Vitamin D: Mangel hat weitreichende Folgen

25.02.2011 | Medizin

Die an einem sonnigen Sommertag produzierte Menge von Vitamin D3 entspricht umgerechnet einer oralen Zufuhr von rund 10.000 IE. Unter älteren Menschen beträgt die Prävalenz des Vitamin D-Mangels weltweit beinahe 50 Prozent, was mit einer erhöhten Gesamtsterblichkeit einhergeht.
Von Irene Mlekusch

Niedrige Vitamin D-Konzentrationen im Blut können durch die metabolische Beeinflussung des Kalzium-Stoffwechsels die Entstehung einer Osteoporose begünstigen. Dabei verringert ein ausreichender Vitamin D-Spiegel einerseits die Sturzneigung und andererseits kommt es durch die erhöhte Knochendichte seltener zu Knochenbrüchen. Die Sturzneigung ist bedingt durch Muskelschwäche, diffuse Muskelschmerzen und ein watschelndes Gangbild. Univ. Prof. Harald Dobnig von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Nuklearmedizin an der Universitätsklinik für Innere Medizin in Graz rät, bei Patienten, die über Muskel- oder Knochenschmerzen klagen, zu einer Bestimmung des Vitamin D-Spiegels, da ganz besonders niedrige Spiegel die Ursache sein könnten und eine normale Behandlung mit 1.000 IE in vielen dieser Fälle zu niedrig wäre. Aber nicht nur der Knochen- und Muskelstoffwechsel wird von Vitamin D maßgeblich beeinflusst: In den vergangenen zehn Jahren haben Studien gezeigt, dass das Wirkungsspektrum dieses Vitamins wesentlich weitreichender sein dürfte.

Belegt sind Zusammenhänge zwischen Vitamin D-Mangel und einem relativen Risiko für kolorektale Karzinome. Da Vitamin D die Proliferation von Zellen hemmt und die Zelldifferenzierung induziert, haben sich auch bei anderen Geweben mit Vitamin D-Rezeptoren wie Prostata, Mamma und Lunge protektive Effekte bei höheren Vitamin D-Spiegeln gezeigt. Auch die Zunahme von Infekten wird mit einem Mangel an Vitamin D in Verbindung gebracht. Vitamin D gilt als Immunmodulator und ist in der Lage, die phagozytäre Funktion von Makrophagen zu verstärken. Mehrere Studien stützen daher auch die Hypothese, dass Vitamin D das Risiko für Multiple Sklerose reduziert. Durch den Einfluss des Prohormons auf das Renin-Angiotensin-System erklärt sich der starke Zusammenhang zwischen niedrigen Vitamin D-Werten und Hypertonie sowie Myokardinfarkt und Insult. Die Forschungsgruppe rund um Dobnig stellte in einer mehrjährigen Beobachtungsstudie fest, dass ein niedriger Vitamin D-Status mit einer erhöhten Gesamtsterblichkeit einhergeht. Die Vitamin D-Rezeptoren auf den Betazellen des Pankreas sowie epidemiologische Studien belegen, dass die Prädisposition für Typ 1- und Typ 2-Diabetes durch einen Mangel an Vitamin D begünstigt sein könnte.

„Im Prinzip sollten alle von Kindesalter an für eine adäquate Vitamin D-Zufuhr sorgen, besonders natürlich die Risikogruppen wie alte Menschen und Menschen mit gewissen Lebensstilfaktoren und Ernährungsgewohnheiten“, sagt Univ. Prof. Heinrich Resch, Vorstand der II. Medizinischen Abteilung am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Wien. Für in Österreich geborene Kinder wird im Rahmen der Vitamin D-Prophylaxe ausreichend einem Mangel vorgebeugt. Ältere Menschen sind nicht nur deshalb eher von einem Mangel betroffen, weil sie sich weniger im Sonnenlicht aufhalten, sondern auch weil die Produktionskapazität von Vitamin D in der Haut mit zunehmendem Alter etwa proportional zur abnehmenden Hautdicke abnimmt.

