Interview – Univ. Prof. Paul Sevelda: Krebstherapie: Fortschritt Individualität

10.02.2011 | Medizin

100 Jahre sind seit der Gründung der Österreichischen Krebsgesellschaft vergangen. Heutzutage zeichnet sich in der Krebstherapie vor allem ein Trend in Richtung Individualität ab, wie der Präsident der Österreichischen Krebshilfe, Univ. Prof. Paul Sevelda, im Gespräch mit Birgit Oswald erläutert.

ÖÄZ: Die Österreichische Krebshilfe feierte Ende 2010 ihr 100-jähriges Bestehen. Was ist von der Gründungsidee geblieben?
Selveda: Die beiden Chirurgen Hohenegg und Eiselsberg haben vor 100 Jahren unter dem Protektorat von Kaiser Franz Josef die Krebsgesellschaft gegründet, um Krebskranke, die damals wesentlich schlechtere soziale Rahmenbedingungen hatten, da es keine Krankenkassen oder Versicherung gab, zu unterstützen. Schon damals gab es die Idee, Adelige wie Fürstin Metternich um Unterstützung zu bitten. So konnte die Gesellschaft zum Beispiel das erste Radium finanzieren, das in den 1930er Jahren zur Gebärmutterhalskrebs-Behandlung eingesetzt wurde. Auch die ersten Abstriche wurden von der Gesellschaft bezahlt. Diese Gründungsideen reichen bis in die heutige Zeit. Statt Vorträgen gibt es heute Kampagnen, die sich in den letzten zehn Jahren durch die Zusammenarbeit mit den Medien und der Industrie weiterentwickelt haben. So wird man heute etwa durch das Projekt „Aus Liebe zum Leben“ per E-Mail an Vorsorgeuntersuchungen erinnert.

Welche Aktivitäten gehen derzeit von der Österreichischen Krebshilfe aus?
Wir haben drei Schwerpunktbereiche. Das Kerngebiet ist die Beratung von Krebskranken und deren Angehörigen. Das führen wir mit 40 Beratungsstellen österreichweit durch. Das zweite ist die Information der Bevölkerung über Früherkennungs- und Präventionsmaßnahmen. Der dritte Bereich ist die Förderung der Krebsforschung, einzelne Projekte werden in Form von Stipendien oder Schwerpunktbereichen unterstützt. Für 2011 ist etwa ein Forschungspreis zum Thema Bewegung und Sport ausgeschrieben.

Welche Kampagnen sind derzeit aktuell?

In punkto Früherkennung werden jedes Jahr spezielle Kampagnen durchgeführt, wie etwa „Sonne ohne Reue“, eine Kampagne zur Früherkennung von Hautkrebs, die immer vor Beginn der Badesaison gemeinsam mit der Dermatologischen Gesellschaft durchgeführt wird. Ein weiterer Fixpunkt ist die „Pink Ribbon Tour“ im Oktober, bei der wir über die Prävention und Möglichkeiten der Früherkennung von Brustkrebs durch Mammographie informieren. Für 2011 planen wir eine Kampagne zum Thema körperliche Fitness, Bewegung und Krebs.

Welche Fortschritte gibt es in der Krebstherapie?
In der medikamentösen Tumor-Therapie entwickeln wir uns von der „one treatment fits all“ – Strategie hin zu einer individualisierten Behandlung, basierend auf den molekularbiologischen Analysen der Tumore. Zum Beispiel sind beim Mammakarzinom neben den Hormonrezeptoren jetzt auch der Her2neu Rezeptor und Proliferationsmarker Standard geworden. Global gesprochen haben wir in der Onkologie immer mehr moderne Biologika, wo wir Antikörper einsetzen und bestimmte Tumorcharakteristika gezielt bekämpfen. Neuerdings wird häufig eine Kombination dieser Biologika mit zytostatischen Medikamenten durchgeführt. In den letzten 20 Jahren haben sich supportive Therapien verbessert, Übelkeit und Erbrechen können heute sehr wirksam behandelt werden. Blutbildveränderungen wie Granulozytopenie können wir durch die Wachstumsfaktoren verhindern. Nebenwirkungen wie die Kardiotoxizität können heute durch die modernen Zytostatika und die verbesserten Selektionsmechanismen praktisch verhindert werden. Generell entwickeln wir uns hin zu interdisziplinären Tumorboards, wo etwa internistische Onkologen mit den operativen Organfächern und Strahlentherapeuten gemeinsam interdisziplinäre Konzepte entwickeln. Außerdem spezialisieren sich Ärzte immer häufiger auf bestimmte Tumore, so kann das Wissen sehr selektiv eingesetzt werden.

Was ist für die Zukunft geplant?

Die Kampagnen sollen immer mehr in Richtung Primärprävention gehen. Sobald es umfangreichere Zahlen gibt, werden auch Impfungen Thema werden. Außerdem sollen weiterhin die regionale Versorgung der Bevölkerung ausgebaut und die Forschungsprojekte passend zu den Schwerpunkten unterstützt werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2011