Interview – Dr. Frank Ulrich Montgomery: Rund um die Uhr – nein danke

15.08.2011 | Politik



Als Führer des größten Spitalsärzteprotestes mit Erfolgen dekoriert, wurde Frank Ulrich Montgomery zum neuen Präsidenten der deutschen Bundesärztekammer gewählt. Die stark abnehmende Attraktivität des Berufes, Nachwuchssorgen, drohender Ärztemangel und schwierige ethische Probleme warten auf Lösungen. Der oberste Repräsentant von über 400.000 Ärztinnen und Ärzten im ÖÄZ-Gespräch mit Martin Stickler.


ÖÄZ: Vor einigen Jahren haben Sie erfolgreich die bisher größte Protestbewegung der Spitalsärzte-Gewerkschaft in Deutschland angeführt. Laut und kämpferisch. Ist das ein kleiner Vorgeschmack, wie Sie als Präsident der Bundesärztekammer agieren werden?

Montgomery: Die Rolle eines Kammerpräsidenten ist eine völlig andere als die eines Gewerkschaftsvorsitzenden. Ein Präsident hat auch übergeordnete Pflichten gegenüber der Gesellschaft. Dennoch ist die klare Sprache beiden erlaubt, und die deutliche Auseinandersetzung auch. Aber der Stil wird ein anderer sein.

Was erwartet Sie in Ihrem Amt?

Zunächst haben wir eine intensive Debatte um ethische Probleme, bei denen die Kammer eine gewichtige Rolle spielt. Präimplantationsdiagnostik und ärztlich assistierter Suizid seien da erwähnt. Das geht von gesellschaftlichen Fragen wie die gesetzliche Verankerung von Patientenrechten bis hin zu klassischen Versorgungsfragen: Wie gehen wir mit dem drohenden Ärztemangel um, wie verbessern wir die Versorgung der Patienten, wie vertreten wir die Position der Ärzte? Vor allem haben wir klar zu machen, dass die Ärzte in den letzten Jahren zu viele Federn lassen mussten.

Sie meinen Arbeitsbedingungen und Einkommen.
Sowohl die Arbeitsbedingungen wie das Einkommen der Ärzte haben sich erheblich verschlechtert. Wir erleben in Deutschland eine Abwanderung von Ärzten und das verschärft den schon bestehenden Ärztemangel sowohl auf dem Land wie in sozial schwierigen Stadtteilen. Da muss man natürlich gegensteuern. Und in einem modernen Gesellschaftssystem geht so was nur mit Anreizen, mit Strafen oder Zwangsmaßnahmen verschärft man die Situation nur.

Lässt sich der Ärztemangel quantifizieren?
Wir wissen, dass etwa 5.500 Ärztestellen in deutschen Krankenhäusern derzeit nicht besetzt werden können. Uns fehlt einfach der entsprechende Nachwuchs. Darüber hinaus gibt es den Ärztemangel auf dem Land, der sehr viel schwerer zu quantifizieren ist. Es gibt Berechnungen, die für das Jahr 2020 von einem Mangel von 40.000 Ärzten ausgehen. Eigentlich bilden wir genügend Ärzte aus. Diese sind nur unter den jetzigen Arbeitsbedingungen und den unzureichenden Gehältern nicht bereit, in die kurative Medizin zu gehen. Da müssen die Stellschrauben schnell nachjustiert werden, sonst werden wir auf Dauer unter einer Mangelversorgung in der Medizin leiden.

Nun pflegen Österreich und Deutschland gute nachbarschaftliche Beziehungen. Mehr als 50 Prozent der Bewerber zum österreichischen Medizinstudium kommen aus Deutschland und zurzeit versucht Deutschland, die Ärzteflucht auch durch österreichischen Ärzteimport zu kompensieren.
Das ist gelebtes Europa. Außerdem haben Österreicher und Deutsche keine Sprachprobleme, mal von den anekdotischen abgesehen. Wir haben heute eine junge Generation von Ärzten, die sehr viel weltgewandter ist als wir es waren.

Sie haben die Veränderung der Rolle vom Gewerkschaftsführer zum Präsidenten der Bundesärztekammer bereits angesprochen. Jetzt sind Sie auch für die niedergelassenen Ärzte verantwortlich. Wo sind hier die aktuellen Probleme?
Ich stamme aus einer alten Hamburger Arztfamilie. Meine Mutter hatte am Ende der Reeperbahn eine Allgemeinarztpraxis, meine Frau ist als Allgemeinärztin in Hamburg niedergelassen. Ich kenne die Probleme beider Sektoren. Was momentan am meisten drückt, ist eine als unzureichend empfundene Honorierung, insbesondere der Allgemeinärzte. Die Vorgängerregierung hatte in dieser Situation Nebelkerzen geworfen und sehr erfolgreich eine Neiddebatte zwischen Haus- und Fachärzten initiiert. Dieser politisch gewollte, künstliche Konflikt sollte die Missstände überdecken. Meine Aufgabe ist es nun, die Probleme wieder da zu orten, wo sie tatsächlich sind, in der Auseinandersetzung mit der Politik. Und statt des innerärztlichen Konflikts gilt es nun, die Haus- und Fachärzte in einer Ärzteschaft zu einen. Denn nur gemeinsam sind wir stark.

