Diabetes und Depression: Enger Zusammenhang

10.10.2011 | Medizin


In Österreich leidet jeder vierte Diabetiker einmal im Leben an einer depressiven Episode. Nicht nur die Erkrankung selbst, auch psychosoziale Faktoren sowie veränderte Botenstoffe im Gehirn können Auslöser einer Depression sein.

Von Birgit Oswald

Ob die Depression durch Diabetes begünstigt wird – oder umgekehrt – ist schwer festzustellen. „Die Beziehung zwischen Diabetes und Depression ist bidirektional und bildet damit eine Schnittstelle zwischen den medizinischen Fachdisziplinen Endokrinologie und Psychiatrie“, erklärt Heidemarie Abrahamian, Leiterin der Internen Abteilung am Otto Wagner-Spital in Wien.

Viele Faktoren spielen bei der Entstehung der Erkrankungen eine Rolle. So kommen mit der Diagnose Diabetes mellitus viele Patienten schwer zurecht, da dies meist Auswirkungen auf die gesamte Lebensführung hat. In der ersten Phase kommt es oft zur Trauer über den Verlust der vollen Gesundheit. „Viele Menschen haben keine geeigneten Coping-Strategien zur Verfügung und rutschen in eine depressive Episode. Diese Phase ist normalerweise begrenzt, bis der Patient erkennt, dass man sehr gut mit Diabetes leben kann, wenn man bestimmte Werkzeuge zur Verfügung hat“, erklärt Univ. Prof. Hermann Toplak von der Universitätsklinik für Innere Medizin in Graz. Der Arzt sollte daher nach der Diagnose darauf achten, ob der Patient die Krankheit gut in den Alltag integriert hat. Hellhörig sollte der Arzt dann werden, wenn sich die Adhärenz verschlechtert. Hier sollte mittels Zwei-Fragentest nachgeforscht werden. Diese beiden Fragen lauten:

  • Gab es in den letzten vier Wochen eine Zeispanne, während der Sie sich nahezu jeden Tag niedergeschlagen, traurig oder hoffnungslos fühlten?
  • Oder gab es eine Zeitspanne, während der Sie das Interesse an Tätigkeiten verloren haben, die Ihnen sonst Freude machten?

Dieser Test ist den Experten zufolge vor allem deshalb wichtig, weil viele Betroffene versuchen, ihre Symptome zu verbergen oder diese falsch interpretieren.

Neben den klassischen depressiven Symptomen wie Befindlichkeitsstörungen, Erschöpfung, Schlafstörungen, Sexualfunktionsstörungen sollte beim diabetischen Patienten vor allem auf Gewichtsschwankungen geachtet werden. „Schlanke Menschen nehmen in der Depression häufig ab, Übergewichtige eher zu. Treten starke Gewichtsschwankungen auf, muss man sich die Frage stellen, was dahinter steckt. Oft sind es depressive Verstimmungen“, erklärt Toplak. Hier sind auch klassische Schlagworte wie „Kummeressen“ oder „Frustessen“ zu nennen. Denn: „Je unglücklicher jemand ist, desto eher greift er zu energiedichten Lebensmitteln wie Schokolade“, weiß Toplak.

Diese Art des Essverhaltens begünstigt wiederum die Entstehung von Diabetes mellitus oder schlägt sich bei einer bereits vorhandenen Erkrankung in schlechten Blutzuckerwerten oder verstärkten Blutzuckerschwankungen nieder. Die eine Krankheit begünstigt quasi die andere, wie der Experte betont.

Neben psychosozialen Faktoren kann aber auch eine Veränderung der Botenstoffe im Gehirn Auslöser einer Depression sein. „Inflammatorische Zytokine, die im viszeralen Fettgewebe bei adipösen Patienten gebildet werden, können zu einer Veränderung der Neurotransmitter führen und die Manifestation einer Depression begünstigen. Auch die Hyperaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse beziehungsweise des sympathischen Nervensystems kann eine kausale Rolle bei der Entwicklung der Depression spielen“, erklärt Abrahamian.

Coping-Strategien festigen

Bei der Behandlung sollte die Psychotherapie im Vordergrund stehen, wie beide Experten empfehlen. Oft reicht bereits ein halbes Jahr Therapie aus, um die Coping-Strategien ausreichend zu festigen. Wenn es sich um eine schwerere Form der Depression handelt, die medikamentös therapiert werden muss, empfiehlt Abrahamian vor allem Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer: „Gute Daten gibt es für Milnacipran und auch für Duloxetin, das sowohl bei der Depression beim diabetischen Patienten als auch beim neuropathischen Schmerz eingesetzt werden kann. Weniger geeignet sind selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Hier zeigen sich oft Nebenwirkungen wie die erektile Dysfunktion und bei Frauen die sexuelle Unlust.“ Außerdem sollte im Zuge einer Therapie mit Antidepressiva darauf geachtet werden, dass das Gewicht des Betroffenen konstant bleibt, wie Toplak erklärt: „Kommt es zur Gewichtszunahme, kann es zu einer negativen Rückkopplung kommen. Ich empfehle daher immer eine Bewegungstherapie.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2011