Originalarbeit: Cannabis im Straßenverkehr

15.08.2011 | Medizin

Mit einem Urin-Schnelltest konnten Wissenschafter der Abteilung für Forensische Toxikologie der Universität Salzburg Cannabisrückstände mit einer 99prozentigen Sicherheit nachweisen.
Von Thomas Keller*

Das Fahren unter Cannabis-Einfluss stellt heutzutage in vielen Ländern eines der größten Probleme im Straßenverkehr dar. Solche Fahrzeuglenker zu erkennen und aus dem Straßenverkehr zu entfernen, ist nicht nur ein Problem, dem sich die Exekutive gegenüber sieht. Einfach zu handhabende „Roadside“-Streifentestsysteme zur Detektion von Cannabinoiden im Urin stellen nach wie vor ein unverzichtbares Hilfsmittel dar, wenn ein Verdachtsmoment der Exekutive bei Fahrern erhärtet werden soll. Einem Cannabinoid-positiven Urin-Schnelltest, der vielfach vom Exekutivbeamten vor Ort durchgeführt wird, folgt in der Regel die Übergabe des Verdächtigen an einen speziell geschulten Arzt, der nach erfolgter klinischer Untersuchung eine Blutabnahme beim Fahrzeuglenker durchführt. Die asservierten Blutproben (eine Nativblutprobe, eine Blutprobe mit Kaliumfluorid als Konservierungsmittel für Drogen) werden dann zusammen mit der zuvor erhobenen Urinprobe in dafür vorbereiteten Behältnissen einem forensisch-toxikologischen Labor zur Analyse auf Drogen und Medikamentenwirkstoffe übermittelt.

Im Falle eines Cannabinoid-positiven immunologischen Befundes einer Blutprobe wird diese dann gezielt auf die Muttersubstanz delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC), deren pharmakologisch ebenfalls aktives Stoffwechselprodukt, 11-Hydroxy-THC (11-OH-THC) sowie auf das inaktive Stoffwechselprodukt Tetrahydrocannabinolcarbonsäure (THCCOOH) untersucht. Nur der Nachweis dieser Substanzen im Blut mit einem Beweis-sicheren Analyseverfahren wie beispielsweise der Gaschromatographie/Massenspektrometrie (GC/MS) kann zeigen, ob sich der Fahrzeuglenker zum Rechts-relevanten Zeitpunkt unter der aktuell berauschenden Wirkung von Cannabis befunden hat. Entsprechend wird dann in Zusammenschau mit den von der Exekutive, im Rahmen der Anhaltung gemachten Beobachtungen sowie den vom untersuchenden Arzt festgestellten physischen und psychomotorischen Ausfallserscheinungen nach Kenntnissen der entsprechenden Blutkonzentrationen eine abschließende Beurteilung der Fahrtüchtigkeit des Fahrzeuglenkers durch den forensischen Toxikologen in Form eines Gutachtens erstattet.

Bei der Erkennung von Fahrzeuglenkern unter Cannabiseinfluss ist zu bedenken, dass die Muttersubstanz THC im Urin praktisch nicht vorkommt. Aus diesem Grund haben fast alle kommerziell zur Verfügung stehenden Urin-Schnelltestsysteme das pharmakologisch inaktive Stoffwechselprodukt THCCOOH als Bezugssubstanz. Die Bildungs- und Ausscheidungsverhältnisse von THC-Stoffwechselprodukten im menschlichen Organismus sind sehr komplex. Der Haupt-Eliminationsweg erfolgt über die Faeces.

Entscheidungsgrenze: aus den USA

Die zur Zeit bei den kommerziell erhältlichen immunologischen Schnelltests bestehende Entscheidungsgrenze liegt bei 50 ng Cannabinoidäquivalente/mL Urin (bezogen auf freies THCCOOH). Diese Entscheidungsgrenze entstammt dem US-amerikanischen Markt und ist von dortigen Behörden für die Erkennung eines Cannabiskonsums generell beziehungsweise zur Abgrenzung eines passiven Konsums von einem aktiven Cannabiskonsum gezogen und vorgeschrieben worden.

Bei den bisher verwendeten Urin-Schnelltestsystemen kommt es vielfach zu einer sehr hohen Anzahl an analytisch zwar richtigen, in Bezug auf die gewünschte Diagnose jedoch zu falsch-positiv bestimmten Proben, bei denen im Serum mittels GC/MS weder THC selbst noch THCCOOH nachweisbar ist. Aus diesem Grund wurde ein verbessertes Urin-Schnelltestsystem entwickelt und zum Einsatz gebracht, bei dem man diese Probleme zu vermeiden versuchte. Eine Verbesserung wurde dadurch erreicht, in dem ein System entwickelt wurde, das in seinem Kreuzreaktionsspektrum auf das Hauptstoffwechselprodukt im Urin kalibriert wurde, nämlich THCCOOH-Glucuronid und nicht wie üblich THCCOOH.

