Gesund­heits­re­form: Und täg­lich grüßt das Murmeltier?

25.05.2011 | Politik

Im öster­rei­chi­schen Gesund­heits­sys­tem, dem angeb­lich „bes­ten der Welt“, gibt es nach wie vor veri­ta­ble Her­aus­for­de­run­gen. Diese rei­chen von einer Neu­ord­nung der Finan­zie­rung bis hin zu Spi­tals­re­for­men und der For­cie­rung von Prä­ven­tiv­me­di­zin. Allein: Kon­kre­tes dazu gibt es noch nicht, wie sich kürz­lich bei einer Ver­an­stal­tung in Wien zeigte.
Von Ruth Mayrhofer

Die finan­zi­el­len Mit­tel im Gesund­heits­we­sen künf­tig wir­kungs- und qua­li­täts­ori­en­tiert zu ver­ge­ben und ein Plus an Leis­tungs­trans­pa­renz zu schaf­fen, wer­den die zen­tra­len Her­aus­for­de­run­gen im Gesund­heits­we­sen in der nächs­ten Zeit im Sinn einer Wei­ter­ent­wick­lung sein, betonte Gesund­heits­mi­nis­ter Alois Stö­ger anläss­lich der „Spi­tal 2011: Die Suche nach der bes­ten Pra­xis durch Spi­tals­ver­glei­che“ im Mai in Wien. Kon­kret will er durch Kos­ten-Nut­zen-Bewer­tun­gen von Medi­zin­tech­no­lo­gien die beste Ver­wen­dung von Res­sour­cen sicher­stel­len, den Daten­aus­tausch im Gesund­heits­we­sen (Stich­wort: ELGA) vor­an­trei­ben und dabei ins­be­son­dere die E‑Medikation, zu der ja Pilot­pro­jekte im Gange sind, als „Klam­mer zwi­schen den diver­sen Anbie­tern im Gesund­heits­we­sen“ nüt­zen. Die ers­ten Ergeb­nisse aus der Pilot­phase sol­len übri­gens noch Ende 2011 oder Anfang 2012 vor­lie­gen. Stö­ger bezeich­nete das Pro­jekt der E‑Medikation als „Mus­ter­bei­spiel von Qua­li­tät und Kosten-Nutzen“.

Auch in Sachen Spi­tals­re­form hat der Minis­ter viel vor: Die Pla­nung, Steue­rung und Finan­zie­rung der Spi­tä­ler soll künf­tig in einer gemein­sa­men Ver­ant­wor­tung lie­gen. Damit wür­den die Kom­pe­ten­zen kla­rer gere­gelt wer­den, die der­zeit zehn unter­schied­li­chen Spi­tals­ge­setze und elf unter­schied­li­chen Gesetz-geben­den Kör­per­schaf­ten sol­len im Bereich der Gesetz­ge­bung auf zwei Ebe­nen (Natio­nal­rat und Bun­des­rat, Anm.) gebün­delt und ein ein­zi­ges Spi­tals­ge­setz für Öster­reich geschaf­fen wer­den. Dadurch würde, betonte Stö­ger, gleich­zei­tig „enor­mer büro­kra­ti­scher Auf­wand ent­fal­len“. Wer jedoch die tat­säch­li­che Ver­ant­wor­tung über Pla­nung und Steue­rung erhal­ten soll, wurde bei der Tagung kon­tro­vers dis­ku­tiert. Cle­mens Auer, Sek­ti­ons­lei­ter im Gesund­heits­mi­nis­te­rium, meinte, „dass der, der den größ­ten Anteil an den zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln trägt, auch über den Mit­tel­ein­satz ent­schei­den soll“. Der­zeit seien das prak­tisch zu 100 Pro­zent die Län­der, die aber nur einen Anteil von unge­fähr 20 Pro­zent an der Mit­tel­auf­brin­gung bei­steu­er­ten. Der Vize­prä­si­dent des öster­rei­chi­schen Gemein­de­bun­des, Alfred Riedl, kri­ti­sierte in die­sem Zusam­men­hang das Feh­len von Schnitt­stel­len zwi­schen Bund und Län­dern. Die­ser Umstand allein würde schon eine gemein­same Pla­nung erschweren.

Stö­ger hob her­vor, dass eine Erhö­hung von Kos­ten- und Leis­tungs­trans­pa­renz von den Bedürf­nis­sen der Pati­en­ten ange­pass­ten Leis­tun­gen gerade durch eine von ihm ein­ge­setzte Steue­rungs­gruppe in Aus­ar­bei­tung sei. Diese Reform soll „spä­tes­tens mit dem neuen Finanz­aus­gleich fer­tig“ sein. Ebenso sei die Finan­zie­rung der Kran­ken­kas­sen sicher­zu­stel­len und der ambu­lante Bereich zu stär­ken. Zu Let­ze­rem sei die Mög­lich­keit der Grün­dung von Ärzte-GmbHs ein wesent­li­cher Schritt gewe­sen, erklärte der Minister.

Markt­me­cha­nis­men – also mehr Wett­be­werb – erteilte Stö­ger grund­sätz­lich eine klare Absage. „Markt­me­cha­nis­men zei­ti­gen im Gesund­heits­we­sen keine Wir­kung, weil Kranke Leis­tungs­an­bie­tern aus­ge­lie­fert sind.“ Somit könne nur ein soli­da­ri­sches Gesund­heits­we­sen die Leis­tungs­an­ge­bote steu­ern, „damit die Men­schen auf indi­vi­du­el­ler Ebene zu den Leis­tun­gen kom­men, die sie brau­chen“.

