Enquete Medizin mit Qualität und Seele: Werte in einer modernen Gesellschaft

15.08.2011 | Politik



„Wieviel kostet das?“ und „Wer zahlt das?“ sind die Schlüsselfiguren als Signaturen einer modernen Gesellschaft, wie Univ. Prof. Clemens Sedmak von der Universität Salzburg bei seinem Festvortrag anlässlich der Enquete „Medizin mit Qualität und Seele“ – 15 Jahre Vinzenz-Gruppe in Wien betonte.

Meine These ist ganz einfach: In Zeiten der Krise brauchen wir robuste Identität und ohne Werte keine robuste Identität. Das ist „in a nutshell“ der ganze Vortrag. Ich habe vier Punkte, fange an mit „Die moderne Gesellschaft“, das ist ja auch das Thema, das mir gestellt worden ist. Ich sage zweitens etwas über den Begriff von Werten, drittens etwas über die Seele von Institutionen, weil es hier ja heißt „Medizin mit Qualität und Seele“ und viertens etwas über die Sorge der Seele.

Mein erster Punkt ist die moderne Gesellschaft. Wenn man sich in zwei zeitgenössischen Romanen, die für das Gesundheitswesen relevant sind, umsieht, kann man interessante Anregungen für eine Diagnose der Zeit gewinnen. Ich meine einerseits den Roman von Juli Zeh, „Corpus delicti“, und andererseits den Roman von Ninni Holmqvist, „Die Entbehrlichen“. Juli Zeh, eine aufstrebende, sehr begabte, sehr zynische deutsche Autorin, hat in ihrem Roman „Corpus delicti“ eine gesundheitsfaschistoide Gesellschaft beschrieben, wo der Staat die Gesundheitszustände der Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, die mehr und mehr zu Untertanen werden, regelmäßig überwacht. Sie müssen ihre Blutwerte und Urinwerte und was immer sie für Werte ausweisen können, jeden Monat abgeben und eine zentrale Behörde kümmert sich dann um ihr Wohlbefinden. Das geht in die Richtung „der gläserne Patient, die gläserne Patientin“. Das ist das eine, „Corpus delicti“, eine Dystopie, wo Juli Zeh auch der Ansicht ist, so weit ist das nicht von unserer Gesellschaft entfernt.

Das zweite Beispiel aus der Welt der Romane stammt von Ninni Holmqvist, einer schwedischen Autorin. Ihr Debütroman heißt „Die Entbehrlichen“. Es wird eine Gesellschaft beschrieben, die ihre Angehörigen klar einteilt in nützliche Mitglieder und unnütze Mitglieder. Nützliche Mitglieder sind solche, die sich durch zwei Kriterien auszeichnen: Einerseits produzieren sie Kinder, zweitens haben sie einen anständigen Arbeitsplatz. Menschen, die sich nicht vermehrt haben und/oder keinen anständigen Arbeitsplatz erworben haben, sind unnütze Mitglieder der Gesellschaft und mit unnützen Mitgliedern der Gesellschaft passiert Folgendes: Männer mit 60 und Frauen mit 50 werden in eine Einrichtung eingewiesen. Diese Einrichtung ist wunderschön, schaut so aus wie ein „All inclusive“-Touristenclub-Paradies.

Es gibt nur zwei kleine Nachteile: Erstens, es gibt keine Fenster. Zweitens: Man kann nicht heraus. Und: Die unnützen Mitglieder der Gesellschaft, die in diese Einrichtung eingewiesen werden, werden zu psychologischen und medizinischen Experimenten herangezogen. Damit sie sich wenigstens auf irgendeine Weise gegen Ende des Lebens als nützlich erweisen. Bei psychologischen Experimenten geht es in Richtung Stanley Milgrams oder um das Testen von Antidepressiva. Bei den medizinischen Experimenten geht es um Versuche und dann auch um Organspenden. Ninni Holmqvist, die diese Dystopie entworfen hat, schildert das in dem Roman so: Die Menschen, die jetzt in dieser Welt leben, in der die nützlichen Mitglieder klar von den unnützen gesondert werden, die haben sich das nicht vorstellen können, dass so etwas je passieren wird. Irgendein Politiker hat irgendwann einmal etwas gesagt und 15 Jahre später ist das auf einmal wirklich geworden. Eine solche Entwicklung kommt schleichend und auf einmal ist das Resultat da. Wir könnten der Ansicht sein, dass wir uns auf eine solche Gesellschaft zu bewegen.

