Kutane Nebenwirkungen onkologischer Therapien: Breit gefächert

10.04.2011 | Medizin

So vielgestaltig onkologische Therapien sich heute auch präsentieren mögen, Folgendes ist ihnen gemeinsam: kutane Nebenwirkungen, deren breites Spektrum vom Haarausfall über Hautrötung, Hauttrockenheit und Juckreiz, Nagelveränderungen, Mucositis, Panaritium und Rhagaden der Akren bis zum Hand-Fuß-Syndrom reicht.

„Was praktisch alle klassischen Chemotherapeutika und Zytostatika einschließlich Interferon α verursachen können, ist Haarausfall, wobei manche zu sofortigem und komplettem, andere nur zu teilweisem Haarausfall führen“, erklärt Univ. Prof. Beatrix Volc-Platzer, Vorstand der Dermatologischen Abteilung am SMZ Ost Donauspital Wien. Weiters zählten eine sich langsam entwickelnde Xerose, Nagelveränderungen und Veränderungen der Schleimhäute zum Spektrum der häufigsten kutanen Nebenwirkungen einer Chemotherapie.

Rosazea-ähnliche Eruptionen hingegen würden typischerweise im Zuge der neueren „targeted therapies“ auftreten, also beispielsweise bei der Behandlung mit monoklonalen Antikörpern gegen EGFR, den sogenannten small molecules oder Monokinase-Inhibitoren. Das Grundprinzip dieser Therapieformen ist die Inhibition des EGFR (epidermal growth factor receptor), der aber auch in den Zellen der Epidermis und vor allem im Haarfollikelepithel reichlich exprimiert wird, wodurch sich das Akne-forme oder Rosazea-ähnliche Erscheinungsbild der Ausschläge erklärt. Des Weiteren litten die Patienten gehäuft unter Hauttrockenheit und Panaritien. Rhagaden an den Fingern könnten sowohl als Nebenwirkung der „targeted therapies“ als auch bei Behandlung mit Taxanen auftreten, so Volc-Platzer. Auch Hand-Fuß-Syndrome sind beispielsweise bei Behandlung mit Multikinaseinhibitoren wie Sorafenib, Anthracyclinen oder mit dem 5-FU-Derivat Capecitabine zu beobachten.

Univ. Prof. Josef Auböck, Leiter der dermatologischen Abteilung am Krankenhaus Linz, fügt hinzu: „Nach der Einwirkung von ionisierender Strahlung im Rahmen der Strahlentherapie kann es zu Nebenwirkungen an gesunden Geweben kommen.“ Ionisierende Strahlung erzeugt Zellschäden: Es werden alle Zellkompartimente in Mitleidenschaft gezogen, vorwiegend aber die DNA. Das führt letztlich zum Zelltod, dem Verlust der proliferativen Kapazität, Chromosomenanomalien und Mutationen. Bevorzugt werden Zellen in der Teilungsphase geschädigt, weshalb sich an Geweben mit raschem Zellturnover, wie Epidermis oder Schleimhaut schon unmittelbar nach der Bestrahlung Wirkungen zeigen.

Als unmittelbare klinische Folge stelle sich die akute Radiodermitis ein. Diese akute Strahlenreaktion verlaufe abhängig von Gesamtdosis, Fraktionierung und Strahlenqualität in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung, so Auböck. Die akute Radiodermitis I° weist einen biphasischen Verlauf auf; das initiale, hellrote Früherythem blasst nach zwei bis drei Tagen ab und wird ein bis zwei Wochen später von einem düsterroten Erythem abgelöst, das nach weiteren ein bis drei Wochen schwindet und eine fleckige Hyperpigmentierung hinterlässt. Gleichzeitig wird die Haut – bedingt durch die Blockade der Talgdrüsenaktivität – vorübergehend trocken und schuppig; darüber hinaus kommt es zu einem passageren Haarausfall.

Die akute Radiodermitis II° ist charakterisiert durch eine entzündliche Rötung mit Ödem, dem Auftreten von Bläschen, Nässen und Krustenbildung; später stellen sich Hautatrophie und ein permanenter Verlust der Hautanhangsgebilde ein.

Bei der Radiodermitis III° wird das bestrahlte Hautareal nekrotisch; es entsteht ein sogenanntes akutes Röntgenulkus, das nur langsam mit einer atrophen Narbe abheilt. Die akute Strahlenreaktion ist in der Regel schmerzhaft; in den meisten Fällen kommt es sechs Wochen nach Beendigung der Strahlentherapie zur kompletten Abheilung.

