Orale Kontrazeption: Fraktur als Spätfolge?

25.02.2011 | Medizin

In den ersten drei Jahren nach der Menarche ist jede Östrogensuppression als kritisch zu bewerten, weil sie langfristig negative Folgen haben kann: In dieser Zeit wird der Knochendichtezuwachs um die Hälfte reduziert, was im Alter zu vermehrten Frakturen führen kann.
Von Marion Huber

Mädchen, die zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr keine oralen Kontrazeptiva einnehmen, haben innerhalb eines Jahres einen Knochendichtezuwachs von zwei bis vier Prozent. Bei denjenigen, die in dieser Zeit ein Jahr lang die Pille einnehmen, reduziert sich der Knochendichtezuwachs um die Hälfte. Zwei Jahre nach Beginn der Einnahme bessern sich die Zahlen zwar etwas; es zeigt sich aber noch immer ein Defizit von einem Drittel. Mit diesen Fakten unterstrich Hans Concin, Leiter der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Landeskrankenhauses Bregenz, die negativen Auswirkungen der Pilleneinnahme in seinem Vortrag anlässlich der Tagung „50 Jahre Pille – 45 Jahre ÖGF“ der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung. „Verhüten Mädchen anstatt mit oralen Kontrazeptiva mit der Drei-Monats-Spritze, verzeichnet man sogar eine Abnahme der Knochendichte“, führte Concin weiter aus. Auf die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen oralen Kontrazeptiva und Osteoporose beziehungsweise einem erhöhten Frakturrisiko im Alter gibt, antwortete Concin: „Eindeutig ja!“

Rund 50 Prozent der Knochenmasse bei jungen Frauen wird vor der Pubertät ohne Einfluss von Östrogenen gebildet. In der Pubertät schließlich ist eine enorme Zunahme der Knochenformation durch Östrogen gesteuert: In dieser Zeit entstehen 40 Prozent der Knochenmasse. „Ein kritischer Punkt“, wie Concin betonte, da jede Intervention, die Östrogen in dieser Phase reduziert, ein drastisches Problem für den Knochenaufbau darstellt.

Östrogendosis zu gering

Hier aber setzen hormonale Kontrazeptiva an: Die darin enthaltenen Gestagene supprimieren die hypothalamisch-hypophysäre Achse und Östrogen wird dem Körper in Form einer add-back-Therapie wieder zugeführt. Jedoch wurde die Östrogendosis in oralen Kontrazeptiva in den letzten Jahren immer stärker reduziert. Dabei zeigte sich, dass zwar die kontrazeptive Sicherheit gleich blieb, Nebenwirkungen bei niedriger Östrogendosis aber seltener auftraten. Concin widersprach diesem Trend zur Östrogenreduktion vehement und machte deutlich, dass sein Zugang zum Thema Pille und Nebenwirkungen ein anderer ist: „Gesunde Mädchen mit negativer Familienanamnese haben ein Thromboserisiko von praktisch Null. Man hat hier auf das völlig falsche Pferd gesetzt!“

„Die Östrogendosis, die man den Mädchen im Zuge der add-back-Therapie mit der Pille wieder zuführt, ist insuffizient, um die Knochengesundheit zu gewährleisten“, brachte er es auf den Punkt. Die niedrige Östrogendosis habe außerdem nicht nur Auswirkungen auf die Knochen, sondern darüber hinaus auch auf andere Systeme im Körper wie etwa auf Haare und Nägel sowie auf die Befindlichkeit und die Sexualität – kurzum auf das „Frausein insgesamt“ (Concin). Heute übliche, auf dem österreichischen Markt erhältliche, orale Kontrazeptiva enthalten meist nur 20 μg Ethinylestradiol – für Concin deutlich zu wenig: „Erste Wahl sollte eine orale Kontrazeption mit mindestens 30 μg Ethinylestradiol sein.“ Ganz generell sei laut Concin in den ersten drei Jahren nach der Menarche jede Östrogensuppression als sehr kritisch zu bewerten, weil sie langfristig negative Folgen haben könne. Auch eine ovarielle Suppression erst unmittelbar in der Zeit vor dem 20. Lebensjahr bezeichnet er noch als problematisch. Ab dem 40. Lebensjahr etwa könne dann – den Aussagen des Gynäkologen zufolge – die Wirkung der Pille als knochenprotektiv angesehen werden.

Knochengesundheit nicht gewährleistet

Abschließend appellierte Concin noch einmal: „Durch die stetige Östrogenreduktion in der Pille hat man den jungen Mädchen das Östrogen weggenommen. Nun muss man es ihnen wieder zurückgeben, um die Knochengesundheit zu garantieren.“ Denn die dadurch hervorgerufene Abnahme der Knochendichte korreliert laut Concin in der Folge mit dem Frakturrisiko. Zwar lassen sich die Auswirkungen der Einnahme von oralen Kontrazeptiva auf die Knochendichte und das Frakturrisiko bislang nur abschätzen, weil Frauen, die in den 1960er Jahren zu den ersten Pilleneinnehmerinnen gehörten, noch nicht in dem Alter sind, in dem es häufig zu Frakturen kommt. Dennoch: „Obwohl die Fraktur als Endpunkt dieser Entwicklung erst in 20 bis 30 Jahren nachweisbar sein wird, bestehen Bedenken“, so das Resümee des Experten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2011