Prestigeakt ELGA: „Man hätte abwarten sollen“

10.09.2011 | Politik

Dass der ELGA-Gesetzentwurf voreilig ausgesendet wurde und man sich viel Ärger ersparen hätte können, wenn das Projekt genauer vorbereitet worden wäre, davon zeigt sich ÖÄK-Präsident Walter Dorner überzeugt. Noch immer gibt es aus Sicht der ÖÄK schwerwiegende Kritikpunkte.
Von Agnes M. Mühlgassner

Wenn Dinge überhastet gestartet werden, sind sie oft mit zahlreichen Fehlern und Startschwierigkeiten behaftet. Diese sieht ÖÄK-Präsident Walter Dorner auch bei ELGA gegeben, wie er kürzlich bei einem Hintergrundgespräch vor Journalisten erklärte.

Er, Dorner, habe mit dem zuständigen Minister Stöger zahlreiche Gespräche geführt, und ihm geraten, abzuwarten, bis alle Vorbehalte rund um ELGA geklärt sind. Nichtsdestotrotz habe Stöger den Gesetzentwurf ausgesendet – und dafür von allen Seiten „harsche Kritik“ geerntet. Dorner weiter: „Man hätte abwarten sollen. Die konstruktiven Beiträge von Seiten der ÖÄK wurden einfach weggewischt.“

Die Hauptkritikpunkte:

  • Eine Blanko-Verordnungsermächtigung: Der Gesundheitsminister kann jede beliebige Gruppe ermächtigen, sich in ELGA einzuloggen und Daten abzufragen.
  • Der Entwurf sieht eine Opt out-Lösung – sowohl für Patienten als auch für Ärzte – vor: Dorner sieht darin eine „Verletzung der staatsbürgerlichen Freiheit“. Für die ÖÄK ist ELGA nur mit einer freiwilligen Opt in-Lösung realisierbar.
  • Nach dem derzeit vorliegenden Entwurf können Patienten nach Belieben jederzeit medizinische Daten löschen. Die Folge könnten haftungsrechtliche Probleme für Ärzte sein, wenn nicht alle Befunde sowie alle Medikamente vollständig aufgelistet sind.

Ein weiterer Kritikpunkt: Man habe sich vor Beginn des Projekts nicht in den anderen Staaten der EU umgesehen, was es schon auf diesem Sektor gibt und welche Erfahrungen man damit gemacht hat. Dorner: „Kein Land in der EU hat das bis dato umgesetzt, auch die Briten nicht.“ Und weiter: „Wir müssen hier nicht der Musterknabe in Brüssel sein.“

Dem Argument, dass man mit ELGA rasch auf bereits vorhandene Daten zugreifen könne, kann Dorner nichts abgewinnen: „Schon jetzt gibt es in einigen Bundesländern wie etwa in den niederösterreichischen Landeskliniken oder auch in der Vinzenz-Holding Lösungen, wie man auf Daten zugreifen kann. Allerdings gibt es keine Vernetzung mit dem niedergelassenen Bereich.“ Niemand hätte sich überlegt, wie man bereits bestehende technische Lösungen miteinander verknüpfen könnte. „So eine ‚Spitals-ELGA‘ ist für mich eine Insellösung“, betont der Ärztepräsident. Und er erinnert daran, dass die Wiener Ärztekammer bereits 1993 eine sogenannte „MedCard“ präsentierte mit einem Speicherplatz von 24 MB. Geplante Lebensdauer dieser Karte: rund zehn Jahre. Allerdings wurde dieses Vorhaben vom Hauptverband aus Datenschutzgründen „abgewürgt“ (© Dorner).

Die Kosten sind ein weiteres Argument, wieso der Ärztepräsident so vehement gegen ELGA in der jetzt vorliegenden Form ist. Diese wurden vom Gesundheitsministerium mit rund 30 Millionen Euro beziffert. Berechnungen der Österreichischen Ärztekammer zufolge betragen die Investitionskosten für Vertragsärzte und Wahlärzte mehr als 100 Millionen Euro; die Betriebskosten belaufen sich auf rund 63 Millionen Euro. Auf die Frage: „Wer soll das bezahlen?“, lautet die Antwort von Walter Dorner: „Da es sich um ein öffentliches Infrastrukturprojekt handelt, muss die Politik auch die Kosten dafür übernehmen.“ Darüber hinaus existieren Schätzungen, wonach die Einführung von ELGA für jeden Arzt einen zusätzlichen Zeitaufwand für die Administration von zwei Wochen pro Jahr verursacht.

Schon bei der E-Medikation zeige sich, dass diese „bewiesenermaßen ein Zeitfresser und ein ärztlicher Entscheidungsfresser ist“, so Dorner. Anstelle einer Vereinfachung hätte man zahlreiche Hemmnisse für die verschreibenden Ärzte eingebaut: Limitierungen, Schwierigkeiten bei der Änderung der Packungsgröße oder bei verlorenen Rezepten sowie bei Verschreibungen für einen längeren Zeitraum. Noch zu Beginn dieser Legislaturperiode war der ÖÄK-Präsident überzeugt davon, dass die E-Medikation ein „Projekt sein könnte, das durchaus gut ist“. Seine Einschätzung jetzt: „So wie die E-Medikation aufgezogen ist, will man über die Hintertüre die Staatsmedizin einführen.“ Wie insgesamt das ganze Projekt E-Medikation beispielhaft dafür sein, wie man eine gute Idee nicht umsetzen soll.

Auf Initiative von Dorner hin soll es Mitte September ein Spitzengespräch geben – dabei soll geklärt werden, wie es weitergeht.

Elektronische Patientenakten: nutzlos

In einer US-amerikanischen Studie, die 2011 in den „Archives of Internal Medicine“ erschienen ist, wurden von 2005 bis 2007 die medizinischen Aufnahmedaten von mehr als 255.000 ambulanten Patientenbesuchen in nicht-staatlichen Einrichtungen und Krankenanstalten erfasst. Basierend auf 20 zuvor entwickelten Qualitätsindikatoren erhoben die Autoren den Zusammenhang zwischen elektronischen Patientenakten und klinischen Entscheidungsprozessen zur Leitlinien-gerechten Behandlung. Fazit: Die Ergebnisse zeigen, dass es keinen logischen Zusammenhang zwischen der Verwendung von elektronischen Patientenakten sowie klinischem Entscheidungsprozess und einer besseren Behandlungsqualität gibt, sondern stärken die Zweifel, dass die Einführung von Gesundheitsinformationstechnologie die Qualität der ambulanten Patientenversorgung bessert.

Damit wurden Ergebnisse einer weiteren US-amerikanischen Studie bestätigt, die bereits 2007 in den „Archives of Internal Medicine“ publiziert wurde. Damals führten die Autoren der Studie eine Querschnittsanalyse der Patientenbesuche in den Ambulanzen im Jahr 2003 und 2004 durch. Anhand von 17 Qualitätsindikatoren wurde die Verwendung von elektronischen Patientenakten überprüft.

Ergebnis: Die Verwendung von elektronischen Patientenakten führte zu keiner qualitativ besseren ambulanten Patientenversorgung.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2011