Schlüsselfragen

Was heißt das jetzt für die moderne Gesellschaft? Ich mache zwei Beobachtungen. Erstens: Es kristallisieren sich Schlüsselfragen als Signatur einer modernen Gesellschaft heraus: Wieviel kostet das?“ und „Wer zahlt das?“. Das ist die eine Beobachtung, die Sie sehr schön an diesen beiden Dystopien sehen können. Die zweite Beobachtung: Es wird immer schwieriger, Identität aufzubauen und zu verteidigen. Identität ist irgendwie das, was übrig bleibt, wenn alles Soziale abgezogen ist. Identität ist gewissermaßen der Kern der Persönlichkeit und einer Person. Und es zeigt sich in diesen beiden Dystopien und auch über die Dystopien hinaus, dass die Identitäts-Arbeit immer aufwendiger wird und gleichzeitig die Identitäts-Ressourcen immer schwerer zugänglich werden. Identitätsarbeit ist die Arbeit, die wir verrichten müssen, um ein besonderer Mensch zu sein, und Identitäts-Ressourcen sind die Ressourcen, die wir dazu brauchen.

Was sind Identitätsressourcen? In der Philosophie unterscheiden wir vor allem drei: „Zugehörigkeit“, „Story“ und „starke Sorge“. „Zugehörigkeit“ – Du bekommst Identität dadurch, dass Du irgendwo dazugehörst. Das ist ein Gedanke von Avishai Margalit. Die Vinzenz-Gruppe ist ein schönes Beispiel: Du bekommst Identität, wenn Du irgendwo dazugehörst. Wenn sich die Zugehörigkeiten eher durchlässig, flexibel, liquid anfühlen, wird es schwer, irgendwo dabei zu sein, und wir sehen auch, die Menschen fühlen sich nicht mehr so wohl, sich lebensland an irgendetwas oder irgendjemanden zu binden.

„Story“ – ein Gedanke von Charles Taylor. Wir bekommen Identität dadurch, dass wir eine ganz besondere und glaubwürdige Geschichte erzählen können. Es ist nicht selbstverständlich, dass Menschen fähig sind, ihr Leben als Geschichte erzählen und in einen größeren Rahmen einbetten zu können. Die Harvard Business Review hat einmal eine Studie gemacht über Manager/innen und sie gebeten, ihr Leben als Geschichte zu erzählen. Die waren meistens unfähig dazu, haben zwar einen tabellarischen Lebenslauf rekonstruieren können, aber nicht das Leben als Geschichte, die irgendwie auch spannend ist und einen kontinuierlichen Weg zeigt. In einer Welt, wo wir sehr viele Geschichten erzählen müssen, in verschiedenen Rollen auftreten, wird das Finden der je eigenen „Story“ schwieriger.

Die dritte Identitäts-Ressource neben „Zugehörigkeit“ und „Geschichte“ ist die „starke Sorge“ oder „robust concern“ – das ist ein Gedanke von Harry Frankfurt. Identität bedeutet: etwas zu haben, was Dir wirklich, wirklich wichtig ist. Wenn Menschen in ihrem Leben nichts gefunden haben, was ihnen wirklich, wirklich wichtig ist, wird es ihnen schwer fallen, ein besonderer Mensch zu sein. Wenn so viele Dinge immer wieder wichtig werden und in den medialen Vordergrund drängen – es war doch neulich Fukushima und jetzt sind wir mit der Griechenlandkrise beschäftigt und dann kommen vielleicht Spanien und Italien dran – es ändert sich also ständig, was Aufmerksamkeit verlangt und wichtig ist. So werden die Identitäts-Ressourcen immer schwieriger zugänglich. Zugehörigkeit, Story und starke Sorge werden kostbare und schwer erreichbare Güter. Gleichzeitig wird die Identitäsarbeit immer anspruchsvoller, du musst immer mehr leisten, um ein besonderer Mensch zu sein. Der Druck steigt.

