Bisphosphonate und Osteonekrose: Dauernd und genau kontrollieren

25.09.2011 | Medizin



Bis zu fünf Prozent aller Patienten mit einer onkologischen Erkrankung entwickeln unter einer Therapie mit Bisphosphonaten eine Osteonekrose des Kieferknochens.

Von Corina Petschacher

Schon seit den 1960er Jahren werden Bisphosphonate erfolgreich in der Onkologie angewandt, allerdings noch in höheren Dosen als heute. Schon damals wurde erkannt, dass Prozesse, die einen hohen Knochenumsatz und eine hohe resorptive Komponente aufweisen, durch den Einsatz von Bisphosphonaten unterbrochen werden können, da diese direkt mit den Osteoklasten in Kontakt treten und sie so in ihrer Aktivität, Differenzierung und in ihrer Lebenszeit einschränken. Die Kontaktaufnahme eines Osteoklasten mit dem Bisphosphonat, das sich dem Knochen anlagert, führt zum Zusammenbruch des Zytoskeletts des Osteoklasten und letztlich zum Zelltod. Dies geschieht aber nur dann, wenn der Osteoklast mit dem „Bisphosphonat imprägnierten“ Knochen in Berührung kommt, also dort wo erhöhte Umbauzonen bestehen.

Bisphosphonate können deshalb nicht in der Prävention angewandt werden, da keine vermehrte Angriffsfläche für Osteoklasten vorhanden ist. Sobald ein Patient ein erhöhtes Frakturrisiko aufweist, besteht eine klassische Indikation für eine antiresorptive Therapie mittels Bisphosphonaten, so auch bei der Osteoporose. Hier sind jedoch viel geringere Dosen nötig als dies beispielsweise in der Therapie von Malignomen, die in den Knochen metastasieren, oder beim Multiplen Myelom der Fall ist. „Nach einer durchschnittlichen Therapiedauer von fünf Jahren kann über ein Absetzen der Therapie nachgedacht werden“, erklärt Univ. Prof. Heinrich Resch vom Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Wien. Da bei einer Langzeittherapie die Knochenumbauprozesse über einen längeren Zeitraum hinweg gehemmt sind, kann es zur Entwicklung eines sogenannten „frozen bone“ kommen, in dem auch Erneuerungsprozesse gestoppt werden, wodurch ein qualitativ minderwertiger Knochen entsteht, der spröde wird und wiederum eine erhöhte Bruchgefahr aufweisen kann.

Wie bei jeder Behandlung mit antiresorptiven Substanzen kann es auch unter der Therapie mit Bisphosphonaten zu Nebenwirkungen kommen. Rund zwei bis fünf Prozent der Patienten aus dem onkologischen Bereich entwickeln unter entsprechend hochdosierter Bisphosphonat-Therapie eine Osteonekrose des Kieferknochens. Zur Entwicklung einer solchen Bisphosphonat-assoziierten Osteonekrose gibt es zwei Theorien: Einerseits die sogenannte „Outside-in-Theorie“, die besagt, dass hohe Dosen von Bisphosphonaten, die im Knochen abgelagert werden, theoretisch auch auf Schleimhautzellen toxisch wirken, auch auf Gefäßzellen und Gefäßwände negative Auswirkungen haben können und so zu einer gestörten Wundheilung führen. Andererseits die sogenannte „Inside-out-Theorie“, nach der ein lokales Trauma durch einen kieferchirurgischen Eingriff und eine lokale bakterielle Infektion zu abgestorbenem Knochenmaterial führt, das nicht abtransportiert werden kann, weil durch die Bisphosphonate die Osteoklasten gehemmt sind und dadurch der Abtransport und das „Remodelling“ des abgestorbenen Knochen nicht stattfinden kann. Der Knochen wird lokal septisch, stirbt ab und kann nicht erneuert werden.

Da bei onkologischen Patienten die Nutzen-Risiko-Abwägung deutlich zugunsten des Benefits einer Bisphosphonat-Therapie aufällt, müsse in diesen Fällen das Risiko einer Osteonekrosebildung eingegangen werden und es müsse das Bestmögliche getan werden, um diese zu verhindern, wie Resch betont. Und weiter: „Alle Antiresorptiva, die in onkologischer Dosierung verabreicht werden, bergen das Risiko einer Osteonekrosebildung. Da es allerdings keine Therapiealternativen für diese Patienten gibt und mit Bisphosphonaten beachtliche Erfolge was das Überleben der Patienten betrifft, erreicht werden, muss dieses Risiko in Kauf genommen werden.“ Ein Patient, der an Osteoporose leidet und sich einer oralen Bisphosphonat-Therapie unterzieht, ist allerdings nicht gefährdet, eine Osteonekrose zu bekommen, wenn er ein saniertes Gebiss aufweist.

