Kind als Schaden: Stellungnahme der ÖÄK

25.03.2011 | Politik


Zum Begutachtungsentwurf des allgemein bürgerlichen Gesetzbuches, wonach aus dem Umstand der Geburt eines Kindes niemand Schadenersatzansprüche geltend machen könne – ausgenommen davon wären Schadenersatzansprüche aus einer Verletzung des Kindes während der Schwangerschaft oder der Geburt – hat die ÖÄK dem Bundesministerium für Gesundheit folgende Stellungnahme übermittelt.

Ausgangssituation

In den letzten Jahren wurde dieses sensible Thema sowohl aus medizinischer, rechtlicher, als auch aus ethischer Sicht umfangreich diskutiert.

Der OGH hat sich mehrfach mit der Frage der Geburt behinderter Kinder im Rahmen eines Schadenersatzprozesses (Mehraufwand beziehungsweise gesamter Unterhalt inkl. Mehraufwand) gegen ÄrztInnen nach Beratungs- oder Aufklärungsfehlern auseinandergesetzt und dazu (leider) keine einheitliche Rechtsposition bezogen.

In dem Zusammenhang ist festzustellen, dass in der Judikatur dem Arzthaftungsrecht generell, aber auch der Frage „wrongful birth“, immer größere Bedeutung zukommt. Zu erwähnen ist, dass sich die Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht in den letzten Jahren zu einer Art Auffangtatbestand entwickelt hat, vor allem dann, wenn kein Behandlungsfehler nachgewiesen werden kann – wobei in vielen Fällen die Aufklärungsfrage allein (die zudem nicht näher geregelt ist) zu umfassenden Schadenersatzansprüchen führen kann. Dies reicht von Aufklärungsverfehlungen bei banalen Impfungen bis zu hochspezifischen Themen, wie der Prognose einer Behinderung eines Kindes. Die Anforderungen an die Aufklärung des Arztes/der Ärztin werden immer höher. Im Prinzip ergibt sich daraus eine idente Sanktion bei mangelnder Aufklärung wie bei Behandlungsfehlern.

Nach geltendem Recht kann die Geburt behinderter Kinder Schadenersatzansprüche auslösen, auch wenn das Verhalten des behandelnden Arztes eine Behinderung nicht schuldhaft herbeigeführt hat; schon allein eine zu wenig nachdrückliche Aufklärung darüber, ob eventuell eine Behinderung vorliegt (Verdachtsdiagnose beziehungsweise Prognose) kann haftungsbegründend sein.

Dies hat dazu geführt, dass ÄrztInnen zunehmend unter dem Druck diverser (uneinheitlicher) Entscheidungen des OGH bei der Wahrnehmung der Aufklärung stehen. Rechtsnormen, wie eine gesetzeskonforme Aufklärung zu erfolgen hat, gibt es nicht. Die Sorge vor permanenten Haftungsrisken nimmt zu beziehungsweise führt zu schwerwiegenden Verunsicherungen innerhalb der Ärzteschaft.

Unterschiedlicher Bewertungsmaßstab

Zu dieser Rechtsunsicherheit kommt der unterschiedliche Zugang an die Ausübung der jeweiligen Wissenschaft zwischen ÄrztInnen und JuristInnen: Der Arzt/die Ärztin arbeitet in erster Linie mit kranken Menschen. Krankwerden ist ein Schicksal, das nicht planbar, erwartbar, berechenbar, Teil des menschlichen Lebens ist. Während der Arzt/die Ärztin in erster Linie die möglichst vollständige Wiederherstellung der Gesundheit unter Einsatz seines fachlichen Wissens und Können nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft, das Wohlergehen, die persönliche Sorge des Patienten/der Patientin, im Auge hat und die Arzt-Patient-Beziehung auf ein Vertrauenkönnen ausgerichtet ist, stellt das Recht immer höhere Ansprüche an die ex post überprüfbare „Richtigkeit“ des Vorgehens.

Der Arzt muss sich absichern, dass die Aufklärung ex ante und laufend den Anforderungen einer ex post-Überprüfung Stand hält. Er hat zu einem möglichst frühen Zeitpunkt alle Befundungen, vielleicht auch nur Wahrnehmungen – oftmals nach subjektiver Einschätzung, das heißt ohne gesicherte Diagnose – zu kommunizieren (und zwar: einfühlsam, zurückhaltend, auf die Persönlichkeit des Patienten eingehend, ständige Gesprächsbereitschaft signalisierend, sich um die Auswirkungen auf die PatientInnen kümmernd, versichernd, dass der Patient/die Patientin alles verstanden hat). Dabei befindet er/sie sich oftmals noch im diagnostischen oder therapeutischen Unsicherheitsbereich (weil zum Beispiel weitere Untersuchungen zu erfolgen haben) oder im Stadium des Ausschlusses weiterer möglicher Optionen beziehungsweise unklarer Prognose. Man erwartet vom Arzt/der Ärztin in jedem Stadium der Behandlung die entsprechende Aufklärung.

