Hausarzt/Vertrauensarzt: Dringend gesucht!

15.07.2011 | Politik

Die ersten Anzeichen sind schon da, und sie mehren sich sogar: Die Versorgung durch Hausärzte/Vertrauensärzte ist in Gefahr, besonders problematisch ist die Entwicklung am Land. Werden nicht rasch Maßnahmen gesetzt, wird die Attraktivität des Berufes weiter sinken, warnen Vertreter der ÖÄK.
Von Agnes M. Mühlgassner

Wer den Hausarzt/Vertrauensarzt will, muss auch entsprechende Rahmenbedingungen schaffen – so lautete die zentrale Forderung von Günther Wawrowsky, Kurienobmann der Niedergelassenen Ärzte in der ÖÄK, und Gert Wiegele, dem stellvertretenden Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte in der ÖÄK, bei einem Hintergrundgespräch Anfang Juli in Wien.

Die diesbezüglichen gesundheitspolitischen Signale stehen jedoch auf Sturm: Auch wenn die politisch Verantwortlichen unablässig die Wichtigkeit des Hausarztes betonen und der Stellenwert noch dazu in jeder Regierungserklärung in den letzten 20 Jahren ganz besonders hervorgehoben wird: Die Taten, die all diesen Beteuerungen folgen müssten, lassen nach wie vor auf sich warten.

Aktuelle Umfragen, die die Bundeskurie niedergelassene Ärzte der ÖÄK beim Meinungsforschungsinstitut Spectra in Auftrag gegeben hat, bestätigen die Wichtigkeit des Hausarztes/Vertrauensarztes. 93 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher haben einen Haus-/Vertrauensarzt; bei den über 50-Jährigen sind es sogar 98 Prozent. 97 Prozent der Bevölkerung sagen, dass es sehr wichtig oder wichtig ist, dass auch in Zukunft eine wohnortnahe Gesundheitsbetreuung durch Haus- und Vertrauensärzte sichergestellt ist beziehungsweise gestärkt wird. Überdies würden es auch 64 Prozent derjenigen, die einen Haus-/Vertrauensarzt haben, begrüßen, ihre Medikamente gleich in der Ordination des Arztes zu erhalten.

Sieht man sich allerdings die demographische Entwicklung der Ärzteschaft an, drohen bald Engpässe bei dieser wohnortnahen Versorgung: In den nächsten Jahren gehen 37 Prozent der Allgemeinmediziner und 31 Prozent der niedergelassenen Fachärzte in Pension. Vielfach können Kassenplanstellen schon jetzt nicht mehr nachbesetzt werden: Im Kärntner Arriach etwa übernahm der an die vierte Stelle gereihte Bewerber die Kassenplanstelle für Allgemeinmedizin; in Friesach konnte sich gar erst der an siebenter Stelle Gereihte dazu entscheiden, eine Kassenordination zu eröffnen. „Es wird bald ein Versorgungsproblem geben“, warnte Günther Wawrowsky. „Denn immer mehr Kollegen merken, wie schwer es ist, einen Nachfolger zu finden. Wenn wir nicht rasch Maßnahmen setzen, wird die Attraktivität des Berufes noch weiter sinken.“

Was dem Kurienobmann noch wichtig ist: „Die Medizin wird weiblich, der Frauenanteil in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner und zum Facharzt liegt bei über 60 Prozent. Es braucht einfach Arbeitsbedingungen, die den Frauen entgegenkommen.“ Die Führung von Ordinationen müsse sich in Zukunft unter anderem auch deswegen so gestalten, dass nicht ein Einzelner die ganze Zeit die Verantwortung hat. Dem hätte das Gesetz zur Bildung von Gruppenpraxen ja eigentlich Rechnung tragen sollen, so Wawrowsky: „Eigentlich ist es in der jetzigen Form vor allem für Radiologen interessant, aber nicht für Allgemeinmediziner.“

Wiegele wiederum sieht Verhältnisse wie in Deutschland auf uns zukommen, wo die Versorgung im niedergelassenen Bereich – besonders in den neuen Bundesländern – nicht mehr gewährleistet ist. Das geht soweit, dass etwa die Bewohner einer Gemeinde in Niedersachsen mittlerweile zur Selbsthilfe gegriffen haben und per Flugblatt einen Allgemeinmediziner suchen, der sich in ihrer Gemeinde niederlässt. Um diese drohende Gefahr für Österreich abzuwenden, gibt es nur einen Ausweg – sind sich Wawrowsky und Wiegele einig: die Stärkung des Hausarztes/Vertrauensarztes. Das von der ÖÄK entwickelte Hausarztmodell ist laut Wawrowsky ein gangbarer Weg, um „die notwendige Versorgung garantieren zu können“. Dieses bereits vor einem Jahr präsentierte Modell habe man auch den politischen Entscheidungsträgern vorgestellt; das Echo darauf war gering.