Wo der Strahlengang auf die Schleimhäute trifft, entsteht eine Mukositis. Diese setzt üblicherweise früher ein und verläuft kürzer als die Reaktion an der Haut. Die Mukositis heilt in der Regel komplett ohne Langzeitfolgen ab. An der Nasenschleimhaut kann es zu Blutungen oder zur „verstopften Nase“ kommen. Schleimhautläsionen im Mund können vorübergehend die Nahrungsaufnahme erheblich einschränken.

Spätfolgen

Neben der akuten Radiodermitis ist aber auch die chronische Radiodermitis immer wieder zu beobachten. „An Geweben mit einer langsamen Zellteilungsrate wie subkutanem Fettgewebe, Bindegewebe und Blutgefäßen manifestieren sich die Strahleneffekte erst Monate oder Jahre nach der Behandlung“, erläutert Auböck. Es kommt zur Atrophie aller Hautschichten, zur Poikilodermie (scheckige Hyperpigmentierung, Teleangiektasien, Schuppung, Xerose, Fehlen aller Hautanhangsgebilde). Das bestrahlte Areal entwickelt sich allmählich zu einem Locus minoris resistentiae und wird verletzlich gegenüber äußeren Noxen. Trophische Störungen begünstigen den geschwürigen Zerfall und die Ausbildung eines chronischen Röntgenulkus. In der Regel fungieren teils sogar triviale Traumen (zum Beispiel UV-Licht, Friktion, Infektion) als Auslöser. Nach jahrelangem Verlauf treten Röntgenkeratosen auf, aus denen sich im weiteren Verlauf meist gut differenzierte Plattenepithelkarzinome entwickeln können. „Mit den modernen Techniken der fraktionierten Röntgenbestrahlung sollten späte Hautreaktionen mit ischämischen Nekrosen allerdings zunehmend der Vergangenheit angehören“, betont der Experte.

Für Hautärzte ist darüber hinaus das Wissen um die „Radiation recall“ wichtig. Dabei handelt es sich um eine entzündliche Reaktion der Haut mit Blasenbildung und Erosionen, die in früher bestrahlten Hautarealen aber auch an Stellen rezenter Sonnenbrände beispielsweise durch Methotrexat hervorgerufen werden kann, so Volc-Platzer.

Prävention: interdisziplinäre Betreuung

Idealerweise sollte jeder Patient vor einer neueren Chemotherapie einem Dermatologen vorgestellt werden, plädiert Volc-Platzer. Dieser könne über die zu erwartenden häufigsten Nebenwirkungen wie beispielsweise Hauttrockenheit aufklären und durch die Verschreibung von adäquaten, pflegenden Externa vorbeugen. „Ist im Zuge der geplanten Therapie ein Hand-Fuß-Syndrom zu erwarten, muss der Patient darüber aufgeklärt werden, dass vor allem im Bereich der Fußsohlen die Hornhaut zu entfernen ist, da besonders an Druckstellen die typischen Blasen und Hautablösungen entstehen.“ Da speziell die neueren Therapiemöglichkeiten mit einer erhöhten Sonnenbrandgefahr einhergehen, ist die Verwendung eines Sonnenschutzmittels mit mittlerem Sonnenschutzfaktor bereits mit Beginn der Therapie erforderlich. Mittlerweile gibt es erste Studienergebnisse zum begleitenden, präventiven Einsatz von Tetrazyklinen bei Therapien mit EGFR-Inhibitoren. Volc-Platzer dazu: „Die Einnahme von Tetrazyklinen simultan zu Therapiebeginn kann die Rosazea-ähnlichen Ausschläge mildern, ohne die Wirkung der Therapie auf den Tumor zu beeinträchtigen.“ Zur Pflege der Haut nach einer Bestrahlung sei eine Lotion oder Milch mit kühlendem Effekt, die die Strahlenwirkung nicht beeinträchtigt, empfehlenswert.

Möglichkeiten und Grenzen der Therapie

Bei Haarausfall und den verschiedenen Nagelveränderungen wie Verfärbung und Querstreifung der Nägel ist kaum eine Therapie möglich. Auch eine kompletten Destruktion des Nagels ist therapeutisch nicht zu beeinflussen; in diesem Fall muss man das Nachwachsen der Nägel abwarten. Bei anderen kutanen Nebenwirkungen haben sich laut Volc-Platzer folgende Vorgehensweisen bewährt:

