Impfungen: Quo vadis, Österreich?

25.06.2011 | Politik


Neue Impfkonzepte braucht das Land – sowohl was die Verfügbarkeit von innovativen Impfstoffen anlangt als auch die Finanzierungsmodelle. Außerdem liegt die Impfsituation im Argen. Dass in diesem Umfeld der Ständige Impf-Unterausschuss des Obersten Sanitätsrates durch eine nur bei Bedarf tagende Arbeitsgruppe ersetzt wurde, ist zumindest grob unverständlich.

Von Ruth Mayrhofer

Es ist hinlänglich bekannt: Impfungen sind wichtige und vor allem sehr wirksame Präventionsmaßnahmen. Durch Impfungen können jährlich drei Millionen Todesfälle verhindert werden und ungefähr 400 Millionen Lebensjahre hinzugewonnen werden. Bei Kindern können durch den Einsatz von Impfungen 750.000 Behinderungen vermieden werden.

Das Thema Impfen zählt zu den ganz großen Erfolgsgeschichten in der modernen Medizin. Das heimische Impfsystem blickt ebenfalls auf eine mehr als 200-jährige Erfolgsgeschichte zurück. Aber leider: Wo Licht, dort ist auch Schatten. Die Impfmotivation der Österreicher ist teilweise rückläufig, die Durchimpfungsraten sinken. „Allein durch diese Tatsache zeigt sich, welch hohen Stellenwert die Unterstützung von Impfprogrammen durch die öffentliche Hand hat, und welche wichtige Rolle die Steigerung von Impfquoten spielt“, betonte Renée Gallo-Daniel, Generalsekretärin des neu gegründeten Österreichischen Verbandes der Impfstoff-Hersteller (ÖVIH), einer Plattform aller Impfstoff-Hersteller in Österreich. Neueste Statistiken, die bei der ersten Pressekonferenz des ÖVIH im Mai 2011 präsentiert wurden, zeigen nun jedoch schlüssig auf, dass trotz „Meilensteinen“ zur Implementierung von Impfungen in Österreich – also das 1998 von Ministerin Eleonora Hostasch eingeführte Kinderimpfprogramm und der jährlich durch das Gesundheitsministerium erarbeitete Österreichische Impfplan – in punkto Impfen nicht alles „nur rosig“ ist.

Eine Erfolgsmeldung: Bei der Impfung gegen Rotaviren etwa, die im August 2007 ins Kinder-Impfkonzept aufgenommen wurde, konnte durch die vollständige Kostenübernahme bereits 2008 eine beachtliche Durchimpfungsrate von 87 Prozent und damit ein Rückgang der Hospitalisierungen um fast 50 Prozent erreicht werden. 2009 fiel die Zahl der Hospitalisierungsfälle neuerlich um knapp die Hälfte ab.

Nicht ganz so positiv sieht die Sache bei Masern aus: Die Impfung ist in Österreich zwar seit Jahren im Rahmen der Dreifach-Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) im Kinder-Impfkonzept enthalten. Allerdings ist Österreich vom WHO-Eradikationsziel (Ausrottung der Krankheit bis 2010), das mittlerweile auf 2015 „verschoben“ wurde, weit entfernt, obwohl der letzte große Ausbruch erst 2008 erfolgte. Wie ein OECD-Bericht aus 2010 zeigt, liegt Österreich bei einer Durchimpfungsrate von 83 Prozent vor Malta auf dem vorletzten Platz der Statistik (EU-Schnitt: 93,7 Prozent). Spitzenreiter ist übrigens Ungarn mit einer Durchimpfungsrate von 99,9 Prozent. Die Impflücken bei MMR finden sich nicht im Kindesalter, sondern bei Erwachsenen, die entweder keine oder nur eine MMR-Dosis erhalten haben. Warum das so ist? – Die Krankheit und ihre Folgen werden unterschätzt, Impfgegner schüren Ängste vor vermeintlichen Risiken und Folgeschäden.