Nach der Rechtslage ist die ärztliche Behandlung zivilrechtlich als rechtswidriger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten anzusehen. Sie findet ihre Rechtfertigung durch die Einwilligung des Patienten/der Patientin. Eine Einwilligung kann nur nach erfolgter Aufklärung gegeben werden. In der Rechtsprechung wird der Fall ex post beurteilt. Die Frage, in welchem Umfang der Arzt/die Ärztin den Patienten/die Patientin aufklären muss, ist nach der Judikatur – unserer Meinung nach unrichtigerweise – eine Rechtsfrage, die nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten ist. (vgl. Das „typische“ Behandlungsrisiko als Aufklärungskriterium, Eckhard Pitzl, Gerhard W. Huber, RdM 2011/2).

Konsequenzen

Die hohen Anforderungen der Rechtsprechung an die Aufklärung und der Umstand, dass es derzeit keine gesetzlichen Bestimmungen darüber gibt, führen – wie bereits erwähnt – zu einer Verunsicherung der behandelnden ÄrztInnen und damit zu Verunsicherung in der Arzt-Patientenbeziehung, die auch gesundheitspolitische Konsequenzen mit sich bringt (beispielsweise sei erwähnt: Defensiv- und Absicherungsmedizin, Mehrfachuntersuchungen, überbordende Bürokratie, etc.). Gewisse Leistungen werden auf Grund des Haftungsrisikos nicht mehr oder nicht mehr in diesem Ausmaß angeboten (zum Beispiel Impfungen, Screenings, Pränataldiagnostik, etc.).

Pränataldiagnostik

In den Judikaten betreffend die Pränataldiagnostik wird der Arzt/die Ärztin zur Haftung herangezogen für ein Verhalten, das eine Behinderung nicht schuldhaft herbeigeführt hat, weil er/sie bei oftmals nicht gesicherter Diagnose und Prognose nicht entsprechend informiert hat. Es erhebt sich in dem Zusammenhang die Frage was wäre, wenn die Fehlbildung (welcher Art und in welchem Ausmaß auch immer) rechtzeitig erkannt worden wäre, wäre es die Pflicht des Arztes, über die Möglichkeit zur Abtreibung aufzuklären, ja sogar darüber zu beraten? Derzeit wird er/sie praktisch dazu gezwungen, um sich vor allem keinen haftungsrechtlichen Gefahren auszusetzen. Dies führt auch zu einer Verunsicherung der werdenden Eltern, zu einem Druck, sich allenfalls für eine Abtreibung zu entscheiden.

Lösungsvorschlag

Die Österreichische Ärztekammer spricht sich generell für klarstellende Regelungen betreffend ärztliche Aufklärung aus, die wir zur Vermeidung von Unsicherheit als höchst notwendig und dringend erachten und die den verschiedenen Ebenen des Gesundheitswesens und der Leistungserbringung Rechnung tragen sollen. Die Absicht des BMJ, das Haftungsrecht weiterzuentwickeln mit dem Ziel, das Patienten-Arzt-Verhältnis zu stärken, wird ausdrücklich begrüßt. Auch die Veränderung des Haftungsmaßstabes für Aufklärungsfehler auf grob fahrlässiges bis vorsätzliches Verhalten wäre unserer Ansicht nach wünschenswert.

Eine entsprechende gesetzliche Klarstellung wird zweifellos einen Beitrag dazu leisten, dass bei der sorgfältigen ärztlichen Betreuung von Kind und werdenden Eltern die Konzentration auf deren Wohl ermöglicht bleibt, ohne zugleich durch defensivmedizinische Erwägungen – die auch in den Erläuterungen klar benannt werden – vom eigentlich grundlegenden ärztlichen Handlungsauftrag abgelenkt zu werden. Wobei dem Umstand, ob der Arzt eine Behinderung eines Kindes schuldhaft verursacht hat, oder ob er/sie eine mangelnde Heilung beziehungsweise Linderung einer Behinderung verschuldet, beziehungsweise sein Verhalten nicht für das Entstehen einer Behinderung ursächlich war, mit dem gegenständlichen Entwurf Rechnung getragen wird.

Zudem soll im Rahmen der Qualitätssicherung eine patienten- und bedarfsgerechte, medizinisch-fachlich qualifizierte Versorgung sichergestellt werden.

Wichtig erscheint uns in diesem Zusammenhang, dass Eltern, deren finanzielle Lage durch die Behinderung ihres Kindes aufgrund des Mehrkostenaufwandes schwer belastet ist, größtmögliche Unterstützungsleistungen erhalten. Diese im vorletzten Absatz des Abschnitts „Besonderer Teil“ angekündigten „neuen entsprechenden sozial- beziehungsweise familienrechtlichen Regelungen“ zur Gewährung von emotionaler, sachlicher und finanzieller Unterstützung erscheinen uns dringend notwendig. Ein weiterer Vorschlag wäre, dass die spezielle Pränataldiagnostik nur mehr in Spitalsambulanzen vorgenommen werden soll. Mit einem Kostenbeitrag im Sinne des § 27a KAKuG könnte im Haftungsfall ein sozialer Ausgleich erwirkt werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2011