„Non-disease“

Dass der Druck steigt, ein sozial akzeptabler Mensch zu sein, kann an einem Beispiel gezeigt werden, aus dem Gesundheitswesen: am Begriff der „Non-disease“ von Richard Smith. „Non-disease“ ist ein medizinisch nicht problematisches Phänomen, das aber sozial, kulturell zur Krankheit deklariert wird. Etwa der Haarausfall bei Männern oder die Tränensäcke, die herabhängen – das wird auf einmal eine Krankheit, obwohl es medizinisch überhaupt keine Krankheit ist. Der Druck, so etwas nicht zu haben, steigt. Das sind also meine beiden Beobachtungen in Bezug auf die moderne Gesellschaft. Es kristallisieren sich zwei Schlüsselfragen heraus. „Wie viel kostet das?“ und „Wer zahlt das?“. Und zweitens: Es wird schwieriger, eine besondere Identität als Mensch zu haben, weil die Ansprüche an Identität steigen, sodass bei den meisten Menschen das herauskommt, was man im Englischen eine „high maintenance personality“ nennt. Wissen Sie, was eine „High-Maintenance-Personality“ ist? So jemanden lädt man nicht gerne ein oder nur einmal und dann kein zweites Mal. Das sind Leute, die im Umgang anspruchsvoll sind, die immer Extrawürstchen brauchen, und es entwickelt sich Identitätsarbeit in diese Richtung, dass alle sich als high maintenance people positionieren müssen, obwohl die Ressourcen immer schwächer besetzt werden.

Und jetzt kommt ein wichtiger Punkt, der zum Thema der Werte hinführt: In Zeiten der Krise können wir uns die Frage „Wie viel kostet es?“ und „Wer zahlt es?“ nicht mehr als die Hauptfragen leisten. Wenn Sie eine nukleare Verseuchung haben, die irreversibel ist, wo vielleicht der Erdboden schön langsam verseucht wird – geht es nicht mehr um die Fragen, wieviel das kostet und wer das zahlt. Da ist etwas verloren, was nicht mit Geld wieder gewonnen werden kann. Da haben wir den Bereich dessen, wo wir mit viel Geld viel erreichen können, verlassen, und wir sind bei Werten angelangt.

Warum wir Werte brauchen

Das ist also mein erster Punkt: „die moderne Gesellschaft“ – sie weist zwei Schlüsselfragen auf. Weil die beiden Schlüsselfragen sich in entscheidenden krisenhaften Punkten als unzulänglich erweisen und aufgrund der Problematik der erschwerten Identitätsarbeit, brauchen wir Werte.

Zweiter Punkt: Was sind Werte? Werte sind nach philosophischem Verständnis „conceptions of the desirable“ oder, vielleicht ein bisschen volksnäher ausgedrückt, „stabile Grundlagen für Präferenzenordnungen“. Also „conceptions of the desirable“ soll heißen: Werte sind Konzeptionen dessen, was anstrebenswert und wünschenswert ist – das ist ein Wert. Er gibt mir eine Richtung vor, in die ich gehen will und soll. Ein Wert ist also Handlungs-leitend. Es ist eine Konzeption, die etwas Wünschenswertes, das um seiner selbst willen anzustreben ist, zum Ausdruck bringt.

In der anderen Formulierung: Werte sind „stabile Grundlagen von Präferenzenordnungen“. Stabil heißt, das ändert sich nicht von Minute zu Minute. Selbst, wenn Sie ein Situationsethiker oder Situationsethikerin sind, würden Sie auch eine gewissen, über die Situationen hinaus greifende Kriteriologie brauchen, um entscheiden zu können, welches X Sie welchem Y vorziehen. Das ist eine Präferenzenordnung. Werte helfen uns, Präferenzen zu formulieren und zu sagen, X ist wichtiger als Y – genau darin besteht in der Wertediskussion die größte Herausforderung. Es sagen ja alle: „Autonomie ist schön“; es sagen ja alle: „Fürsorge ist schön“. Aber in einem Konfliktfall brauchst du eine Präferenzenordnung: Was ist also wichtiger als was in einer bestimmten Situation. Werte sind also stabile Grundlagen von Präferenzenordnungen; sie helfen uns, Prioritäten zu setzen, vor allem im Konfliktfall.