Influenza-Impfung: „Skandal“

Auch bei der Influenza-Impfung hat Österreich gewaltigen Nachholbedarf. Im europäischen Vergleich liegt Österreich bei den Durchimpfungsraten bei den über 65-Jährigen mit 37 Prozent an drittletzter Stelle vor der Tschechischen Republik und vor Polen. Dabei ist es laut Impfplan 2011 in Hinblick auf Influenza wichtig, dass sich Menschen über 50 Jahre und all jene mit chronischen Erkrankungen gegen die saisonale Influenza schützen. Univ. Prof. Michael Kunze vom Institut für Sozialmedizin der Medizinischen Universität Wien wurde kürzlich als einziger Österreicher als Mitglied in die European Scientific Working Group on Influenza (ESWI) in Brüssel berufen. Kunze will durch seine Teilnahme in dieser Arbeitsgruppe nicht nur versuchen, die Situation der Influenza-Impfung in Österreich positiv zu beeinflussen, sondern „alles tun, um das derzeitige ‚all time-low‘ der Durchimpfung in Österreich zu drehen“. Kunze: „Das ist ein Skandal. International kann man sich dafür nur genieren.“

Ständiger Impfausschuss abgeschafft

Im Licht dieser Entwicklungen ist es für viele im Gesundheitswesen umso unverständlicher, dass der Ständige Impf-Unterausschuss des Obersten Sanitätsrates (OSR) kürzlich nicht neu bestellt, sondern durch eine zehnköpfige Arbeitsgruppe, die lediglich „bei Bedarf“ tagen soll, ersetzt worden ist. Wie Pamela Rendi-Wagner, Sektionsleiterin im Bundesministerium für Gesundheit, gegenüber der Austria Presse Agentur ausführte, soll diese Expertengruppe einen Fragenkatalog ausarbeiten. Danach ist seine Funktion beendet. Für neue Fragestellungen wird ein neues Gremium bestellt.

Diese Haltung des Ministeriums sorgt bei den meisten Experten für Kopfschütteln, Unmut und Empörung, müssten Impfungen als wichtiges „Dauerthema“ in Sachen Prävention auch seitens der gesundheitspolitisch Verantwortlichen dergestalt gewichtet werden. Ganz abgesehen davon hätte der Ständige Impf-Unterausschuss des OSR seit seiner Einsetzung 1984 sehr erfolgreich agiert und mit dem jährlich aktualisierten Österreichischen Impfplan durchaus Bahnbrechendes geleistet. Warum also diese Änderung? Univ. Prof. Ingomar Mutz, Vorsitzender der Impfkommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde und gleichzeitig Präsident des Grünen Kreuzes, mutmaßt, dass „derzeit seitens des Ministeriums, alles, was alt eingefahren ist, aus welchen Gründen auch immer neu aufgestellt werden soll“, und Michael Kunze meint lakonisch: „Vielleicht waren wir (der Impf-
Unterausschuss, Anm.) zu erfolgreich.“

Österreichischer Impfplan 2012 in Schwebe

Wie auch immer: Noch immer ist nicht klar, ob – ebenso wie in der Vergangenheit – auch für 2012 ein neuer Impfplan für Österreich erstellt werden wird. Dass man auf einen solchen verzichtet, ist für alle Experten unvorstellbar. „Sollte ein Impfplan 2012 seitens des Gesundheitsministeriums nicht kommen, müssen andere Wege beschritten werden“, erklärt Mutz. Er verweist auf Vorgespräche mit der Österreichischen Ärztekammer, die dann federführend im Verbund mit Experten aller Fachgesellschaften auf interdisziplinärer Ebene dieses für Österreich wichtige Papier erarbeiten könnte.

ÖÄK-Präsident Walter Dorner glaubt, dass der Impfplan 2012 „wahrscheinlich nicht in Gefahr“ ist. Er setzt diesbezüglich sein Vertrauen in die neue Sektionsleiterin Pamela Rendi-Wagner und das Gesundheitsministerium an sich. Da sich viele Ministerien in einem Umstrukturierungsprozess befinden, müsse man diesen durchaus eine kurze Warte- beziehungsweise Beobachtungsphase zugestehen. Den Vorschlag von Ingomar Mutz habe die ÖÄK in ihre Überlegungen aufgenommen; Dorner gibt aber zu bedenken, dass ein derartiges Gremium keinerlei Verordnungskompetenz hätte. Er betont weiters, dass es jedoch keineswegs sein Wunsch sei, dass sich das Gesundheitsministerium „von dieser wichtigen Aufgabe verabschiedet“. Die neue Vorgehensweise – also die Einberufung einer Impf-Arbeitsgruppe bei Bedarf – sei ein „völlig neues Konzept“, welches aber für die angestrebte Erhöhung der Durchimpfungsraten nicht zielführend sei. Und Dorner schüttelt trotz allem den Kopf: „Ich weiß nicht, warum man alles Gute, Sinnvolle und Bewährte über Bord werfen muss.“

