Interview – Univ. Prof. Hans-Konrad Selbmann: Intransparenz durch Transparenz?

25.01.2011 | Politik

Ein zu viel an Transparenz ist beim Qualitätsmanagement ebenso schädlich wie der Versuch, Qualitätsmanagement zu verordnen, sagt der Versorgungsforscher und Epidemiologe mit Schwerpunkt Qualitätsmanagement an der Universität Tübingen,
Univ. Prof. Hans-Konrad Selbmann
, im Gespräch mit Birgit Oswald.


ÖÄZ: Welche Kernpunkte gibt es bei der Qualitätsberichterstattung?

Selbmann: Die Berichterstattung über die Qualität ist neben der Planung, Lenkung und Verbesserung ein Teil des Qualitätsmanagements und hat verschiedene Funktionen: zum einen soll sie Rechenschaft ablegen gegenüber der Bevölkerung, dass im Gesundheitswesen alles funktioniert, zum zweiten gegenüber den Finanziers und zum dritten hat sie eine Benchmarking-Funktion für die Leistungserbringer. Im Zuge der Qualitätsberichterstattung sollte über die am Patienten abzulesende Ergebnisqualität berichtet werden, bei der aber immer wieder die Messbarkeit und der Kausalbezug in Frage zu stellen ist. Daher ist es wichtig, dass auch über die Behandlungsprozesse berichtet wird und auch über die Strukturen, nicht zu vergessen über die Qualitätsarbeit. Berichtet man nur über die Ergebnisqualität von Behandlungen in der Vergangenheit, sind mögliche Fehler in den Versorgungsprozessen ja schon gelaufen. Für den neuen Patienten ist es aber relevant, wie gut zum Beispiel das Krankenhaus aktuell ist. Da kann die dargelegte Qualitätsarbeit eines Krankenhauses sehr viel Vertrauen schaffen.

Von welchen Punkten ist Ihrer Erfahrung nach abzuraten?
Alle Länder, deren Gesundheitssysteme ich angesehen habe, setzen derzeit auf Detailtransparenz. Diese werden u.a. stark von Patientenvertretern aber auch den Finanziers gefordert. Die überzogenen Transparenzforderungen führen jedoch dazu, dass Unmassen an Qualitätsdaten zur Verfügung gestellt werden, die kein Bürger lesen und überblicken kann. Diese Daten sollten in einer Art Qualitätsbericht zusammengefasst werden. In deren bürgernahen Gestaltung liegt eine der zukünftigen Herausforderungen. Hierbei können auch hochwertige Zertifizierungen eine Rolle spielen, deren Ziel ja auch die Darlegung von Qualität ist. Zu viel Transparenz führt auf jeden Fall zu Intransparenz.

Wie viel Transparenz ist dann genug?

Ein Patient kann sehr gut beurteilen, wie man mit ihm umgegangen ist, ob er richtig aufgeklärt wurde, ob seine Intimsphäre gewahrt wurde, ob das Krankenhaus sauber war und so weiter. Das möchte der Patient ja auch, direkt oder indirekt, wissen, wenn er seine Bekannten und Freunde auf der Suche nach einem guten Krankenhaus fragt. Ich könnte mir vorstellen, dass man eine einheitliche Patientenbefragung einführt, zu fünf bis sechs Themen, wie Sauberkeit, Wartezeit, Angehörigenbetreuung, Zugänglichkeit etc. Die Ergebnisse der systematischen Patientenbefragungen könnte man dem suchenden Patienten im Vergleich vermitteln, sodass er erkennen kann, was ihn in welchem Spital erwartet. Der Patient wird in der Regel die medizinische oder pflegerische Qualität eines Krankenhauses alleine nicht beurteilen können. Dafür braucht er einen Berater. Das könnte ein Patientencoach wie zum Beispiel der Hausarzt, eine unabhängige Beratungsstelle oder ähnliches sein. Ob Patienteninformationen aus dem Internet das leisten können, bezweifle ich zurzeit.

Wie können die Krankenanstalten solche Daten ihren Patienten vermitteln? Könnte das über die Homepage laufen?
Ja, in Großbritannien zum Beispiel gibt es inzwischen einen Qualitätsbericht, in dem man beispielsweise nachlesen kann, welche Erfahrungen die Patienten mit dem Krankehaus gemacht haben, welche Qualitätsziele sich das Krankenhaus im vergangenen Berichtszeitraum gesetzt hatte und welche es künftig sein werden. So kann man erkennen, ob die Ziele erreicht wurden. Einen ähnlichen, ebenfalls verpflichtenden Krankenhausqualitätsbericht gibt es auch in Deutschland, allerdings mit einem größeren Verbesserungspotenzial.

Macht es Sinn, dass jede Krankenanstalt ihr eigenes Qualitätsmanagement betreibt oder sollte das vereinheitlicht werden?
Das interne Qualitätsmanagement muss jedes Haus für sich betreiben. Strukturelle Anforderungen daran können von außen vorgegeben werden, aber die Umsetzung und die kontinuierliche Weiterentwicklung müssen intern passieren. Das einzelne Krankenhaus tut dabei gut daran zu schauen, was die anderen Häuser machen. Hilfestellung von außen ist ein wichtiger Punkt. Dazu ist in Österreich ja eine Plattform geplant, um den Krankenanstalten Vergleichsmöglichkeiten zu geben. Vereinheitlichen lässt sich die Qualitätsdarlegung, also die Berichterstattung. Dazu braucht man ja auch eine gewisse Vergleichbarkeit.

