Amikale Gespräche: Alles, nur nicht freundschaftlich!

10.02.2011 | Politik


Der Stil der amikalen Gespräche, zu denen Ärztinnen und Ärzte von den Krankenkassen vorgeladen werden, ist oft alles andere als freundschaftlich – und manchmal sogar rechtlich äußerst bedenklich.

Von Kurt Markaritzer

Ziel der Unterredungen ist die Überprüfung von Kostenrechnungen der Ärzte und ihrer Berechtigung. Häufige Punkte auf der Tagesordnung sind Leistungen, die keine Krankenbehandlung darstellen wie zum Beispiel kosmetische Behandlungen, Screening-Untersuchungen ohne konkreten Krankheitsverdacht oder Impfungen, die direkt mit den Patienten privat verrechnet werden können. Diskussionen gibt es immer wieder auch um die Verrechnung von Visiten und in dem Zusammenhang meist um den Besuchszuschlag, wenn bei einem Hausbesuch mehrere bettlägrige, erkrankte Patienten gleichzeitig behandelt werden. Themen sind oft auch Labor- und Vorsorgeuntersuchungen.

Die Kosten-Kontrolle ist grundsätzlich nicht umstritten. Was aber für zunehmenden Unmut bei der Ärzteschaft sorgt ist die Art, wie die Besprechungen abgehandelt werden. Jörg Garzarolli-Thurnlackh, Vizepräsident und Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte in der steirischen Ärztekammer, nimmt sich kein Blatt vor den Mund: „Was bei diesen so genannten amikalen Gesprächen geschieht, ist vielfach ein Missbrauch der Kontrollfunktion durch die Gebietskrankenkasse!“ Die Ärztinnen und Ärzte, die zu einem Informationsaustausch eingeladen werden, sehen sich unvermutet einem Chefarzt oder einem Kontrollarzt und anderen Mitarbeitern der Kasse gegenüber, die von ihnen „Zielverbesserungen“ verlangen, praktisch also Einsparungen, deren Rahmen nicht überschritten werden soll. Am Anfang drehen sich die Gespräche häufig um Belanglosigkeiten, um scheinbar harmlose Beschwerden der Gebietskrankenkasse, auf die die Ärzte nicht vorbereitet sind und die daher nur einseitig diskutiert werden können.

Dann aber fahren die Kassen-Leute mit schärferen Geschützen auf, wie ein Facharzt aus der Steiermark erlebt hat, bei dem die Kosten von Laboruntersuchungen beanstandet wurden. Dazu wurde sogar ein Patient vorgeladen, dessen Harn auf Listerien untersucht worden war, eine aus Sicht der Krankenkasse ungerechtfertigte Maßnahme. Auch andere Laboruntersuchungen durch diesen Facharzt wurden beanstandet, was letztlich in einer finanziellen Rückforderung der Kasse an den Arzt mündete. Natürlich ergab sich daraus eine hitzige Debatte, die – so Garzarolli – zu einem „regelrechten Kuhhandel“ ausartete, bei der der Arzt vor die Wahl gestellt wurde: „Zahlen Sie die zu viel verlangten Beträge für die Laboruntersuchungen zurück. Wenn Sie es nicht tun, werden wir auch die anderen Positionen zurückfordern, die wir am Anfang des Gesprächs genannt haben.“

Von der Berechtigung ihrer finanziellen Forderungen war die Gebietskrankenkasse offensichtlich selbst nicht ganz überzeugt, denn sie gab sich schließlich mit einem geringeren Betrag zufrieden, als sie ursprünglich eingemahnt hatte. Garzarolli: „Kolleginnen und Kollegen berichten uns immer öfter von solchen Vorkommnissen, die für mich an Nötigung grenzen. Für mich sind der Stil und die Strategie dieser amikalen Gespräche Indizien dafür, dass für die Kasse nur ein billiger Arzt ein guter Arzt ist. Die Interessen und Notwendigkeiten der Patienten sieht man dort nicht!“

Natürlich wendet sich der Standesvertreter nachdrücklich gegen Fälle von Missbrauch, die dann und wann vorkommen: „Wir wollen und werden keine schwarzen Schafe decken. Wenn einer zum Beispiel Leistungen verrechnet, die um mehr als 100 Prozent über jenen vergleichbarer Fachärzte liegen, dann soll es Konsequenzen geben. Aber das sind Einzelfälle, während man derzeit den Eindruck hat, dass die Krankenkasse die überwiegende Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte unter den Generalverdacht stellt, zu viel Honorar zu verrechnen. Gegen diese Unterstellung werden wir uns zur Wehr setzen!“