Weil es letztlich immer ums Geld geht, hat die ÖVIH nun einen Vorschlag für ein neues Finanzierungsmodell für das österreichische Impfwesen erarbeitet. Darin
heißt es: „… Um das Ziel einer höheren Durchimpfungsrate zu erreichen, ist eine gute Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure von elementarer Wichtigkeit. Gesundheitsbehörden, Ärzte- und Apothekerkammer, Großhandel, Sozialversicherung und alle weiteren Entscheidungsträger im Gesundheitswesen sind aufgerufen, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen.“ Konkret sieht die ÖVIH Handlungsbedarf in Sachen Finanzierung, die sie als „ausbaufähig“ beurteilt. Ziel sei es für eine angemessene, dynamische Finanzierung des österreichischen Impfwesens zu sorgen, an dem sich alle Akteure beteiligen und bei dem der Nutzen aller Beteiligten erhöht wird. Durch die Schaffung günstiger Konditionen, die Veränderung von Handelsspannen aller in der Wertschöpfungskette Beteiligten und der Steuersituation sowie durch ein Modell staatlicher Zuschüsse könnte der Zugang zu Impfstoffen deutlich verbessert werden, so die ÖVIH. Als Finanzierungsmodell für neue Impfstoffe, die derzeit nicht zur Gänze vom Staat bezahlt werden, würde sich laut ÖVIH ein Zuschussmodell anbieten, bei dem alle beteiligten Partner – von der herstellenden Industrie über den Großhandel, die Ärzte- und Apothekerschaft – einen Beitrag zum Nutzen der Patienten leisten sollten. Im Klartext heißt das, dass alle „Player“ auf einen Teil ihrer Abgabepreise beziehungsweise Spannen verzichten sollten, die Ärzteschaft „könnte mit der Senkung des Impfhonorars einen Beitrag leisten“. Bund, Länder und Hauptverband könnten Zuschüsse geben, wobei der Verteilungsschlüssel neu definiert werden oder – wie beim Kinderimpfkonzept – „Sechstel-Regelung“ zur Anwendung kommen könnte. Und in einem weiteren Schritt müsste die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Impfstoffe angedacht werden.

Daraus ergäben sich laut ÖVIH-Vorschlag auch Vorteile für alle beteiligten Akteure: Neben einer höheren Versorgungssicherheit (mehrere Hersteller könnten Impfstoffe liefern, Anm.), einer Steigerung der Durchimpfungsraten und der Vorbildwirkung durch ein politisches Bekenntnis zum Stellenwert von Prävention durch Impfungen würden sich für die Konsumenten eine signifikante Reduktion der Kosten und ein zeitgemäßer Schutz nach dem aktuellsten Stand der Medizin ergeben. Den Ärzten brächte dieses Modell eine erhöhte Nachfrage nach Impfungen, den Apotheken die Stärkung des Images als Anlaufstelle für Gesundheitsfragen. Und letztlich, so stellt die ÖVIH fest, „haben bisherige Erfahrungen gezeigt, dass Impfungen umso besser aufgenommen werden, je geringer der mit dem Impfen verbundene finanzielle Aufwand ist“.

Impfung im „politischen Abseits“

Die Frage, weswegen wichtige Präventionsmaßnahmen wie Impfungen in Österreich offenbar ins politische Abseits zu geraten drohen, beantwortet Dorner so: „Wir agieren nur mehr Finanz-orientiert. Es werden keine Prioritäten gesetzt. In Sachen Impfungen leugnen wir etwa, dass HPV eine wichtige Impfung ist und sehen dasselbe Problem bei der Pneumokokken-Impfung. Die MMR-Durchimpfungsrate ist höchst bedenklich. Ich bin überzeugt, dass wir aufgrund dessen und aufgrund jener Krankheiten, die neuerlich vor allem aus dem Osten auf uns zukommen, etwa TBC oder Diphtherie, einen Bumerang-Effekt erwarten können.“ In Sachen Finanzierung von Impfungen plädiert Dorner für eine Kostenübernahme durch den Staat: „Der Staat ist verantwortlich, daher müssen Impfungen auch vom Staat bezahlt werden.“ Es ginge nicht an, dass man Organisationen zwinge, betteln zu gehen, um Impfungen zu finanzieren. Dorners Fazit: „Bundesminister Stöger muss sich durchsetzen!“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2011