E-Health in Europa: Europa, nicht vereint

25.06.2011 | Politik

Das Internationale Büro der ÖÄK hat untersucht, wie es um den Status quo von Electronic Health Records (EHR) in der EU bestellt ist. Ergebnis: Die Ansätze, Strategien und Umsetzungen dazu sind in den einzelnen Ländern so unterschiedlich, wie sie nur sein können. Also: Lauter „Einzelkämpfer“ in einem (angeblich) vereinten Europa?
Von Ruth Mayrhofer

Der Zusammenfassung des Internationalen Büros der ÖÄK liegen einerseits die Antworten der einzelnen Ärztekammern zugrunde, andererseits ein aktueller Bericht, den die EU-Kommission in Auftrag gegeben hat und der seit kurzem unter www.ehealth-strategies.eu/report/report/html abrufbar ist.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die Einführung von nationalen Electronic Health Records-Systemen in den meisten Ländern unmittelbar bevorsteht. In Spanien, Schweden, den Niederlanden und der Schweiz soll dies – in manchen Ländern in Abhängigkeit von der Verabschiedung nationaler Rechtsgrundlagen – noch 2011 der Fall sein. In Dänemark wird eine Implementierung 2013, in Finnland 2014 erwartet. In allen anderen Ländern sind regional oder national entsprechende Systeme zumindest in Pilotbetrieben in Anwendung.

Länder-Ergebnisse im Detail

Belgien
In Belgien gibt es keine nationale EHR, allerdings eine so genannte „E-Health-Plattform“. Dieses „globale“ System ist eine öffentliche Einrichtung, die darauf abzielt, den sicheren elektronischen Austausch von Daten zu fördern und zu unterstützen und gleichzeitig die Vertraulichkeit von Daten zu gewährleisten. Die Teilnahme daran ist für alle Akteure im Gesundheitswesen freiwillig. Für Patienten ist eine Opt-in-Lösung vorgesehen.

Dänemark
Die Verwendung von elektronischen Netzwerken für die Übertragung von Patientendaten ist weit verbreitet und etabliert. 96 Prozent der niedergelassenen Allgemeinmediziner erhalten so etwa Labor-Ergebnisse, 74 Prozent tauschen Daten mit anderen Gesundheitsdienste-Anbietern (GDA) aus. 97 Prozent der Ärzte geben an, auch E-Prescription, also die elektronische Verschreibung von Medikamenten zu verwenden. Bürger können im Wege eines webbasierten E-Health-Portals auf allgemeine und persönliche Informationen zugreifen. Ferner existiert im Rahmen einer gemeinsamen Infrastruktur ein nationales Patientenregister, in dem seit 1977 Daten aus Krankenhausaufenthalten erfasst werden. Dazu zählen Entlassungsdiagnosen, chirurgische Codes und seit kurzem auch unterschiedliche diagnostische Codes und Behandlungscodes aller dänischen Spitäler. Darauf aufbauend wird derzeit ein nationaler Patientenindex erstellt, der einen Regionen- und Sektoren-übergreifenden Zugriff auf Gesundheitsinformationen von Patienten ermöglichen soll. Dieser Index wird laufend erweitert und soll im Sinne eines „Vollausbaus“ bis Ende 2013 operational sein.

Deutschland
In unserem Nachbarland existiert derzeit kein bundesweit einheitliches System einer elektronischen Patientenakte (ePA). Sie wird allerdings zur Zeit in verschiedenen Modellprojekten getestet. Außerdem wird die Ausgabe einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) im letzten Quartal 2011 vorbereitet. Diese Karte verfügt zwar über die notwendige Infrastruktur, eine ePA-Funktion für die eGK ist zunächst jedoch nicht vorgesehen.

Finnland
Schon 2002 wurde entschieden, nationale Patientenakten einzuführen; 2006 wurde die Einführung des E-Archivs (nationales EHR-Archiv) basierend auf der Zustimmung der Patienten beschlossen. Ursprünglich sollte dieses nationale Projekt 2011 gestartet werden; der Roll-out wurde mittlerweile jedoch auf 2014 verschoben. Regional ist es aber bereits aktiv: es besteht aus einem e-Prescription-System und einer nationalen pharmazeutischen Datenbank, dem E-Archiv und einem Online-Portal, das Bürgern den Zugriff auf ihre Verschreibungen und medizinischen Daten ermöglicht.

