Kinder- und Jugendpsychiatrie: Zwei-Klassen-Medizin

25.02.2011 | Politik

In Österreich liegt das ärztliche Versorgungsangebot im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Argen. Das trifft für den stationären genauso zu wie für den niedergelassenen Bereich. Die Folgen sind nicht nur eine Unterversorgung, sondern auch empfindliche Zugangsbarrieren, speziell für sozial schwächere Familien.
Von Ruth Mayrhofer

Seit langem ist klar: Der Wandel der Krankheitsspektren und soziale Veränderungen, gepaart mit einer Verschiebung von somatischen zu psychischen Störungen mit hoher Persistenz lassen den Bedarf der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung in die Höhe schnellen. Im Durchschnitt werden in Deutschland anhand einer Studie aus 2007 immerhin zehn Prozent der Bevölkerung in diesem Feld als „behandlungsbedürftig“ eingestuft. Dieses Ergebnis, das auch für Österreich umgelegt werden kann, bedeutet, dass hierzulande rund 180.000 Personen einer Therapie bedürfen.

Allein: Weder in den Krankenhäusern noch im niedergelassenen Bereich stehen ausreichend gut ausgebildete Fachärzte zur Verfügung. Orientierungszahlen, dass etwa auf 300.000 Einwohner eine Spitalsabteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie kommen sollte oder ein niedergelassener Facharzt pro 80.000 Einwohner zur Verfügung stehen sollte, werden in Österreich bei weitem nicht erreicht.

Versorgung im „Teufelskreis“

Die Gründe dafür liegen in einem „Teufelskreis“: Zum einen stehen an den Krankenhäusern nicht ausreichend Ausbildungsplätze für angehende Fachärzte zur Verfügung, was automatisch zu einem Nachwuchsproblem führt. Erringt jemand dennoch einen durchaus begehrten Ausbildungsplatz in dieser Disziplin, wird ihm oder ihr die Niederlassung auch nicht gerade leicht gemacht: Nach wie vor handelt es sich um reine Wahlarztpraxen. So gibt es in ganz Österreich derzeit nur in Vorarlberg eine einzige (!) Facharztpraxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit einem §2-Kassenvertrag. In Niederösterreich läuft zur Zeit die Evaluierung eines Pilotprojektes in Sachen „fixe Kassenpraxis“, deren Ergebnisse im April 2011 mit der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse diskutiert werden sollen, wie Charlotte Hartl, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Purkersdorf (Niederösterreich), berichtet.

Alles im Fluss?

Hartl, die sich seit Jahren für eine Verbesserung der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung in Österreich einsetzt, mahnt: „Wir brauchen flächendeckend in den Krankenhäusern Abteilungen, die zukünftige Fachärzte ausbilden, und wir brauchen verbesserte Bedingungen für die freie Niederlassung von Fachärzten, die ihre Leistungen auch mit den Kassen verrechnen können!“ Im Fall der Ausbildungsplätze müssten die Spitalsträger österreichweit lediglich die Empfehlungen des Österreichischen Strukturplanes Gesundheit (ÖSG) umsetzen; dieses Kriterium wird jedoch nur in Ausnahmefällen erfüllt. Was die Kostenübernahme der Krankenkassen im Bereich der niedergelassenen Arztpraxen betrifft, ist die Ärztin vorsichtig optimistisch: Entsprechende Verhandlungen seien gerade im Laufen, lässt sie wissen. Auch das Bundesministerium für Gesundheit hätte sich im Rahmen des Gesundheitsdialoges dieser Thematik angenommen. Die Zielvorstellungen der auch hier laufenden Gespräche: die Erfüllung der ÖSG-Kriterien und der flächendeckende Ausbau von „Kassenstellen“. Hartl attestiert dem Ministerium dabei eine „ganz gute Unterstützung“, und berichtet, dass auch der Hauptverband – der ja letztlich für die Kostenübernahme sorgen soll – „vorsichtiges Entgegenkommen“ signalisiert hat.

„Das Interesse von jungen Ärzten an einer Ausbildung im Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie ist gegeben“, weiß Hartl. Aber: Die Stolpersteine sind fast unüberwindlich. Hartl weiter: „Bleibt die Situation in Österreich so wie sie ist, dann werden noch viel stärker als schon bisher Ärzte für die Ausbildung oder genauso ‚fertige‘ Fachärzte ins Ausland abwandern, weil dort Bezahlung und Arbeitsbedingungen ganz einfach besser sind.“ Österreich – und damit jene Patienten, die dringend Hilfe brauchen – bliebe in diesem Fall auf der Strecke; nur nicht die schmale Schicht Personen, die zu den fünf Prozent der besser situierten Bevölkerung zählen, und die, wie Hartl es ausdrückt, „es sich richten (sprich: zahlen) können“. Aus ihrer Sicht sei daher gerade die Kinder- und Jugendpsychiatrie „ein klarer Fall von Zwei-Klassen-Medizin, und das halte ich für ethisch nicht vertretbar“.

Für Wien wurde am 30. September vergangenen Jahres ein neuer Gesamtvertrag ausverhandelt, der die Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit einschließt, wie Sabine Schuh, stellvertretende Kurienmanagerin der Kurie Niedergelassene Ärzte der Ärztekammer für Wien berichtet. Darin vorgesehen ist ein Pilotprojekt, das mit zwei Jahren anberaumt ist und das einen Kostenzuschuss für die Patienten vorsieht, die dann diese Leistungen gemäß Wahlarztsystem von der Wiener GKK rückerstattet bekommen. Dabei orientiert man sich an Vorarlberg und Kärnten, wo eine Wahlarzt-Rückerstattung bereits Usus ist. Noch dieses Jahr sollen auch die Verhandlungen für einen neuen Tarifkatalog abgeschlossen werden. Weiters ist geplant, dass es 2012 in Wien eine erste Kassenplanausschreibung geben soll. Frühestens am 1.1.2013 könnte dann ein Vertragsbeginn erfolgen. Dazu der Kurienobmann der Niedergelassenen Ärzte, Günther Wawrowsky: „Ziel bei der Versorgung muss es sein, dass es eine Honorarordnung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Rahmen des Gesamtvertrages gibt.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2011