Ebenso kämpferisch gibt sich der Bundesobmann der Kurie niedergelassene Ärzte, Günther Wawrowsky: „Bei uns häufen sich die Beschwerden, allerdings meist erst im nachhinein, denn als Standesvertretung werden wir von diesen ,amikalen Gesprächen’ – die Bezeichnung ist angesichts des dort üblichen Stils ein schlechter Witz – nicht informiert.“ Aus der Liste der zahlreichen Fälle, welche die Standesvertreter irritieren, greift Wawrowsky einen heraus: „In Niederösterreich wurde ein junger Allgemeinmediziner zur Kasse zitiert, dessen Kassenvertrag auf ein Jahr befristet gewesen ist. Diese obskure Vertragsgestaltung gibt es nur in diesem Bundesland, der Arzt muss sozusagen eine Probezeit absolvieren, ehe sein Vertrag verlängert wird. Natürlich ist man als niedergelassener Arzt unter diesen Bedingungen in einer schwachen Position, wenn die Kasse plötzlich mit finanziellen Forderungen daher kommt.“

GKK fordert Geld zurück

Genau das ist in diesem Fall besonders spürbar geworden. Der junge Arzt war in seinem ersten Jahr bei gewissen Leistungen für seine Patienten „großzügiger“ als die meisten seiner Kollegen – und das wurde ihm bei dem amikalen Gespräch stundenlang vorgehalten. Am Ende forderte die Kasse von ihm einen höheren vierstelligen Eurobetrag zurück und untermauerte diese Forderung mit der Ankündigung, die Gebietskrankenkasse werde ihn nicht aus der einjährigen Befristung entlassen, sondern seinen Vertrag vorerst nur um ein Jahr verlängern.

Wawrowsky: „In diesem Fall wird sich die Ärztekammer einschalten und wir werden in einem Zug auch gleich darüber ernsthaft reden, wie man diese einjährige Vertragsbefristung generell abschaffen kann, die für die Ärzte unzumutbar ist. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden werden, aber der Fall ist ein kurioser Beleg dafür, wie sich manche ein vertragspartnerschaftliches Verhalten vorstellen …“

Für Johannes Zahrl, Jurist und stellvertretender Kammeramtsdirektor der ÖÄK, ist die Vorgangsweise bei manchen amikalen Gesprächen rechtlich bedenklich: „Aus dem Gesamtvertrag zwischen dem Hauptverband der Sozialversicherungen und der Österreichischen Ärztekammer ergibt sich jedenfalls keine Verpflichtung zur Rückzahlung. Wenn die Kasse Bedenken hat, kann sie ihre Forderung in Streit stellen oder den Vertrag kündigen. Aber mit Drohungen finanzielle Forderungen durchzusetzen ist jedenfalls nicht zulässig.“

Diesen Standpunkt teilt der Vorstand des Instituts für Strafrecht an der Universität Wien, Helmut Fuchs: „So, wie sich diese Fälle darstellen, kann die Vorgangsweise an eine Nötigung herankommen, wenn die Forderungen nicht berechtigt sind. Wenn die Krankenkasse Geld zurück haben will und sich darüber mit dem Arzt nicht einigen kann, muss sie ihre Ansprüche auf zivilrechtlichem Weg durchsetzen, nicht mit der Drohung, dem Arzt auf andere Weise Schwierigkeiten zu bereiten oder seinen Vertrag nicht zu verlängern.“ Vergleichbare Probleme, berichtet der Experte für Strafrecht, gibt es bei Vergleichsverhandlungen immer wieder: „Juristisch sauberer wäre es jedenfalls, in einem solchen Fall nicht zu feilschen, sondern vor Gericht zu gehen und dort die Berechtigung der Ansprüche klären zu lassen. Allerdings lassen sich Entscheidungen der Gerichte nie sicher vorhersagen und einem Arzt muss klar sein, dass die finanzstarke Krankenkasse sich das Verfahren leichter leisten und alle Instanzenzüge durchschreiten kann. Pragmatisch gesehen kann ein Vergleich deshalb schmerzhaft, aber letztlich vernünftiger sein. Mit der Androhung von Sanktionen erzwungen werden, darf er aber nicht!“

 

Vertrauensperson mitnehmen!

Die steirische Ärztekammer rät allen Mitgliedern, zu den amikalen Aussprachen, wie sie im §36 des Gesamtvertrages zwischen Hauptverband und Ärztekammer vorgesehen sind, einen Vertreter der Kurie Niedergelassene Ärzte beziehungsweise der Fachgruppe als Vertrauensperson mitzunehmen. Meist konfrontiert die Gebietskrankenkasse die Ärztinnen und Ärzte im Rahmen dieser Gespräche mit einer Honorarrückforderung, weil aus Sicht der Kasse Fehlverrechnungen durchgeführt wurden. Die steirische Ärztekammer: „Gerade in diesen Fällen ist es wichtig, dass das Gespräch im Beisein eines Vertreters der Kurie Niedergelassene Ärzte beziehungsweise der Fachgruppe geführt wird, da Bestimmungen der Honorarordnung durchaus unterschiedlich interpretiert werden können.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2011