Interview – Univ. Prof. Klaus Markstaller: Den Patienten perioperativ betreuen

15.12.2011 | Medizin



Nicht nur die sichere Narkoseführung gewährleisten, sondern eine den gesamten perioperativen Ablauf begleitende Patientenbetreuung – so will Univ. Prof. Klaus Markstaller, der die Professur für Anästhesiologie und perioperatives Management an der MedUni Wien seit kurzem innehat, sein Fach verstanden wissen. Das Gespräch führte Corina Petschacher.


ÖÄZ: Das Thema Ihrer Antrittsvorlesung im November war das perioperative Patientenmanagement: eine Herausforderung für das Fach Anästhesiologie und Intensivmedizin. Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Markstaller: Immer komplexer werdende operative Eingriffe bei Patienten mit zunehmendem Lebensalter und vorbestehenden Risikofaktoren erfordern neue Zielsetzungen im Fach Anästhesiologie und Intensivmedizin. Die Anästhesiologie soll nicht nur eine sichere Narkoseführung gewährleisten, sondern als das gesehen werden, was sie tatsächlich ist: eine den gesamten perioperativen Ablauf mitbegleitende Patientenbetreuung, welche eine sehr gute Planung und entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen erfordert, um optimale Bedingungen für eine Operation zu gewährleisten, sowie eine nach neusten Erkenntnissen durchgeführte Narkoseführung. Im Anschluss gehört dazu eine entsprechende Schmerztherapie und wenn notwendig eine Intensivbehandlung. All das wird zunehmend unter dem Begriff perioperative Medizin beziehungsweise perioperatives Management zusammengefasst.

Woran arbeiten Sie derzeit konkret?
Das akute Lungenversagen stellt momentan eine der größten Bedrohungen für unsere Patienten dar, die sich einem größeren operativen Eingriff unterziehen müssen. Circa fünf Prozent erleiden ein postoperatives Lungenversagen und ein Drittel davon in seiner schwersten Form, dem ARDS, das mit rund 30 bis 40 Prozent eine hohe Mortalität aufweist. In den letzten Jahren wurde die Erkenntnis gewonnen, dass die einzig wirklich wirksame Therapie des akuten Lungenversagens eine sogenannte protektive Beatmung darstellt. Nun gibt es Überlegungen, diese schon früher einzusetzen, also bereits im Operationssaal, um ein akutes Lungenversagen bei großen chirurgischen Eingriffen wenn möglich zu verhindern.
Meine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit verschiedenen pathophysiologischen Mechanismen des akuten Lungenversagens. Dazu führen wir verschiedenste präklinische und klinische Studien durch. Wir haben bereits herausgefunden, dass es unter bestimmten Bedingungen bei der Entstehung des akuten Lungenversagens zu intermittierenden, atemzyklischen Hypoxien kommt. Wir konnten auch nachweisen, dass diese intermittierenden Hypoxien einen Entzündungsreiz, also eine Inflammation im Lungengewebe hervorrufen, was einen bisher unbekannten Weg der Entstehung des akuten Lungenversagens darstellt. Natürlich beschäftigen wir und jetzt auch damit, wie das wirkungsvoll verhindert werden kann.

Wo liegen die Schnittstellen Ihrer Arbeit zu anderen Fächern und wie sieht der klinische Nutzen aus?
Bei unserer Forschungstätigkeit kooperieren wir mit anderen Fachgebieten wie der Chirurgie, der Pathologie und auch der Radiologie. Besonders eng arbeiteten wir bisher mit der Klinik für Radiologie zusammen, da wir sehr viele innovative Bildgebungstechniken für die Erforschung der pathophysiologischen Entstehungsmechanismen des akuten Lungenversagens anwenden. Durch unsere Grundlagenforschung tragen wir dazu bei, Entstehungsmechanismen von bestimmten Krankheitsbildern besser zu verstehen, wodurch wir wiederum in der Lage sind, nach neuen Behandlungsmethoden zu suchen. Dadurch entsteht ein enormer Gewinn für die Klinik. Am Beispiel der interventionellen Beatmungstherapie kann man gut erkennen, welchen Erkenntnisgewinn die Kombination von Grundlagen-wissenschaftlichem Arbeiten mit neuen diagnostischen Techniken mit sich bringen kann. Eine enge Vernetzung und Zusammenarbeit mit den chirurgischen Fächern sowohl in der Klinik als auch in der Forschung und Lehre ist aus meiner Sicht ebenfalls wesentlich für das Fach Anästhesiologie und auch für die Chirurgie. Eine Anästhesie wächst nur mit einer wachsenden Chirurgie und umgekehrt. Nach diesem Motto im Klinikalltag zu leben, ist schon ein großer Schritt, dem Ziel, dem bestmöglichen perioperativen Management für den Patienten, nahezukommen. Hier sind wir auf einem sehr guten Weg.

Welche Studien sind momentan in Planung?

Es sind mehrere multizentrische internationale Studien in Planung. Ich bin Mitglied des Studienkomitees einer großen europäischen Studie, die sich „PERISCOPE“ nennt. Es handelt sich um eine europaweite Studie, die einen Score zur Vorhersage von postoperativen, pulmonalen Komplikationen untersucht. Gemeinsam mit der Universität Dresden planen wir, eine weitere multizentrische Studie mit neuen Beatmungstechniken auf der Intensivstation durchzuführen. Weitere Studien werden natürlich auch monozentrisch am AKH Wien durchgeführt werden, zum einen zur Prävention des akuten Lungenversagens und um festzustellen, ob Phänomene wie intermittierende Hypoxien auch tatsächlich in der klinischen Praxis relevant sind.

Welche Ziele haben Sie sich gesteckt?

Mein Hauptziel ist es, das Fach Anästhesiologie, Intensivmedizin und perioperatives Management im Sinne einer optimalen, integrativen Krankenversorgung weiterzuentwickeln. Ich glaube, dazu muss Patienten-orientierte Forschung – denn hier liegt unsere Stärke an einer der größten Universitätskliniken – interdisziplinär umgesetzt werden mit dem klaren Ziel, das perioperative Outcome zu verbessern. Hierzu ist einerseits ein ganzheitlicher Zugang, das heißt eine Berücksichtigung des gesamten perioperativen Prozesses, andererseits die Berücksichtigung von Grundlagen-wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren Überführung in die Klinik, was überlicherweise als translationelle Forschung bezeichnet wird, notwendig.

Auf welche Weise erfolgt das?
Wir versuchen auch, neueste Technologien an die MedUni Wien und das AKH Wien zu bringen. So ist es uns zum Beispiel gelungen, eine neue Technik zu einer hoch sensitiven Analyse der Lungenfunktion, die MIGET (Multiple-Inertgas-Eliminationstechnik; Anm.) genannt wird und weltweit einzigartig ist, zu implementieren. Wir werden weltweit das größte Zentrum sein, das diese Technik, die eine Weiterentwicklung einer Labormethode darstellt, für die Forschung anbietet. Derzeit finden erste experimentelle Untersuchungen damit statt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2011