Frankreich
Dort gibt es die DMP (Dossier Médical Personnel), welche gemäß eGovmonitor (www.egovmonitor.com) im Sinne eines Roll-out in einer Basisversion im Rahmen einer dreijährigen Einführungsphase gestartet wurde. Die DMP verfügt über drei Hauptanwendungsbereiche: den Dokumentenaustausch zwischen den Angehörigen der Gesundheitsberufe, Patienten-orientierte Anwendungen und spezielle Anwendungen wie E-Prescription und patient summaries. Letztere sollen bis 2013 als Pilotprojekte starten. In Frankreich ist generell ein Opt out-System vorgesehen. Patienten-orientierte Anwendungen umfassen beispielsweise den Zugriff der Patienten auf ihre Akten und die Nachvollziehbarkeit der Zugriffe auf ihre individuellen Daten.

Italien
Die Einführung von EHR ist für 2012 geplant; die entsprechende Rechtsgrundlage wurde im März 2011 im italienischen Parlament verabschiedet. Auf regionaler Ebene laufen dazu bereits seit 2002 einige Pilotprojekte. National gibt es unter anderem im Rahmen des europäischen epSOS ein Pilotprojekt namens IPSe, welches vor allem auf die (italienische und europäische) Interoperabilität von patient summaries und E-Prescription abzielt.

Niederlande
EHRs existieren auf lokaler und regionaler Ebene. National wurde eine Infrastruktur zur Informationsübermittlung entwickelt, um den elektronischen Austausch von Patientenakten zu ermöglichen. Die Daten werden weiterhin auf lokaler und regionaler Ebene gespeichert; eine zentrale Datenspeicherung gibt es jedoch nicht. Derzeit sind lediglich zwei Teile davon abrufbar: Medikationsdaten sowie patient summary-Daten für Vertretungsärzte. Zur Regelung des nationalen Austausches von Patienteninformationen bedarf es eines neuen Gesetzes; ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde jedoch Anfang April 2011 abgelehnt.

Norwegen
In Norwegen existiert derzeit keine nationale EHR, zumal es derzeit auch keine rechtlichen Grundlagen dafür gibt. In Diskussion ist jedoch eine nationale Patientenakte, die essentielle Informationen wie Allergien, Medikation und einen Überblick über die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen enthalten soll. Damit sollen Fehlbehandlungen vermieden und die Patientensicherheit vergrößert werden. Ein Pilotprojekt dazu ist in Planung.

Schweden

Die National Patient Summary existiert seit 2008 in einigen Regionen. Eine Implementierung in ganz Schweden ist bis 2012 geplant. Zusätzlich gibt es eine Medikamentendatenbank, zu der Verschreiber, Apotheker und Patienten Zugang haben. Die schwedischen Bestrebungen zielen darauf ab, ein einziges System für Spitäler, Psychiatrie und Primärversorgung zu installieren, wie es bereits in zehn Regionen aktiv ist. Der Datenzugriff erfolgt nach dem need-to-know-Prinzip: Nur jene Personen, die Informationen für die Gesundheitsversorgung benötigen, können auf Daten zugreifen.

Schweiz
Kantonal und regional laufen derzeit einige E-Health-Projekte. Auf nationaler Ebene beziehungsweise über Institutionsgrenzen hinaus ist bei den Eidgenossen noch kein elektronisches Patientendossier verfügbar. Es gibt jedoch eine nationale E-Health-Strategie und ein Koordinationsorgan (E-Health-Bund-Kantone), das mit der Umsetzung der nationalen E-Health-Strategie betraut ist. Im Zentrum steht dabei die Schaffung eines elektronischen Patientendossiers, wobei sich die Schweiz durchaus an Österreich orientiert. Ein entsprechender Auftrag der Regierung erging im Dezember 2010; erste Entwürfe dazu sollten mittlerweile vorliegen. Die Führung der Patientendossiers soll für Patienten und Leistungserbringer jedenfalls freiwillig bleiben. Patienten selbst sollen – genauso wie von ihnen definierte Vertrauenspersonen – Zugang haben.

Schottland
In Schottland ist seit 2007 eine Emergency Care Summary in Verwendung. Diese ECS beinhaltet allgemeine Informationen, die bei einer dringenden medizinischen Behandlung erforderlich sein können. Es wird bei allen Patienten schlagend, außer bei jenen, die sich für ein Opt out entschieden haben. Da keine spezifischen gesetzlichen Regelungen für E-Health existieren, hat die Anwendung von E-Health in Abstimmung mit den existierenden Datenschutz-rechtlichen Bestimmungen zu erfolgen. Lediglich der NHS-Code of Conduct gibt bestimmte Datenschutz-Leitlinien für elektronische Patientenakten vor. Die ECS wird automatisch erstellt; für Patienten ist ein Opt out möglich.

