Kommentar – Dr. Karlheinz Kux: Kammerfunktionäre werden gewählt, Lobbyisten werden gekauft!

10.10.2011 | Politik

Dennoch sollen Kammern in das neue Lobbyisten-Gesetz aufgenommen, Lobbyisten – also im Grunde, nicht im Detail – gleichgestellt werden! Das ist keine Verkennung, das ist reine Geringschätzung, wenn nicht beabsichtigte Herabsetzung der Selbstverwaltung! Will man das wirklich?

Zu beachten ist doch:

  1. Staats- und Privatwirtschaftsverwaltung kann nicht alle politischen und gesellschaftlichen Erfordernisse und Lebensbereiche erfüllen und regeln!
  2. Staatsverwaltung – im Sinne auch von Staatspolitik – unterliegt immer mehr Außeneinwirkungen von internationaler Politik, Real- und Finanzwirtschaft sowie den Medien!
  3. Staatsverwaltung verliert immer mehr den Zusammenhalt mit Wählern, entfernt sich damit immer mehr vom zentralen Grundsatz der Demokratie, wird zum realfremden Selbstzweck!
  4. Zwischenergebnis: es ist eine Reformunwilligkeit und Reformunfähigkeit der Politik eingetreten!

Demgegenüber:

  1. Sind Gesellschaft und Wirtschaft weitgehend „intakt und in Form“, „funktionieren“ sie sehr gut zum Wohle unseres Landes und unserer Bevölkerung!
  2. Mit ein Grund dafür ist sicherlich das „Funktionieren“ der Selbstverwaltung, die mehr ist und sein kann, ja sogar will, als Sozialpartnerschaft, die allerdings für sich allein einen sehr hohen Wert hat!
  3. Am Beispiel der Ärztekammern dargestellt zeigt sich doch, dass Staatsaufgaben
    • im übertragenen Wirkungsbereich, wie zum Beispiel Ausbildungsangelegenheiten, Qualitätssicherung der ärztlichen Berufsausübung, Regelungen zur ärztlichen Berufsausübung betreffend die Aufklärung und Dokumentation;
    • im eigenen Wirkungsbereich sogar Behördenfunktionen, wie zum Beispiel Verleihung wie Entziehung der ärztlichen Berufsbefugnis, Qualitätssicherung der ärztlichen Berufsausübung sowie Fort- und Weiterbildung, Führung der Ärzteliste, Disziplinarwesen, Verträge mit der Sozialen Krankenversicherung für die ambulante Gesundheitsversorgung der Bevölkerung

    übernommen werden.

  4. Die Selbstverwaltung übernimmt somit nicht nur die Wahrnehmung der Interessenvertretung der eigenen Mitglieder, die unter dem Privileg der Pflichtmitgliedschaft stattfindet. Damit verbunden ist eine besondere Verantwortung für und gegenüber den Kammerangehörigen. Aber auch gegenüber der Gesellschaft: Pflichtmitgliedschaft erlaubt keinen Standesegoismus!
  5. Das demokratische Auswahlverfahren – in der und für die Selbstverwaltung – ist in der Regel besser als das der Landes- und Bundespolitik: die zur Wahl stehenden Mandatare müssen im Beruf stehen um diesen und ihre Kollegen glaubwürdig zu vertreten, müssen eine besondere Qualifikation und eine unmittelbarere demokratische Legitimation haben.
  6. Die Zusammenarbeit der Selbstverwaltungsorgane mit ihrer Administration ist enger, unkomplizierter und effizienznotwendiger als in der Landes- und Bundespolitik.
  7. Die ärztliche Selbstverwaltung nimmt den ihr von Politik und Gesetz übertragenen Versorgungsauftrag zur Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen mit Hilfe eigener beruflicher Wahrnehmung und persönlicher Patienten-Verantwortung wahr!
  8. Die Selbstverwaltung wurde 2008 wegen ihrer staatspolitischen Bedeutung sogar in die österreichische Bundesverfassung aufgenommen!
  9. Denn, die Selbstverwaltung hat gesetzliche, Lobbyisten hingegen verdeckte Aufgaben! Ein Vergleich ist also unzulässig, sinnlos und auch bedeutungslos, jedenfalls für die Selbstverwaltung; denn diese wird sich durch den nunmehrigen Gesetzesversuch in ihren Aufgaben nicht beirren lassen!

Resümee: die Selbstverwaltung hat also viele Vorteile gegenüber der Landes- und Bundespolitik und unverzichtbare Aufgaben für Staat und Gesellschaft. Die „Politik“ wie man sie so gerne verkürzt und unpersönlich bezeichnet, sollte also der Selbstverwaltung nicht eifersüchtig, hoheitlich oder gar abwertend, etwa durch Gleichsetzung mit Lobbying, gegenübertreten. Denn die „Politik“ wird eine starke Selbstverwaltung – jedenfalls aus innerstaatlicher Sicht – als stabilisierende Kraft dringend benötigen!


*) Dr. Karlheinz Kux ist Kammeramtsdirektor der ÖÄK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2011