Aber es bleiben die Probleme der Unterversorgung auf dem Land, kann man die Ärzte nicht mehr locken?
Schwierig, wir haben zwei große Problempunkte. Einen haben Sie benannt, das Land. Der zweite sind die sozial-schwachen Stadtteile in den großen Städten. Da wo keine Privatpatienten wohnen, da wo soziale Brennpunkte sind, da wo ein hoher Ausländeranteil herrscht, da haben wir Probleme Allgemeinärzte und Fachärzte für die Niederlassung zu bekommen.

Welche Maßnahmen sind da geplant?
Wir planen Anreizsysteme. Dazu gehören vor allem auch Infrastrukturmaßnahmen auf dem Land. Ich will das einmal mit einem einfachen Beispiel belegen: Wer als Medizinstudent in einer Stadt gelebt und studiert hat, wer dann in einem Stadtspital seine Weiterbildung durchlaufen hat, wer in dieser Zeit seine Familie gegründet hat, der geht nicht aufs Land, wenn ich ihm nicht gute Schulbildung für seine Kinder, einen Arbeitsplatz für seine Partnerin oder seinen Partner und vielleicht sogar subventionierte Praxisräume oder Ähnliches biete. Da müssen lokale Bürgermeister nachdenken, wie sie die Situation verbessern können. Wer Ärzte locken will, muss auch verlockende Angebote machen.
Was die Problembezirke der Städte angeht, haben wir in Deutschland bisher das absurde System der Abstaffelung. Ein Arzt der mehr arbeitet, wird für diese Mehrarbeit bestraft, indem er Abschläge bekommt. Das ist doch gerade in unterversorgten Gebieten völlig grotesk. Je mehr Arbeit an einem Arzt hängen bleibt, desto mehr inflationiert er seine eigene Leistung. Das kann man von einem vernünftigen Menschen nicht erwarten. Und deswegen müssen klare Vergütungsregelungen dafür Sorge tragen, dass mehr Leistung sich auch lohnt.

Apropos mehr Leistung. Arbeiten Ärzte zu viel?
Es gibt viele Ärzte, die deutlich zu viel arbeiten. Aber wir dürfen nicht nur den Zeitfaktor sehen, wir müssen auch die Intensität der Medizin betrachten. Wenn man bedenkt, wie sich die Verweildauer verkürzt hat in Krankenhäusern, wenn man bedenkt, wie schnell wir heute schon aus juristischen Gründen gezwungen sind, zu Diagnosen und Therapien zu kommen, dann ist schon ganz erstaunlich, wie viel Medizin die Patienten pro Zeiteinheit bekommen. Diese fortwährende Leistungsverdichtung hat auch eine immense Belastung für Ärzte zur Folge. Oft müssen komplexe Entscheidungen sehr schnell getroffen werden. Das ist schlichtweg emotionale Dauerbelastung. Deswegen müssen wir für eine Entlastung der Ärzte sorgen. Das ist kein utopischer Appell, das machen uns die skandinavischen Länder vor. Und deshalb ist auch die Berufszufriedenheit der Ärzte dort deutlich höher als bei uns.

Rund um die Uhr im Einsatz. Passt das noch in das Lebenskonzept junger Menschen?
Nein. Rund um die Uhr – das wollen sie nicht. Es ist auch ihr gutes Recht. Sehen Sie, man kann die Generationenläufe betrachten und sagen: Die Generation der heute 60- bis 70-Jährigen lebte, um zu arbeiten. Die heutige Generation will beim Arbeiten auch leben. Nach diesen Bedürfnissen müssen wir uns richten, danach müssen wir die Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen gestalten, sonst werden wir bald keine Ärzte mehr haben.

Aber Arztsein ist doch nicht nur Mühsal…
… mal von den desaströsen Rahmenbedingungen abgesehen, ist der Arztberuf der schönste Beruf überhaupt. Nicht nur wegen der hohen gesellschaftlichen Reputation und der Freude, Menschen zu helfen. Der Arztberuf ist Berufung, ist menschlich erfüllend und immer auch eine intellektuelle Herausforderung. Wir müssen also bei der politischen Auseinandersetzung sehr darauf achten, dass wir bei aller Kritik an den Rahmenbedingungen unseren Beruf nicht schlecht reden.

Abschließend: Was sind die drei wichtigsten Ziele in Ihrer neuen Funktion?
Wichtigstes Ziel ist, die Ärztekammern als Lordsiegelbewahrer ethischer Prinzipien der Ärzteschaft hoch zu halten. Zweitens, die Ärztekammer als die legitime Vertreterin der Interessen aller Ärzte auch in der Politik wahrnehmbar zu machen. Und drittens für gute Arbeitsbedingungen und Einkommen zu sorgen.

Viel Erfolg!
Dankeschön!

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2011