Spanien
Spanien plant die Einführung einer nationalen elektronischen Patientenakte noch im Jahr 2011. Seit 2008 laufen entsprechende Pilotprojekte in neun Regionen, in denen der Zugang zu verschiedenen elektronischen Dokumenten einschließlich einer patient summary via nationale Schaltzentrale (‚switching point‘) erprobt wird. Es besteht die gesetzliche Verpflichtung, Gesundheitsdaten und elektronische klinische Daten dezentralisiert zu speichern. GDAs sollen nur Zugang zu jenen Informationen haben, die für eine etwaige Behandlung notwendig sind. Vor der Erstellung einer EHR muss der Patient ausdrücklich seine Zustimmung dafür erteilen.

Tschechische Republik
Es besteht eine Art EHR-System für Versicherte der GHIC, einer großen tschechischen Versicherung, bei der zwei Drittel der Bevölkerung versichert sind. Laut Bericht der EU-Kommission nehmen zehn Prozent der Bevölkerung und mehr als ein Drittel der GDAs teil. Die Teilnahme ist für Patienten und GDAs freiwilllig; gesetzliche Regelungen zu EHR bestehen in der Tschechischen Republik nicht.

Wer bezahlt?

Dass die Schaffung von E-Health-Strukturen nicht billig ist, weiß man auch in Österreich. In Finnland etwa hat der Staat zwischen 2006 und 2011 insgesamt 33 Millionen Euro für die Konstruktion und Schaffung des Systems ausgegeben. 2011 bis 2014 werden weitere 55 Millionen Euro für die Implementierung und den Betrieb bereit gestellt. Ab 2014 werden die Leistungen durch Benutzungsgebühren, die von den GDAs eingehoben werden, finanziert.

In den Niederlanden wird die nationale Infrastrukture vom Staat getragen. Das jährliche Budget dafür liegt bei 35 Millionen Euro. Zeitungsberichten zufolge sollen die Kosten für die nationale Gesundheitsinformationsstruktur jedoch mehr als 300 Millionen Euro betragen.

In Spanien beträgt das Budget für den gesamten Gesundheitsplan (eHR ist ein Teil davon) 101,6 Millionen Euro. Dazu kommen 94,2 Millionen Euro aus regionalen Töpfen.

In Schweden werden nationale Ressourcen für E-Health von 2007 bis 2009 auf 320 Millionen Kronen (circa 36 Millionen Euro) geschätzt. 200 Millionen Kronen werden von den Regionen aufgebracht, 100 Millionen kommen vom Staat.

Schottlands Budget für E-Health beträgt für 2010/2011 immerhin 189,7 Millionen Pfund, das sind circa 215 Millionen Euro.

Wer in der Schweiz die Kosten für E-Health tragen soll, ist noch unklar. Bisher gingen Bund und Kantone davon aus, dass die Leistungserbringer ihre Infrastruktur selbst finanzieren sollten. Mittlerweile wird in diesem Zusammenhang jedoch über Anreize und Tarifsysteme für Leistungen diskutiert.

Abkürzungen rund um E-Health

  • DMP: Dossier Médical Personnel (Frankreich; elektronische Gesundheitsakte)
  • ECR: Emergency Care Record (Datenzugriff in Notfalls-Situationen)
  • eGK: Elektronische Gesundheitskarte
  • eHP: E-Health-Plattform (zum Beispiel Belgien): steht allen Gesundheitsakteuren zur Verfügung
  • EHR: Electronic Health Records (elektronische Patientenakten)
  • ePA: Elektronische Patientenakte
  • epSOS: European Patients-Smart Open Services
  • GDA: Gesundheitsdienste-Anbieter
  • IPSe: Italienisches nationales Pilotprojekt im Rahmen des europäischen Projekts epSOS
  • Opt in-System: Patienten müssen vor einer Registrierung ihrer Daten explizit zustimmen
  • Opt out-System: Patienten werden grundsätzlich im System erfasst; sie können jedoch
    Einspruch gegen die Speicherung von (bestimmten) Daten erheben.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2011