Ein kla­res Votum für einen „qua­li­täts­ori­en­tier­ten Wett­be­werb im Sinne der Pati­en­ten“ zwi­schen öffent­li­chen und pri­va­ten Ein­rich­tun­gen gaben für den Bereich der Spi­tä­ler dahin­ge­gen Julian Had­schieff, Geschäfts­füh­rer der PRe­mi­a­Med, dem größ­ten Betrei­ber pri­va­ter Gesund­heits­ein­rich­tun­gen in Öster­reich, und Michael Hei­nisch, Geschäfts­füh­rer der Vin­zenz-Gruppe, einem Betrei­ber von Fonds­spi­tä­lern, ab. Sie befür­wor­te­ten ein ein­heit­li­ches Bun­des­an­stal­ten­ge­setz, wel­ches ‚glei­ches Geld für glei­che Leis­tun­gen‘ garan­tie­ren sollte. Und: Mit einem Plus an Infor­ma­tion der Pati­en­ten würde deren Ent­schei­dungs­fä­hig­keit gestärkt wer­den, was sich letzt­lich auch zumeist posi­tiv auf einen effi­zi­en­ten Ein­satz der Geld­mit­tel aus­wir­ken würde. Had­schieff plä­dierte wei­ters für eine Auf­las­sung von bestehen­den Mono­po­len und eine „klare Tren­nung von Finan­ciers und Trä­gern“. Hei­nisch for­derte „nach­voll­zieh­bare und objek­tive Kri­te­rien“ wie etwa Effi­zi­enz, Qua­li­tät und Pati­en­ten­zu­frie­den­heit, um den Ein­satz und die Ver­tei­lung von Geld­mit­teln zu steu­ern. Die­sen Punkt unter­strich auch Sek­ti­ons­lei­ter Auer: „Wir geben mitt­ler­weile mehr als zehn Pro­zent des BIP für Gesund­heit aus. Also müs­sen wir genau hin­schauen, wie diese Mit­tel ver­wen­det wer­den.“

Von ‚Schnitt­stel­len‘ zu ‚Naht­stel­len‘

Der Kuri­en­ob­mann der ange­stell­ten Ärzte in der ÖÄK, Harald Mayer, warnte davor, sich „nur über Kran­ken­häu­ser den Kopf zu zer­bre­chen“. Man solle bes­ser über eine Gesamt­be­trach­tung des Sys­tems Ver­bes­se­run­gen anstre­ben. Die oft kri­ti­sier­ten Schnitt­stel­len soll­ten end­lich zu Naht­stel­len gemacht wer­den, man müsse auch in Fra­gen Finanz­aus­gleich 2014 offen und ohne Tabus über alles reden dür­fen“, um posi­tive Ver­än­de­run­gen zu errei­chen. Auch heikle The­men wie etwa Selbst­be­halte oder die künf­tige Ver­ant­wor­tung über Gel­der dürf­ten dabei nicht aus­ge­spart werden.

Koope­ra­tio­nen und/​oder Pri­vate Public Part­ner­ships (PPP) könn­ten der Schlüs­sel zu einer ver­bes­ser­ten Zusam­men­ar­beit aller Mit­spie­ler im Gesund­heits­we­sen sein, zeig­ten sich Had­schieff und Hei­nisch über­zeugt. Pri­vate und staat­li­che Sek­to­ren gemein­sam könn­ten es schaf­fen, die Ver­sor­gung der Bür­ger sicher­zu­stel­len. „Pri­vate soll­ten den ambu­lan­ten Bereich neu auf­stel­len“, emp­fahl Sek­ti­ons­lei­ter Auer. Gesetz­lich sei dies ja bereits durch Grup­pen­pra­xen oder pri­vat betrie­bene Ambu­la­to­rien mög­lich; „gescheite Tarif­mo­delle“ müss­ten jedoch erst geschaf­fen werden.

Den vom Haupt­ver­band der öster­rei­chi­schen Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger vor kur­zem vor­ge­legte Mas­ter­plan Gesund­heit, bei dem in der ers­ten Phase sei­tens der Initia­to­ren alle Leis­tungs­an­bie­ter – und damit auch die Ärz­te­schaft – außen vor gelas­sen wur­den, beur­teilte Harald Mayer kri­tisch: „Der Ton ist zwar deut­lich freund­li­cher gewor­den, an den Posi­tio­nen hat sich jedoch nichts geän­dert“, stellte er klar. Die ÖÄK hätte schon vor zwei Jah­ren ein Finan­zie­rungs­kon­zept für den ambu­lan­ten und sta­tio­nä­ren Bereich vor­ge­schla­gen, wel­ches jedoch nicht ins Kon­zept des Mas­ter­plans ein­ge­flos­sen sei. „Wir müs­sen mit offe­nen Kar­ten spie­len“, ist Mayer über­zeugt. Beson­ders die Ärz­te­schaft könne „mehr Exper­tise als andere“ ein­brin­gen. Außer­dem müsse der Sozi­al­be­reich, der der­zeit noch völ­lig aus­ge­klam­mert ist, des­sen Anfor­de­run­gen jedoch in den kom­men­den Jah­ren extrem wach­sen wer­den, umfas­send und effi­zi­ent berück­sich­tigt wer­den. Mayer: „Mir kom­men die Dis­kus­sio­nen vor wie ‚Und täg­lich grüßt das Mur­mel­tier‘“, und for­derte: „Es soll­ten end­lich Nägel mit Köp­fen unter Ein­be­zie­hung aller Betei­lig­ten gemacht werden!“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2011