Nun haben Werte drei Dimensionen. Sie haben eine kognitive, eine emotive und eine konative Dimension. Werte haben eine kognitive Dimension, sie haben mit Überzeugungen zu tun. Also man sollte ein bisschen etwas über die Realität wissen, um Werte vertreten zu können. Das ist in der katholischen Tradition eine schöne Einsicht, ehre die Wirklichkeit und wenn du Werte leben willst, lebe sie nicht an der Wirklichkeit vorbei, das geht für beide Partner schief. Thomas von Aquin hat entsprechend gesagt, dass der sich an praktischen Werten orientierende kluge Mensch sich an „der Sache selbst“ (ipsa res) orientiert. Zweitens weisen Werte einen emotiven Aspekt auf: Werte haben auch mit Emotion zu tun. Kühle Werte – so funktioniert das nach philosophischem Verständnis nicht. Es gibt ein kühles Leben von Werten, aber es gibt nicht kühle Werte; sie erfüllen Dich mit einem Sinn für die Dringlichkeit und Intensität – selbst in der vermeintlichen Welt der sozialen Kälte. Und drittens haben Werte etwas Konatives; das ist die Strebekraft, denn Wert drängt dich in eine bestimmte Richtung.

Jetzt können Sie sagen: Wir haben doch alle unsere subjektiven Präferenzenordnungen. Der eine shoppt im buddhistisch-katholischen Raum, der andere im taoistisch-muslimischen Raum – so funktionieren die Leute heute und jeder und jede zimmert sich das auf seine und ihre Weise zurecht. So könnte man denken und so denken auch viele. Das ist schon richtig, aber Institutionen in krisenhaften Zeiten brauchen Wertegrundlagen und diese Wertegrundlagen prägen auch die Entwicklung von Institutionen oder auch Gesellschaften. Mein
Punkt ist: Werte sind nicht nur individuell für irgendwelche subjektiven Präferenzen relevant, sondern auch für Institutionen, für Gesellschaften und sogar für eine ganze Staatengemeinschaft, wie sie die EU sein soll.

Soziale Bedeutung von Werten

Ich gebe Ihnen zwei Beispiele, die dies deutlich machen sollen, dass Werte eine soziale und kulturelle Bedeutung haben und über bloß subjektive Präferenzen hinausgehen. Erstes Beispiel Daniel Dorling, ein englischer Humangeograf, philosophisch sehr interessiert, an der Universität Sheffield. Er hat vor ein paar Monaten ein Buch herausgebracht mit dem schönen Titel „Injustice: Why Social Inequality Persists“. Er stellt sich in Bezug auf die englische Gesellschaft die Frage, warum die Ungleichheit der Gesellschaft stabil gehalten ist, warum sie erhalten und verfestigt wird? Dorlings These lautet, dass es fünf persistente Glaubensüberzeugungen gibt, „beliefs“, die als Werte vermittelt werden und uns alle gefangen halten in einem Weltbild, das uns zwingt, die Gesellschaft in gewisser Weise im Sinne wachsender Ungleichheit aufzubauen. Also warum hält sich Ungleichheit so persistent? Weil wir in „beliefs“ gefangen sind, die wir als Werte leben, weitergeben und von da aus die Gesellschaft strukturieren. Was sind diese fünf „beliefs“, die er festhält? Erstens, „elitism is efficient“ – Elitismus ist effizient und eine gute Sache. Zweitens, „greed is good“ – Gier ist gut, Gier nach Wachstum ist gut, ist verfolgenswert. Drittens, „exclusion is necessary“ – Ausgrenzung ist notwendig, tut uns leid, dass wir nicht alle mitnehmen können, aber es ist eben so. Wie Niklas Luhmann einmal gesagt hat, man kann Theoriensprache nicht nach dem Konvoi-Prinzip fahren und auf das Ankommen des Letzten warten. So funktionieren auch die guten Vorlesungen nicht, also man wartet ein bisschen, aber man wartet nicht ganz bis zum Schluss. Und eine Gesellschaft funktioniert auch so. Viertens, „prejudice is natural“ – Vorurteile sind natürlich und Dorling meint in diesem Zusammenhang vor allem sozialdarwinistische Gedankenmuster: Manche sind nicht lebenstüchtig; nun denn, da muss man ein bisschen schauen, dass die nicht zu viel mitmischen in der Gesellschaft. Das fünfte generelle Prinzip, das er sieht, ist „despair is inevitable“ – Verzweiflung ist unvermeidlich. Also manche Leute verzweifeln – Depressionen, Burnout und psychische Erkrankungen sind sozusagen nur die Spitze des Eisbergs. Und das ist die These von Daniel Dorling – auf diesen fünf „beliefs“ – „elitism is efficient“, „greed is good“, „exclusion is necessary“, „prejudice is natural“ und „despair is inevitable“ – bauen wir unsere Gesellschaft auf, geben das als Werte weiter und deswegen wird Ungleichheit zementiert und weitergegeben. Dieses Buch unterfüttert den Gedanken, dass Werte auch eine Sozial-bildende Funktion haben, die weit über Individuen mit ihren subjektiven Befindlichkeiten hinausgeht.

