Arbeits- und Wirtschaftsmedizin: Psychosoziale Faktoren immer wichtiger

25.02.2011 | Arbeitsmedizin, Politik

Der moderne Arbeitsmediziner ist nicht mit dem klassischen Betriebsarzt gleichzusetzen. Neben physischen Einflüssen finden immer mehr psychosoziale Einflussfaktoren, die vor allem aus Führungsstrukturen, der Organisation und Unternehmenskultur resultieren, Beachtung.
Von Birgit Oswald

Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber fordern eine ganzheitliche arbeitsmedizinische Betreuung, wie eine Studie des Linzer Marktforschungsinstituts SPECTRA zur „Position der Arbeitsmedizin in Unternehmen“ im Auftrag der Österreichischen Akademie für Arbeitsmedizin zeigt.

Derzeit sind 2.500 ausgebildete Arbeits- und Wirtschaftsmediziner österreichweit im Einsatz. 48 Prozent der Arbeitgeber schätzen laut Studie die Leistung der Arbeitsmedizin für ihr Unternehmen als wichtig beziehungsweise sehr wichtig ein. Je höher die Zahl der Mitarbeiter, desto wertvoller wird die Arbeitsmedizin beurteilt.

Auf Grund der wirtschaftlichen Veränderungen – weg von der Produktion hin in Richtung Dienstleistungsgesellschaft – haben sich die Anforderungen an die Arbeitsmedizin stark verändert. Eine „klassische“ Arbeitsmedizin, die sich rein auf gesundheitliche Beeinträchtigungen wie etwa durch Lärm, Chemikalien oder den Transport von Lasten bezieht, reicht heute nicht mehr aus, weshalb im Fokus einer modernen Arbeits- und Wirtschaftsmedizin nun ein ganzheitlicher Ansatz steht, wie Experten bei einer Pressekonferenz Ende Jänner in Wien erklärten. „Der moderne Arbeitsmediziner ist nicht mit dem klassischen Betriebsarzt, der hauptsächlich auf körperliche Symptome achtete, gleichzusetzen. Für den modernen Arbeitsmediziner ist auch die psycho-soziale Komponente wichtig“, so Stefan Bayer, Präsident der Österreichischen Akademie für Arbeitsmedizin. Somit finden neben physischen Einflüssen auch psycho-soziale Einflussfaktoren, die vor allem aus Führungsstrukturen, der Organisation und Unternehmenskultur resultieren, Beachtung.

Besonders die steigende Zahl an Invaliditätspensionen auf Grund psychischer Erkrankungen stellt ein gesellschaftliches und finanzielles Problem dar; bereits jede dritte Invaliditätspension – das entspricht 10.000 Menschen pro Jahr – erfolgt auf Grund einer psychischen Erkrankung, Österreich sei sogar Spitzenreiter bei den Frühpensionierungen, wie Bayer betonte. Das verursacht für den Steuerzahler jährlich Kosten von circa 120 Millionen Euro. Weitere 1,5 Millionen Österreicher sind laut Studie des ÖGB Burn-out gefährdet. Um Burn-out zu verhindern, sei es Aufgabe des Arbeitsmediziners, präventiv tätig zu sein. Das werde laut Studie von SPECTRA sowohl von Seiten der Arbeitnehmer als auch von Seiten der Arbeitgeber gefordert.

Schnittstelle Arbeitsmediziner

Arbeits- und Wirtschaftsmediziner sind die ersten Ansprechpartner im Unternehmen und können im Sinne eines „Frühwarnsystems“ rechtzeitig auf eine mögliche Gefährdung aufmerksam machen und an Fachärzte beziehungsweise Psychotherapeuten überweisen. Der Arbeitsmediziner bildet so die Schnittstelle zu einem externen Spezialisten.

Nicht alle psychischen Probleme wurzeln allerdings im beruflichem Umfeld oder können eindeutig auf den Arbeitsplatz zurückgeführt werden. Burn-out kann demnach auch privat bedingt sein. „60 Prozent der Probleme kommen aus dem privaten Umfeld. Der Arbeitsmediziner kann herausfinden, was wirklich die Belastung für den Mitarbeiter ist“, so Bayer über die wichtige Funktion des Arbeitsmediziners.

Für den Experten ist die hohe Zahl der Frühpensionen aber auch ein gesellschaftspolitisches Problem; die Arbeit werde ihm zufolge auch auf Grund medialer Darstellung immer mehr als „Belastung“ definiert.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2011