Lebensstil und persönliche Verantwortung: Fördern, nicht fordern!

25.05.2011 | Politik

Wie eng Gesundheitsprävention und Ethik, Vorsorge und moralische Verpflichtung verbunden sind, darüber wurde im Rahmen eines Symposiums Mitte Mai von Experten diskutiert. Fazit: Nicht mit Sanktionen, sondern mit positiven Anreizen kann man Menschen zur Prävention bewegen.
Von Marion Huber

Unter dem Motto „Lebensstil und persönliche Verantwortung“ stand das vom Institut für Medizinische Anthropologie (IMABE) in Zusammenarbeit mit der ÖÄK und dem Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger veranstaltete Symposium. In seiner Begrüßung betonte ÖÄK-Präsident Walter Dorner, dass das Wohl des Patienten, das die Aspekte des „Gesundwerdens“ sowie des „Gesundbleibens“ beinhaltet, als ethische Grundlage den Arzt bindet und seine Arbeit bestimmt. Dorner weiter: „Die Ethik im Verhältnis von Arzt und Patient ist keine Einbahnstraße.“ Den Verpflichtungen des Arztes stehe die persönliche Verantwortung des Patienten gegenüber. Ebenso seien die Ziele eines sozialen Gesundheitssystems nur dann wirkungsvoll umzusetzen, wenn sie auf der Grundlage einer Gesellschafts-überspannenden Akzeptanz stehen. Wobei sich diese Akzeptanz nicht allein auf die finanzielle Leistungsbereitschaft beschränke, wie der ÖÄK-Präsident weiter ausführte: „Diese Akzeptanz beinhaltet auch eine so selbstverständliche Tugend wie die Rücksichtnahme auf Mitmenschen und Gesellschaft.“

Dass Krankheit nicht – wie es der heutige Zeitgeist oftmals suggeriert – nur Resultat oder Produkt von Verhaltensweisen, sondern vielmehr Schicksal und Fügung ist, vermittelte Univ. Prof. Giovanni Maio, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte in der Medizin an der Universität Freiburg, in seinem Vortrag „Schicksal und Verantwortung in der Medizin“. Es sei „problematisch“, dass Gesundheit immer mehr als Gemachtes, als Faktum und als Zeichen von Leistung gesehen werde. In einer solchen Gesellschaft wird der Kranke der Frage ausgesetzt, warum er denn krank ist: Hat er denn nicht hart genug dafür gearbeitet, gesund zu bleiben? „Damit betrachtet man den Kranken als Schuldigen. Man fällt das Urteil, er sei selbst schuld an seiner Krankheit. So wird man dem Kranken aber nicht gerecht!“, betonte Maio. Mit der Suche nach dem Schuldigen drohe die Gefahr der neuen Moralisierung von Krankheit. Sagt man, dass Krankheiten kein Schicksal mehr sind, so suggeriere man, dass der Ausbruch jeder Krankheit mit mehr Wissen zu verhindern sei. „Das ist aber nur ein verzweifelter Versuch, zu verdrängen, dass man Krankheiten zwar vorbeugen kann, niemand jedoch vor dem Ausbruch gefeit ist“, konstatierte der Ethik-Experte.

Denn eines müsse man sich bewusst machen: „Gesundheit ist kein Zustand, der feststeht, sondern ein Gleichgewicht, das jeden Tag gefährdet ist“, unterstrich er. Gesundheit sei nicht machbar, nicht kalkulierbar, sondern zum Teil auch Gnade. Und: „Eine Gesellschaft, die Schicksal nicht mehr kennt, ist eine Gesellschaft ohne Gnade“, regte er zum Nachdenken an. Die Anerkennung des Schicksals sei auch verbunden mit einem Sich-zur-Wehr-Setzen, allerdings mit einer anderen Grundhaltung: „Nicht mit der Motivation, dass man als Sieger über die Krankheit hervorgeht, wenn man nur hart genug dafür kämpft. Sondern man nimmt die Krankheit als etwas an, das man nicht ändern kann, wofür man aber auch nicht nur selbst verantwortlich ist“, so der Experte. Denn Schicksal könne für eine Gesellschaft auch entlastend und verbindend sein. Das Wissen um ein Schicksal, das alle tragen, könne so auch zum Trost werden.

