Interview – Univ. Prof. Astrid Chiari: Eigenblut ist nicht risikofrei

25.03.2011 | Medizin

Warum man heute mehr und mehr von der Eigenblutspende als Blut-sparende Maßnahme Abstand nimmt, erklärt Univ. Prof. Astrid Chiari von der Abteilung für Allgemeine Anästhesie und Intensivmedizin am AKH Wien und eine der Präsidentinnen der Wiener Anästhesietage 2011 im Vorfeld dieser Veranstaltung im Gespräch mit Corina Petschacher.

ÖÄZ: Ein Schwerpunkt des Kongresses ist dem Thema Blut und Blut-sparende Maßnahmen gewidmet. Wo kommt die Eigenbluttransfusion heute zum Einsatz und welchen Nutzen beziehungsweise welches Risiko birgt eine solche Maßnahme?
Chiari: Die Idee hinter der Eigenblutspende war, dass einige Wochen vor der Operation patienteneigenes Blut abgenommen wird, um während einer Operation auf Fremdblutgaben verzichten zu können. In zahlreichen Untersuchungen hat man aber mittlerweile festgestellt, dass diese Eigenblut-Retransfusion auch nicht risikofrei ist. Aus diesem Grund ist man in den meisten Krankenanstalten von der Eigenbluttransfusion wieder abgekommen. Vor jeder Transfusion muss genau abgewogen werden, ob der jeweilige Patient von einer Transfusion profitieren kann und ob eine Übertragung von Sauerstoffträgern erforderlich ist. Wovor man sich hüten sollte, ist jegliche Bluttransfusion zur ‚Kosmetik der Laborparameter’. Wenn der Patient nicht übermäßig blutet, hämodynamisch stabil und die Sauerstoffversorgung der Organe und Gewebe gewährleistet ist, kann oft auf die Bluttransfusion verzichtet werden. Es liegen Daten vor, die belegen, dass eine Bluttransfusion auch schädlich sein kann, da sie in gewissem Sinn ja wie eine Organtransplantation zu sehen ist. Diese Thematik wird allerdings kontroversiell diskutiert. Das wird sicher ein wichtiger Gesprächspunkt im Rahmen der diesjährigen Anästhesietage sein. Eine weitere Blut-sparende Maßnahme stellt die kontrollierte Hypotension dar, bei der intraoperativ der Blutdruck des Patienten gesenkt wird, um einen auftretenden Blutverlust möglichst gering zu halten.

Im Rahmen der Veranstaltung wird auch die Frage “Wie viel Operation braucht der Mensch?” diskutiert. Was kann man sich davon erwarten?

Diese Frage weist einen gewissen philosophischen Aspekt auf. Es geht hier um umfangreiche orthopädisch-chirurgische Eingriffe, wie zum Beispiel Hüftoperationen, bei denen gleichzeitig linke und rechte Hüfte operiert werden. Hier stellt sich die Frage, ob eine solche Belastung grundsätzlich zumutbar ist und wenn ja, unter welchen Bedingungen sie zumutbar ist. Im Rahmen des Vortrags wird evaluiert werden, was in der jeweiligen Situation chirurgisch machbar ist und was für den Patienten sinnvoll ist. Manchmal sind große Eingriffe aus chirurgischer Sicht durchführbar. Für die Patienten jedoch könnten mehrere kleine Eingriffe die Belastung reduzieren und einen eventuellen Aufenthalt auf einer Intensivstation vermeiden. Der Vorteil einer großen, einmaligen Operation liegt darin, dass eine Rehabilitation nur einmal stattfinden muss. Allerdings können ein großer Blutumsatz und eine möglicherweise bestehende Beatmungspflicht nach der Operation dem Patienten auch schaden. Hier muss individuell entschieden werden.