Zum anderen wurde ein angehobener Schwellenwert eingeführt, da die Ausscheidung der THC-Metaboliten bei Cannabisdauerkonsumenten noch sehr lange die normale Entscheidungsgrenze von 50 ng/mL Urin überschreitet, ohne dass aber eine betäubende, aktuelle Wirkung vorliegt. Aus diesem Grund wurde vom Hersteller ein Doppelstreifensystem mit gezielt angehobenem Schwellenwert entwickelt, wobei für den Ausschluss von negativen Proben auf den üblichen Schwellenwert nicht verzichtet wurde. Der neue Schwellenwert wird aus patentrechtlichen Gründen von der Herstellerfirma jedoch nicht genannt. Er wurde aufgrund von Ausscheidungsdaten von Cannabinoiden im Urin entwickelt, die von Skopp et al. erhoben wurden.

Der einmalige, gelegentliche oder regelmäßige Konsum von Cannabis führt zu sehr unterschiedlicher Elimination von THC und seinen Stoffwechselprodukten. Man geht davon aus, dass es aufgrund seiner starken Lipophilie beim Menschen nach erfolgtem Cannabiskonsum zur Einlagerung von THC und 11-OH-THC in das Körperfettgewebe oder andere lipophile Strukturen beziehungsweise weniger gut durchbluteten Körperkompartimenten kommt und nach Absinken der THC-Blutkonzentration nur langsam wieder in den Kreislauf rück resorbiert werden. Dies führt dann im Blut zu einer verlängerten Nachweisbarkeit von THC und im Urin jedoch zu einer verlängerten Nachweisbarkeit der wasserlöslichen Stoffwechselprodukte allen voran THCCOOH-Glucuronid. Dies kann auch als Grund dafür angesehen werden, dass die vollständige Elimination von THC und THCCOOH-Glucuronid bei Cannabisdauerkonsumenten wesentlich verlängert ist, da hier THC in tiefer liegenden Kompartimenten eingelagert wurde. Darin liegt auch der Grund dafür, dass die Ausscheidung selbst nach mehreren Wochen noch nicht abgeschlossen ist.

Der Schwellenwert bei üblichen Schnelltestsystemen wird dann noch lange überschritten, obwohl weder erneuter Cannabiskonsum seitens des Probanden stattgefunden hat noch THC in nachweisbarer Konzentration im Blut vorhanden ist.

Durch den Einsatz eines Drogen-Schnelltestsystems mit zwei Schwellenwerten, einmal mit einem Cut-Off von 50 ng Cannabinoidäquivalente/mL Urin sowie eines neuen, gezielt angehobenen Schwellenwertes (jetzt jedoch bezogen auf THCCOOH-Glucuronid) kann das Erkennen eines aktuellen Konsumverhaltens – gerade im Hinblick auf Cannabis im Straßenverkehr – deutlich verbessert werden, ohne jedoch einen länger zurückliegenden Cannabiskonsum zu übersehen.

Effizienz von Schnelltestsystemen

Die Abteilung Forensische Toxikologie des Instituts für Gerichtliche Medizin der Universität Salzburg hat eine mehr als dreijährige Studie zur diagnostischen Effizienz eines Urin-Schnelltestsystems mit zwei verschiedenen Schwellenwerten zur verbesserten Erkennung aktuell unter Cannabiseinfluss stehender Fahrzeuglenker durchgeführt. Dazu wurde das Doppelstreifen-Schnelltestsystem „Check24“ für Cannabinoide verwendet. Im genannten Zeitraum wurden sämtliche, von der Exekutive aus den Bundesländern Salzburg und Oberösterreich übermittelten Blutproben sowie die dazugehörenden jeweiligen Urinproben von vermeintlich unter Drogeneinfluss stehenden Fahrzeuglenkern einer forensisch-toxikologischen Analyse auf Cannabinoide unterzogen.

Insgesamt wurden mehr als 700 Blutproben einer forensisch-toxikologischen Untersuchung auf gängige Drogen sowie auf zentral wirksame Medikamente unterzogen. Aus dem übermittelten Probenmaterial wurden 297 Blutproben und Urinproben einer Analyse auf Cannabinoide unterzogen. Ergebnis: In 211 Urinproben wurden beim Check24-Test die beiden Schwellenwerte überschritten. Von den dazugehörigen Blutproben wurde in 184 Fällen (87 Prozent) THC, 11-OH-THC und THCCOOH mittels Gaschromatographie/Massenspektrometrie (GC/MS) nachgewiesen. In diesen Fällen wurde dem Fahrzeuglenker aufgrund einer aktuellen Berauschung durch Cannabis eine Fahruntüchtigkeit in Form eines Gutachtens attestiert.

