Interview – Dr. Martin Andreas: Turnus in Schieflage?

25.01.2011 | Politik

Leere Kilometer könnten gespart werden, wenn man unmittelbar nach dem Studium mit der Facharztausbildung beginnen könnte – wie dies etwa in Deutschland möglich ist. Was es in der Ausbildung sonst noch zu verbessern gilt, erläutert der Jungärztereferent der Ärztekammer Wien, Martin Andreas, im Gespräch mit Birgit Oswald.

ÖÄZ: In Krankenhäusern in der Peripherie werden mittlerweile Turnusärzte dringend gesucht. Kann man von einem Turnusärztemangel sprechen?
Andreas: Es gibt Spitäler, die jetzt anfangen, intensiver zu suchen, dadurch wird zum einen das Angebot sowie die Ausbildungsqualität verbessert, zum anderen werden die Interessen der Turnusärzte Ernst genommen. Bis jetzt war es so, dass es immer genug Turnusärzte gab, die günstig und ersetzbar waren. Eine gewisse Zahl an Turnusstellen ist auch planmäßig vorgesehen. Über Jahre hat es sich eingebürgert, dass man den Turnus vor der Facharztausbildung absolviert, damit sie mit dem ius practicandi selbstständig tätig sein können zum Beispiel am Wochenende im Dienst oder im Nachtdienst. Der Turnus muss aber nicht verpflichtend vor einer Facharztausbildung absolviert werden. Die Facharztausbildungen wurden dafür konzipiert, um sie gleich nach dem Studium beginnen zu können. Es könnten leere Kilometer in der Ausbildung gespart werden, die gewonnene Zeit könnte mit postgradueller Fortbildung, mit einer Spezialisierung oder mit schon wirksamer Zeit in der Ordination genutzt und einem Facharztmangel in Österreich entgegengesteuert werden. Denn wenn man nach Deutschland geht, kann man sofort mit der Facharztausbildung beginnen.

Wie schätzen Sie die Bereitschaft der Jungärzte, nach Deutschland zu gehen, ein?
Ich glaube, die Bereitschaft wird im Vergleich zu den letzten Jahren deutlich größer. Es gibt einen Pressebericht, der von 400 Absolventen österreichweit spricht, die nach Deutschland gehen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der österreichischen Ärzte in Deutschland verdreifacht und beträgt jetzt schon über 2.000. Der Vorteil ist, dass das Angebot dort viel besser ist. Der Nachteil ist, dass man dann schwer in das österreichische System zurückkommt. Wenn man nicht eine spezielle Qualifikation hat, ist es meistens so, dass eher die Fachärzte eine fixe Stelle im Spital bekommen, die man schon aus der Ausbildung kennt. Das gilt aber nicht für den niedergelassenen Bereich oder für Wahlärzte.

Was läuft also schlecht im heimischen System?

Der Großteil der Aufgaben im Spital ist so verteilt, dass sie von Turnusärzten zu erledigen sind und deren Arbeitszeit nicht optimal genutzt wird. Es bedarf neben einer mentalen Umstrukturierung auch einer personellen Umstrukturierung, dafür sind die Krankenanstaltenträger aber nicht bereit. Die Aufgaben müssen sich verschieben, Dokumentations- und Systemerhaltertätigkeiten von den Medizinern weg zu anderen Kräften. Derzeit ist es leider nicht so, dass andere Berufsgruppen Aufgaben wie Blutabnehmen, die in anderen europäischen Ländern schon lange von nicht-ärztlichen Fachkräften gemacht werden, übernehmen. Die Schwestern lernen die Tätigkeiten zwar in der Krankenpflegefachschule, machen das aber nie. Die Absolventen der Medizinuniversität wollen echte ärztliche Arbeit – also wie man gastroskopiert, Anamnesen erhebt, gut internistisch diagnostiziert – lernen, nicht die Hilfstätigkeiten. Auch beim Pflegepersonal muss es zu Verschiebungen kommen, Essen austeilen, Körperpflege etc. sollen auch nicht-diplomierte Krankenpfleger machen. Oberösterreich ist ein gutes Beispiel, dort hat man das schon umgestellt.

Was kann mit einer Aufgabenumstrukturierung erreicht werden?

Das Ziel ist, österreichische Absolventen konkurrenzfähig zu machen und den österreichischen Arbeitsmarkt im internationalen Umfeld konkurrenzfähig zu halten. Es gibt nach Beendigung der Facharztausbildung noch genug Zusatzqualifikationen, die man lernen muss. Wenn man erst mit 38 Jahren Facharzt ist, dann ist es dafür sehr spät. Das ist aber üblich in Österreich.

Wird sich in Österreich etwas ändern?
Auf die Bevölkerungszahl gerechnet hat Österreich 10.000 versorgungswirksame Ärzte mehr als Deutschland, noch ist also nichts zu merken. Man wird erst etwas tun, wenn man die Auswirkungen deutlich spürt. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass mehr Studienplätze geschaffen werden. Studienplätze haben wir genug, wir haben nur einen potentiellen Facharztmangel, der sich in ein paar Jahren realisieren wird, wenn eine Pensionierungswelle auf uns zukommt! Dem kann nur entgegengewirkt werden, indem mehr Leute in die Facharztausbildung gelassen werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2011