Diese Ansicht teilen die Experten der Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Universität Wien nicht. Ihrer Einschätzung zufolge sind rund zehn Prozent der Patienten, die sie aufgrund einer Bisphosphonat-assoziierten Osteonekrose behandeln, ausschließlich solche, die eine orale Therapie mit Bisphosphonaten erhalten haben. „Wir haben bei der hochpotenten Dosierung in der Chemotherapie eine raschere Entwicklung festgestellt, aber auch unter oraler Einnahme von Bisphosphonaten treten unseren Beobachtungen zufolge Osteonekrosen auf, wenngleich viel seltener und später“, berichten Univ. Doz. Arno Wutzl und Univ. Doz. Clemens Klug von der Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Universität Wien. „Bei einer nicht-onkologischen Verabreichung muss die Indikation deshalb sehr genau überprüft werden.“

Bisphosphonate werden wahrscheinlich deswegen so häufig im Kiefer abgelagert, weil die Umbaurate des Kiefers relativ hoch ist. Der Kieferknochen reagiert sehr stark auf Umwelteinflüsse. Als Auslöser für die Nekrosebildung gelten zahnärztliche Probleme – Entzündungen, Wurzelbehandlungen oder kleine chirurgische Eingriffe durch Zahnärzte, die den Entzündungsprozess stimulieren. Ganz wichtig sei es, vor dem Beginn einer Behandlung mit Bisphosphonaten das Gebiss komplett zahnärztlich zu sanieren, um die Nekroseentwicklung zu vermeiden, so sind sich die Experten einig. Auch regelmäßige zahnärztliche Kontrollen unter der Therapie werden empfohlen, um frühe Läsionen zu entdecken beziehungsweise Sanierungen unter den entsprechenden Rahmenbedingungen vornehmen zu können. Bei zahnärztlichen Eingriffen ist allerdings Vorsicht geboten: Patienten unter Bisphosphonat-Therapie sind besonders verwundbar. Chirurgische Eingriffe sollten deshalb zurückhaltend angewandt werden, wenn sie jedoch notwendig sind unter Antibiotikaprophylaxe erfolgen.

Nekrose: kann auch schmerzfrei sein

Klinisch lässt sich die Osteonekrose des Kieferknochens in verschiedene Stadien einteilen. Im Stadium 0 ist die Nekrose selbst noch nicht ausgebildet, im Röntgenbild aber bereits ein verbreiterter Parodontalspalt zu sehen. Ab Stadium 1 ist der freiliegende Knochen zu erkennen; es besteht noch keine Entzündung. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die Nekrose schmerzfrei ablaufen. Ab Stadium 2 hingegen handelt es sich um einen entzündlichen Prozess: Der Knochen liegt frei und die auftretenden Ulzera haben meist einen eitrigen Grund. Das Stadium 3 zeichnet sich durch das AUftreten von Fisteln, die nach außen gerichtet sind, aus. Auch Abszesse und nicht heilende Ulzera treten auf. Diese sind mit starken Schmerzen und massivem foetor ex ore verbunden, der zur sozialen Isolierung der Patienten führen kann. Die Schmerzen können auch aufgrund von Sklerosierungs-Erscheinungen des Nervus alveolaris inferior auftreten.

Um die Diagnose einer Osteonekrose des Kieferknochens stellen zu können, wird zunächst eine genaue Anamnese erhoben, die besonders auf die Behandlung des Patienten mit antiresorptiven Medikamenten eingehen soll. Es folgen die zahnärztliche Begutachtung der betroffenen Areale sowie die Erhebung des Zahnstatus des Patienten. Bei Zahnschmerzen ohne auffindbare Ursache sollte immer auch an eine Osteonekrose gedacht werden, erklärt Wutzl. Bei Verdacht auf eine Osteonekrose werde auch stets eine Computertomographie sowie eine Biopsie gemacht. Hat sich eine Osteonekrose einmal manifestiert, sind oft aufwendige chirurgische Maßnahmen zu deren Sanierung notwendig. In Wien erfolgt eine chirurgische Deckung des Defekts; dies ist allerdings erst dann möglich, wenn Knochensequester entfernt wurden und der Verschluss aussichtsreich ist. Der Verschluss erfolgt durch Lappenbildung, wobei unterschiedliche Nahlappen zur Deckung zum Einsatz kommen. Bei Operationen am Oberkiefer wird meist ein Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde beigezogen, da sich die Nekrosen oft auch bis in die Kieferhöhle erstrecken können.

Wie wichtig die Aufklärung zum Thema Osteonekrose-Entwicklung unter Bisphosphonat-Therapie ist, unterstreicht Resch: „Nicht jeder, der Bisphosphonate einnimmt, entwickelt automatisch eine Osteonekrose.“ Allerdings solle man – ohne Panikmache zu betreiben – darauf hinweisen, dass für Patienten unter hochdosierter Bisphosphonat-Therapie ein Risiko besteht, eine Osteonekrose zu entwickeln, und dass durch zahnärztliche Prophylaxe schwerwiegende Komplikationen vermieden werden können. Auch von Seiten der Fachärzte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde wird der Wunsch nach bestmöglicher Information und Zusammenarbeit laut: „Wir erhoffen uns für die Zukunft, dass die Bisphosphonat-verschreibenden Internisten Zuweisungen an Zahnärzte schreiben, mit der Bitte um interdisziplinäre Zusammenarbeit. So können sie durch gute Zusammenarbeit das bestmögliche Ergebnis für die Patienten erzielen“, betont Wutzl abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2011