Zweites Beispiel um zu zeigen, dass Werte nicht nur eine subjektive Komponente haben: Kwame Anthony Appiah, ein Philosoph in Harvard, der sein letztes Buch „The Code of Honor“ genannt hat, im Deutschen „Eine Frage der Ehre“. Seine These ist: „Wann gibt es Revolutionen?“ – Antwort: wenn es moralische Revolutionen gibt. Wann gibt es moralische Revolutionen? Antwort: Wenn sich der Ehrenkodex ändert. Und was ist der Ehrenkodex? Das, wofür man sich schämt oder nicht schämt. Denken Sie vielleicht ans Recyclen. Als ich im Jahr 1991 auf einer Jugendveranstaltung in Frankreich war, da sind wir mit einem katholischen Priester durch Toulouse gefahren und dieser Gottesmann hat das Fenster aufgekurbelt und den Mist einfach hinausgeworfen auf die Straße und gesagt: „Am Morgen werden ohnehin die Straßen geputzt“. Ich habe mir damals gedacht, dass das eigentlich nicht in Ordnung ist. Und ich will die These vertreten, heute würde er sich schämen, wenn er das tut. Weil man sich heute zu schämen hat, wenn man Mülltrennung verweigert, den Hundekot nicht aufklaubt oder Dinge einfach wegwirft. Das ist eine Frage der Ehre. So gesehen zeigt Recycling eine moralische Revolution. Man schämt sich für etwas, was man vielleicht früher als selbstverständlich angesehen hat. Recycling ist vielleicht ein Beispiel, anhand dessen man diese Dynamik nachverfolgen kann und es wäre schön, wenn es noch andere Wege gäbe. Das ist die bedenkenswerte These von Kwama Anthony Appiah: Moralische Revolutionen hängen mit einer Veränderung des Ehrenkodex zusammen und das wiederum ist eine Veränderung der Werte, die sehr tief geht, also bis zur Schamröte geht und nicht bloß zu rationalen Kalkülen. Wenn das so ist, sind wir wieder bei Daniel Dorling: Werte haben eine Sozial-bildende und Institutionen-bildende Funktion und in Zeiten der Krise brauchen wir Werte, weil sie uns Entscheidungshilfen geben, wo wir hinschauen sollen und wo wir hingehen sollten – und wenn uns etwas etwas bedeutet, werden wir auch bereit sein, Abstriche zu machen und Kosten zu entrichten, ja: Opfer zu bringen.

Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe der ÖÄZ


*) Univ. Prof. DDDr. Clemens Sedmak,
Universität Salzburg/Zentrum für Ethik
und Armutsforschung;
E-Mail: clemens.sedmak@sbg.ac.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2011