Hausarzt als zentrale Anlaufstelle

Kernpunkt dieses Hausarztmodells ist, dass „jeder diejenige Versorgung bekommt, die er braucht“, betonte Wiegele. Dieser Hausarzt/Vertrauensarzt – das kann im Übrigen auch der Internist, der Gynäkologe, der Pädiater etc. sein – soll die zentrale Anlaufstelle und Koordinierungsstelle für den Patienten sein. Das soll auch auf der E-Card registriert werden, was in weiterer Folge auch mit sich bringen würde, dass der Hausarzt/Vertrauensarzt – immer die Zustimmung des Patienten vorausgesetzt – alle Befunde von anderen Ärzten, Instituten, Krankenhäusern erhält und sammelt. Wiegele weiter: „Das ist medizinisch sinnvoll, für jedes einzelne Individuum und auch ökonomisch sinnvoll.“

Für den Patienten wiederum könnte sich das Hausarztmodell noch von einem weiteren Gesichtspunkt aus als vorteilhaft erweisen, etwa indem man ihm die Rezeptgebühr oder die Gebühr für die E-Card erlässt oder auch andere steuerliche Vorteile gewährt. „Hier müssen positive Anreize gesetzt werden, damit die Patienten freiwillig in dieses System einsteigen“, betonte Wiegele. Die koordinierende Tätigkeit der Hausärzte/Vertrauensärzte müsse natürlich auch entsprechend honoriert werden. Er, Wiegele, erwarte sich von der Politik, dass „etwas passiert. Man kann die Augen nicht verschließen: Die Ärzte fehlen schon jetzt, vor allem am Land.“ Und Wawrowsky führt noch ein weiteres Argument ins Treffen: „Früher hat es keine Alternative für Ärzte gegeben, heute schon. Die Ärzte können es sich aussuchen, sie werden sich nach besseren Arbeitsbedingungen umschauen und weggehen.“ Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Mehr als 2.500 österreichische Jungärzte arbeiten derzeit in Deutschland; Tendenz weiterhin steigend.

Wie kann man dieser Entwicklung entgegensteuern? Wawrowsky dazu: „Wir brauchen eine adäquate Honorierung und entsprechende Arbeitsbedingungen, dass es für unsere jungen Kolleginnen und Kollegen wieder interessant ist, sich als Arzt oder Ärztin niederzulassen.“

Umfrage-Ergebnisse: Rolle und Stellenwert der Hausärzte

  • 93 Prozent der Österreicher haben einen Hausarzt/Vertrauensarzt.
  • Bei den über 50-Jährigen sind es sogar 98 Prozent.
  • Mehr als zwei Drittel der Österreicher haben den Hausarzt/Vertrauensarzt schon länger als zehn Jahre; viele davon sind schon mehr als 20 Jahre bei ein und demselben Arzt.
  • 71 Prozent der Bevölkerung meinen, dass es die Aufgabe der Hausärzte/Vertrauensärzte sei, die Patienten zu den richtigen Fachärzten zu überweisen und sie über die Befunde zu informieren. Weitere 70 Prozent sagen, es gehören auch umfassende Kenntnisse über die Krankengeschichte dazu.
  • 40 Prozent schätzen auch die persönliche Betreuung, Beratung und Information sowie die Tatsache, dass sich der Arzt/die Ärztin Zeit nimmt.
  • Ein Drittel der Österreicher ist davon überzeugt, dass die Bedeutung der Hausärzte/Vertrauensärzte im heutigen hoch spezialisierten Gesundheitswesen sogar noch größer geworden ist.

Die Erwartungen an die Politik:

  • 82 Prozent der Bevölkerung geben der Politik einen klaren Auftrag: Die wohnortnahe Gesundheitsbetreuung durch Hausärzte/Vertrauensärzte und andere niedergelassene Ärzte soll stärker als bisher gefördert werden.
  • 57 Prozent sind der Meinung, dass bezüglich der wohnortnahen Gesundheitsbetreuung von der Politik mehr versprochen als getan wurde.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2011