Was halten Sie von der nationalen Qualitätsstrategie für Österreich?
Die Strategie finde ich, so weit ich sie kenne, in Ordnung. Ein gemeinsames Ziel zu haben, das auf die Verbesserung der Versorgung zielt, ist klassisches Qualitätsmanagement-Denken. Die Plattform steht ja erst am Anfang ihrer Entwicklung. Man muss sicher noch über einiges nachdenken, wie etwa über die Offenlegung von Qualitätsindikatoren zur Leitlinienkonformität, zur Mortalität oder zu Infektionen. Aber die Plattform ist ein ganz wichtiger erster Schritt.

Welche Vorgehensweise bezüglich Qualitätsmanagement sind – jetzt im internationalen Kontext gesehen – für Österreich empfehlenswert?

Dazu kenn ich das österreichische Gesundheitswesen zu wenig. Grundsätzlich empfiehlt es sich nicht, Versorgungsziele anderer europäischer Länder auf das eigene Land zu übertragen, da die Wertvorstellungen und Bedürfnisse doch zu unterschiedlich sind. Aus internationaler Perspektive schaden ein zu viel an Transparenz und auch der Versuch, internes Qualitätsmanagement verordnen und detailliert vorschreiben zu wollen. Man muss auch vor einer zu starken Bürokratisierung im Qualitätsmanagement warnen!

Ist ein eigener Wirtschaftszweig durch das Qualitätsmanagement geschaffen worden?
Das ist eine heiße Frage. Mir ist die Qualität wichtiger als die Ökonomie. Wenn etwas belegt notwendig ist für die Versorgung der Patienten, dann muss die Ökonomie oder die Finanzierung nachstehen. Das Spital muss sich im Klaren sein, ob es das Geld in die Verwaltung oder Patientenbetreuung steckt. In erster Linie muss die Versorgung stimmen. Solche Opportunitätskosten gibt es in Praxen und in Krankenhäusern immer. Man muss mit den vorhandenen Mitteln das bestmögliche für den Patienten herauswirtschaften.

Wie beurteilen Sie die Bedeutung von Leitlinien?
Hochwertige Leitlinien sind Instrumente, um gute Qualität zu erbringen. Man misst oft die Prozessqualität an der Leitlinienkonformität. Gute Leitlinien auf der Basis vorhandenen Wissens zu erstellen, ist eine große Herausforderung für die deutschen wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften. Leitlinien auf dem Papier reichen aber nicht, erst die Umsetzung in den Versorgungsalltag bringt die verbesserte Qualität. In Deutschland ist es keineswegs so, dass alle Krankenhäuser oder Praxen ihre Patienten leitliniengerecht versorgen. Daher sollte der Qualitätsbericht Aussagen enthalten, welche Leitlinien entsprechend umgesetzt worden sind. Die Implementierung von hochwertigen Leitlinien in den Versorgungsalltag ist ein wichtiger Teil des Qualitätsmanagements.

Wie sind Sie zum Qualitätsmanagement gekommen?

Qualität kann man nur verbessern, wenn man seine Verbesserungspotenziale kennt. Als gelernter Informationsverarbeiter – also Informatiker, Statistiker und Epidemiologe – habe ich früh gelehrt, wie wichtig die richtigen Informationen und eine zielführende Kommunikation im Gesundheitswesen sind.

Zur Person

Prof. Dr. rer. biol. hum. Dipl.-Math. Hans-Konrad Selbmann

Geb. 1941 in Stuttgart
1960-1967: Studium der Mathematik an der Technischen Hochschule Stuttgart
1972: Promotion zum Dr. rer. biol. hum. an der Universität Ulm
1976: Habilitation für das Fach „Medizinische Statistik und Datenverarbeitung“ an der Universität Ulm
1980-1984: C3-Professor und stellvertretender Institutsleiter des Instituts für Medizinische Informationsverarbeitung, Statistik und Biomathematik der
LM-Universität München
1984-2007: C4-Professor für Medizinische Informationsverarbeitung; seit 1986 auch geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinische Informationsverarbeitung der Universität Tübingen
1993-1997: Gründungsvorsitzender der Fachgesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung e.V. (GQMG)
1993-1995: Pro-Dekan und Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen
2004-heute: Vorsitzender der Ständigen Kommission für Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF)
2006-heute: Mitglied des Präsidiums der Arbeitsgemeinschaft Medizinischer Wissenschaftlicher Fachgesellschaften (AWMF)
Publikationen: Mehr als 435 Artikel und Bücher und mehr als 600 Vorträge zu Themen der Versorgungsforschung und des Qualitätsmanagements, der Epidemiologie, der Medizinischen Statistik und der Medizinischen Informatik.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2011