Prävention

Die einfachste Methode, einem Vitamin D-Mangel vorzubeugen, ist eine ausreichende Sonnenexposition, da rund 80 Prozent des körpereigenen Vitamin D auf diese Art gebildet werden können. Ein tägliches 15-minütiges Sonnenbad um die Mittagszeit ohne Sonnenschutzmittel wäre optimal für die Vitamin D-Produktion. Der Rest kann über die Nahrung in Form von bestimmten Fischsorten wie zum Beispiel Hering, Lachs oder Thunfisch, aber auch Avocado, Pilze, Hühnereier oder Kuhmilch zugeführt werden. Resch ist der Meinung, dass ein Vitamin D-Mangel prinzipiell durch Ernährungsumstellung korrigiert werden kann. „Möglicherweise sollte dies durch Vitamin D-Supplemente unterstützt werden“, ergänzt er. Vor allem in der sonnenärmeren Zeit von Oktober bis März wäre es in unseren Breiten für Erwachsene empfehlenswert, pro Tag 1.000 IE Vitamin D in Form von Tropfen zuzuführen. „Jeder Erwachsene, mit Ausnahme von ganz wenigen Menschen, die an granulomatösen Erkrankungen wie Sarkoidose oder Tuberkulose leiden, kann bedenkenlos 1.000 IE Vitamin D3 nehmen“, bestätigt Dobnig. Resch nennt als weitere Kontraindikationen Hyperkalziämien und Nephrolithiasis. Die Dosis für gesunde Erwachsene sollte sich von den höheren Dosen für spezielle Patientenkollektive, vor allem ältere und immobile Menschen unterscheiden. Dobnig versorgt diese Patientengruppe mit einer Vitamin-D-Aufsättigungsdosis, gefolgt von einer normalen täglichen Dosis. „Die tägliche Verabreichung von 2.000 Einheiten Vitamin D3 gilt als absolut sichere Dosis“, so Dobnig und fügt hinzu, dass viele Experten das Hinaufsetzen dieser sicheren, täglichen Dosis auf 10.000 IE fordern, da selbst Einnahmen dieser Dosen über längere Zeiträume zu keinen negativen Konsequenzen führten.

Mit 2.000 IE täglich oder den 14.000 IE wöchentlich dürften die weitaus meisten Patienten Werte von 30 ng/ml und darüber erreichen, also Werte, die einen suffizienten Vitamin D-Status ausmachen. Bis die Normalwerte erreicht werden, vergehen ohne Aufsättigungsdosis allerdings einige Monate. Resch hält eine Überdosierung prinzipiell für möglich. Dobnig dazu: „Von echter Überdosierung spricht man bei Serumwerten von etwa 200 ng/ml und darüber. Solche Spiegel sind nur bei regelmäßiger Einnahme von sehr hohen Dosen, auf jeden Fall über 50.000 IE täglich, zu erreichen. Dann steigt der Kalziumspiegel im Blut und die Harnkalziumausscheidung und das Risiko einer Nephrolithiasis beziehungsweise Nephrocalinose nimmt zu. Die Nierenfunktion würde sich verschlechtern und auch andere Verkalkungen im Körper auftreten.“ Zu bedenken gilt, dass die an einem sonnigen Sommertag produzierte Menge an Vitamin D3 umgerechnet einer oralen Zufuhr von etwa 10.000 IE entspricht.

Die Hauptspeicherform im menschlichen Körper für Vitamin D ist die Zwischenstufe 25-Hydroxyvitamin D3 (Vitamin D3 (25-OH)), die wiederum als Metabolit für die Bestimmung des Gesamt-Vitamin D-Status herangezogen werden sollte. „Bei Patienten mit auffallender Sturzhäufigkeit, oder solchen mit bestimmten Medikamenten wie Langzeit-Antiepileptikaeinnahme oder bei Patienten mit Nierenerkrankungen oder Erkrankungen, die mit einer Malabsorption einhergehen, würde ich eine Spiegelbestimmung empfehlen“, sagt Dobnig. Steht kein 25-OH-D-Spiegel zur Verfügung, sollte die Substitution mit 1.000 IE täglich ohne Aufsättigungsdosis erfolgen.

Risikogruppen

  • Kinder
  • Schwangere
  • Frauen nach der Menopause
  • Ältere, immobile Menschen
  • Bewohner von Alters- und Pflegeheimen
  • Menschen, die überwiegend nachts oder in geschlossenen Räumen arbeiten
  • Personen mit dunklem Teint
  • Alle, die sich zu wenig im Freien aufhalten oder zu wenig Sonnenlicht an ihre Haut lassen
  • Patienten mit chronischen Leber- oder Nierenerkrankungen, gestörter Gallen- und Pankreasfunktion
  • Patienten mit Malabsorptionssyndrom
  • Immunsupprimierte

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2011