwer­wie­gen­der und vor­werf­ba­rer Dia­gnose- bezie­hungs­weise Auf­klä­rungs­feh­ler bei einer prä­na­ta­len Unter­su­chung unter­lau­fen ist, kann er ihn dann auch zur Regress­haf­tung her­an­zie­hen.


Bei allen Bezeich­nun­gen (Arzt/​Ärzte) gilt die gewählte Form für beide Geschlech­ter (§ 1 Abs 4 GleichbG).

*) Dr. Karl­heinz Kux ist Kam­mer­amts­di­rek­tor der ÖÄK und Rechts­an­walt

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2011