Darüber hinaus betonte er, dass es eine Korrelation zwischen sozialer Privilegiertheit und Gesundheit gibt. So könne die Mittelschicht ihr Leben selbstbestimmter organisieren als dies etwa einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern möglich sei. „Warum kritisieren wir zum Beispiel einen Menschen, der viel Fast Food isst, nicht aber das Verhalten von Workaholics?“, hinterfragte Maio. Seiner Ansicht nach verbergen sich dahinter Werturteile: „Wir messen hier eindeutig mit zweierlei Maß! Sonst müsste man auch die gesundheitsgefährdenden Verhaltensweisen kritisieren, die in der Gesellschaft geschätzt werden, weil sie Leistung bedeuten.“

Die moralische Verpflichtung, mit dem eigenen Körper wie mit einem Geschenk umzugehen, hätten alle Menschen – „das sind wir uns selbst schuldig. Es ist eine Pflicht gegenüber uns selbst, unseren Körper nicht zu instrumentalisieren – sofern sich der Mensch als Selbstzweck sieht und sich als Mensch in Autonomie versteht“, präzisierte Maio. Man müsse den Menschen aber – egal welcher Gesellschaftsschicht sie angehören – helfen, gesund zu leben und aufhören, nach einem Schuldigen zu suchen. Sonst würde sich die Gesellschaft mit den Kranken entsolidarisieren – dabei müssen gerade Kranke in der Gewissheit leben können, dass die Gesellschaft sie unterstützt.

Freude am Gesundsein wecken

Daher forderte Maio Strategien, um diese Entsolidarisierungs-Tendenz der Gesellschaft abzuwenden: „Menschen müssen befähigt werden, gesund zu leben. Sie brauchen keine moralischen Appelle oder die Androhung von Sanktionen. Sie brauchen viel eher die Rahmenbedingungen, die ein gesundes Verhalten ermöglichen.“ Denn je mehr appelliert und sanktioniert werde, desto mehr würden weiterhin jene Schichten der Gesellschaft begünstigt, die ohnehin schon privilegiert sind. Man müsse daher an den sozialen Verhältnissen und an der Motivation ansetzen. Denn: „Wir freuen uns nicht mehr darüber, dass wir gesund sind. Also muss man bei den Menschen die Freude am Gesundsein neu wecken!“ Die Gesellschaft solle lernen, Gesundheit zu schätzen und sie nicht als selbstverständlich zu betrachten. Und die Menschen müssten auch wieder lernen, Dankbarkeit zu empfinden.

Der große Unterschied liege darin, ob man einen gesunden Lebensstil fördert oder fordert: „Der Grad zwischen fördern und fordern ist schmal“, so Maio. Wenn man fordert, so bestraft man den Menschen, wenn er etwas unterlassen oder getan hat, das ihn krank werden lässt. Und man bewertet damit zugleich auch. Dies würde das „Ende einer humanen Medizin“ (Maio) einläuten. Er plädierte daher für mehr positive Anreize zum Gesundsein – der Gesunde solle das Gefühl haben, dass er belohnt wird, wenn er etwas Gesundheits-Förderndes tut. „Die Menschen müssen aus Freude gesund sein wollen!“, erklärte Maio seinen Ansatz.

Ein moderner Arzt sei heute mit einer zunehmenden Anzahl von Patienten konfrontiert, die sich als Konsumenten verstehen und von der Medizin verlangen, dass sie deren Gesundheit wiederherstellt. Sie sehen die Medizin als „Reparaturwerkstatt“ (Maio) und Gesundheit als etwas, das die Medizin ihnen schuldet.

Definitionen von Gesundheit gibt es aber viele; was gilt nun als gesund, bis zu welchem Grad ist man noch gesund und ab wann spricht man von krank? Maio thematisierte in diesem Zusammenhang auch jene Seite der Medizin, die ökonomisch orientiert ist: „Für die Medizin, die Geld machen will, reichen die Kranken nicht aus. Mit Disease Mongering (Krankheitserfindung, Anm.) sollen Noch-Gesunde zu Kranken gemacht werden.“ Maio rief die Ärzte dazu auf, sich dagegen zu wehren; die Medizin müsse sich wieder auf ihre Kernaufgabe besinnen: Weg von der Moralisierung mit erhobenem Zeigefinger hin zur Einstellung „Wie kann ich helfen?“ Das Fazit des Experten: „Selbst wenn der Kranke vom Staat sanktioniert wird, darf der Arzt dennoch keine Werturteile fällen. Der Arzt als Helfer darf nicht durch den Arzt als Richter ersetzt werden.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2011