Bei den Rosazea-ähnlichen Erscheinungen wird je nach Schweregrad therapiert. „Sind nur einzelne Papeln oder Pusteln vorhanden, reicht eine lokale Therapie mit Zusatz von Erythromycin oder Clindamycin aus. Juckreiz kann durch hydrocortisonhaltige Cremes oder Cortisoncremes mittlerer Stärke gelindert werden. Bei deutlicher ausgeprägtem Erscheinungsbild mit Rötung weiter Teile des Gesichtes und Schmerzhaftigkeit der Läsionen sind Tetrazykline in gleicher Dosierung wie in der Aknebehandlung indiziert, wodurch im Allgemeinen ein Rückgang des Ausschlages zu erreichen ist. Sollte dies nicht ausreichen, stehen systemische Retinoide (analog zur Aknebehandlung) zur Verfügung. Eine zusätzliche kosmetische Beratung ist für viele Patienten hilfreich.

Für die Therapie von rhagadiformen Ekzemen haben sich vor allem fetthaltige Salben in Kombination mit über Nacht angelegten Verbänden bewährt, mit und ohne Cortisonzusatz.

Bei Entzündungen im Bereich des Nagelfalzes (Panaritium) findet man normalerweise mit einer lokalen Antibiotikatherapie das Auslangen; zum Einsatz sollte vor allem Mupirocin kommen, ergänzt durch antiseptische Maßnahmen. Systemische Antibiotika sind üblicherweise nicht erforderlich.

Beim Hand-Fuß-Syndrom kommt der Prävention besondere Bedeutung zu. Therapeutisch kommen bei manifesten Beschwerden und Schmerzhaftigkeit cortisonhaltige Salben zum Einsatz; vor allem fetthaltige Hautschutzsalben sind zu empfehlen. Essentiell ist hier die fetthaltige Salbengrundlage.

Läsionen der Mundschleimhaut und Aphthen werden mit Mundspülungen mit Salbeitee, mit Adstringentien und cortisonhältigen Haftpasten behandelt. Da spezifischer wirksame Medikamente oft nebenwirkungsreich sind, sollte man nach Möglichkeit versuchen, mit den genannten Therapieformen das Auslangen zu finden. Nicht außer Acht lassen darf man, dass Läsionen nicht nur an der Mundschleimhaut, sondern an allen Schleimhäuten des Körpers auftreten können.

„Der natürliche Verlauf der akuten Bestrahlungsreaktion kann nicht modifiziert werden. Aber der Patient kann einiges dazu beitragen, diese unerwünschten Folgen hintanzuhalten und zu mildern“, wie Auböck hervorhebt. Dazu zählt etwa: die bestrahlten Areale frei tragen (keine scheuernde Kleidung!), sich vor (Bagatell-)Verletzungen schützen, extreme Hitze oder Kälte meiden, selbst Behandlung mit Salben ist kritisch zu hinterfragen. Ebenso sollte auf häufiges oder gar rigoroses Waschen der bestrahlten Areale in der akuten Phase verzichtet werden. Die Patienten sollten vor der Bestrahlung genau über die zu erwartende Strahlenreaktion aufgeklärt werden; besonders darüber, dass die Radiodermitis eine unvermeidbare pathobiologische Reaktion darstellt und keinesfalls als Behandlungsfehler oder Überdosierung zu deuten ist. Gut informierte Patienten kommen in der Regel sehr gut mit den Strahlenreaktionen auf der Haut zurecht. Nicht selten sind sie sogar überrascht, wenn diese weniger stark verlaufen als befürchtet.

Längerfristig: Residuen möglich

Der von Patienten oft gefürchtete Haarausfall bei Chemotherapie ist nach Absetzen derselben in der Regel glücklicherweise reversibel; in seltenen Fällen wie beispielsweise bei extrem hochdosierter Endoxantherapie kann er jedoch von Dauer sein.

Bei Patienten wiederum, die im Lauf der Therapie ein Hand-Fuß-Syndrom entwickelten, können längerfristig Residuen im Sinne einer Hyperästhesie der Handflächen und Fußsohlen bestehen bleiben. Auch klassische Zytostatika wie Carboplatin oder Cisplatin können zu polyneuropathischen Beschwerden führen.

Sollte im Zug einer onkologischen Therapie eine toxische epidermale Nekrolyse als Nebenwirkung auftreten, bleiben unter Umständen Langzeitnebenwirkungen im Sinne einer trockenen Mundschleimhaut (Xerostomie) oder Trockenheit der Augen (Xerophtalmie) bestehen; auch Vernarbungen im Bereich des Bindehautsackes sind möglich.

Auch Pigmentveränderungen im Sinne postentzündlicher Veränderungen können über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben, diesen kann aber durch einen adäquaten Sonnenschutz meist vorgebeugt werden.
MM

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2011