Beim Einsetzen von Endoprothesen kommt häufig Knochenzement zum Einsatz. Unter Anästhesisten herrscht bei einer solchen Operation absolute Alarmbereitschaft. Warum?
Wenn bei einer Operation mit Knochenzement gearbeitet wird, kann das verwendete Material zu systemischen Reaktionen führen. Häufig kommt es zum Abfallen des Blutdrucks und zu einer Tachykardie. Dies kann eine passagere Reaktion sein, kann aber auch in selteneren Fällen zu anhaltenden Kreislaufstörungen bis hin zur Lungenembolie führen und schwere kardiale Komplikationen wie einen Herzstillstand hervorrufen. Die genauen Mechanismen, die hinter den systemischen Reaktionen bei der Anwendung von Knochenzement stecken, werden noch erforscht.

Im Verlauf der Tagung werden aber nicht nur fachspezifische Themen besprochen, auch die Qualitätsverbesserung durch Risikomanagement und Fehlermeldesysteme wird ein Hauptthema des Kongresses sein. Welche Neuerungen gibt es in diesem Bereich?

Die Anwendung eines Fehlermeldesystems halte ich für zentral bedeutend in der operativen Medizin, ebenso wie in der Hochrisikoindustrie. An der Klinischen Abteilung für Allgemeine Anästhesie und Intensivmedizin am AKH Wien verwenden wir das sogenannte Patienten-Sicherheits-Informations-System, kurz PaSIS. Dieses basiert auf anonymen Berichten von kritischen Vorkommnissen, die im Arbeitsalltag beobachtet werden. Die Meldungen werden durch ein unabhängiges, internes und externes Expertenteam analysiert und Handlungsempfehlungen an die Leitung der berichtenden Institution zurückgemeldet. Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen, bei denen die Sicherheit aller Beteiligten von entscheidender Bedeutung ist, wie zum Beispiel in der Luftfahrtindustrie, wo sich Analysesysteme für sicherheitsrelevante Ereignisse schon seit längerem etabliert und bewährt haben, besteht in der Medizin in diesem Bereich enormer Nachholbedarf. Die Anwendung von Fehlermeldesystemen zur Qualitätsverbesserung könnte einen Weg in Richtung mehr Patientensicherheit und weg von der bisherigen Kultur, einen Schuldigen für Ereignisse zu suchen und diesen zu bestrafen, darstellen. Das Ziel besteht darin, herauszufinden, wie man Fehler in Zukunft vermeidet und Abläufe verbessern kann.

Welche Rolle kommt dem Anästhesisten im Bereich der Unfallchirurgie zu? Wie oft kommt es vor, dass sich ausgehend von einer scheinbar harmlosen Fraktur
ein Lungenversagen entwickeln kann?

Auch Patienten, die primär nur minimal traumatisiert sind, können schwere Komplikationen bis hin zum ARDS entwickeln. Diese Komplikationen können auch mit Verzögerung von einigen Tagen und unerwartet auftreten. Hier sollte man besonders aufmerksam sein, um eine frühzeitige Behandlung zu gewährleisten und eine eventuelle Transferierung an ein Zentrum zu evaluieren, um weitere Schäden zu vermeiden.

Auch über das Thema Regionalanästhesie und deren Komplikationen wird gesprochen werden. Welche Neuerungen gibt es hier?
Moderne Techniken der Regionalanästhesie zeichnen sich durch eine besonders niedrige Komplikationsrate aus und werden mittlerweile auch gerne bei ambulanten Patienten durchgeführt. Beim Kongress werden spezielle Techniken und Medikamente besprochen, die hier am besten zum Einsatz kommen, um den Aufenthalt der Patienten im Krankenhaus so kurz wie möglich zu gestalten. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen können bei Regionalanästhesien gelegentlich Beschwerden und Komplikationen auftreten. Nach einer Epiduralanästhesie kann es in seltenen Fällen zum sogenannten ‚Postspinalen Kopfschmerz’ kommen. Im Rahmen unserer Tagung werden praxisnahe Anleitungen zur Therapie solcher Komplikationen in der Regionalanästhesie besprochen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2011