Durch die Analyse der sicher gestellten Urinproben mit dem „Check24“-Doppelstreifentestsystem konnte mit einer Wahrscheinlichkeit von 87 Prozent eine aktuelle Berauschung eines Fahrzeuglenkers infolge eines vorangegangenen Cannabiskonsums vorhergesagt werden. Dies gibt einem Exekutivbeamten und dem Arzt, der die klinische Untersuchung durchführt, in hohem Maß Sicherheit, die letztendlich zur Abnahme einer Blutprobe und zur Bestätigung des Verdachts führt.

Testsystem: überzeugt in der Praxis

Das eingesetzte Testsystem hat sich im alltäglichen Einsatz in der Praxis sowohl methodisch wie auch analytisch bewährt. Mit Hilfe des zusätzlichen Teststreifens mit angehobenem Cut-Off-Wert konnte bei allen untersuchten §5-Fällen eine sehr hohe Voraussage-Wahrscheinlichkeit erzielt werden, was das Fahren unter aktueller Berauschung durch Cannabis betrifft. Mit diesem Testsystem gelingt es in hohem Maß, einen aktuellen Cannabiskonsum zu erkennen, wobei ein länger zurückliegender Konsum von Cannabis jedoch nicht übersehen wird. Ganz grundsätzlich zeigte der eingesetzte Urinschnelltest Cannabisrückstände mit einer mehr als 99prozentigen Sicherheit auch im hiesigen Labor sowie im Einsatz mit der Exekutive an.

Cannabis

  • Die Pflanze Cannabis indica beziehungsweise Cannabis sativa wird seit mindestens 7.000 v.Chr. von Menschen gezüchtet.
  • Die Pflanze selbst bildet in allen Teilen – außer in den Wurzeln – ein Harz, dessen chemische Zusammensetzung mehr als 60 unterschiedliche Cannabinoide enthält.
  • Die psychoaktive Wirkung wird fast ausschließlich vom Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) erzeugt.
  • Beim Rauchen erreicht der THC-Spiegel im Blut sein Maximum innerhalb von 15 bis 20 Minutnen. Die euphorische Wirkung klingt innerhalb von drei, vier Stunden ab. Die Wirkung bei oraler Applikation ist rund dreimal schwächer als beim Rauchen. Auch beim Passivrauchen kann es zur Aufnahme geringer THC-Mengen kommen – allerdings kommt es weder zu einer Cannabiswirkung noch zu forensisch relevanten Blut- und Urinkonzentrationen.
  • In der Rauschgiftszene wird hauptsächlich zwischen Haschisch und Marihuana unterschieden: Haschisch steht für sehr harzreiche Präparationen, während mit dem Begriff Marihuana die Droge, die man aus den Blättern, Blüten und Stängelteilen der Pflanze gewinnt, gekennzeichnet wird.
  • Die psychoaktiv wirksame THC-Dosis liegt bei 15 bis 20 Milligramm.
  • Die psychotropen Wirkungen von Cannabis: Stimmungsveränderung, Antriebsminderung, Änderung und Irritationen der Aufmerksamkeit, der Denkabläufe und der Wahrnehmung; Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses, des Zeitgefühls und der Bewegungskoordination. Im Cannabis-Rausch ist die Bewältigung von komplexen Aufgaben erschwert und das Einfühlungsvermögen nimmt ab. Negativempfindungen wie etwa Angst, Panik und psychotische Zustände sind möglich, aber nicht die Regel.
  • Daneben wirkt Cannabis antiemetisch, antikonvulsiv, analgetisch; auch antimikrobielle und tumorhemmende Wirkungen sind beschrieben.
  • Der Cannabisrausch kann bei ein und derselben Person je nach Persönlichkeitsstruktur, momentaner psychischer Verfassung, äußeren Umständen, Cannabis-Erfahrung, Konsumart sowie Menge des zugeführten THC unterschiedlich verlaufen.
  • An körperlichen Wirkungen fällt besonders die Augenrötung auf. Weiters kommt es zur Tachykardie, Mundtrockenheit, Übelkeit und Bewegungsunruhe. Bei chronischem Gebrauch kann sich eine Toleranz entwickeln. Cannabis kann zur psychischen Abhängigkeit führen, die allerdings nicht annähernd mit der Abhängigkeit wie bei Alkohol oder Opiaten vergleichbar ist.
  • Obwohl Cannabis keine Psychose sui generis auslöst, wird die Intensität schizophrener Episoden durch den Konsum von hohen Dosen verstärkt. Es gibt auch Hinweise, dass Cannabis-Konsum bei entsprechend vulnerablen Personen eine Schizophrenie auslösen kann. Langjähriger hochdosierter Abusus kann zu kognitiven Einbußen führen.


Literatur beim Verfasser

*) Univ. Prof. Dr. rer. nat. Thomas Keller,
Institut für Gerichtsmedizin/
Laborleiter Toxikologie,
Ignaz-Harrer-Str. 79, 5020 Salzburg;
Tel.: 0662/8044/3805;
E-Mail: thomas.keller@sbg.ac.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2011