Analekzem: Ohne Diagnose keine Therapie

25.05.2011 | Medizin

Als Begleiterscheinung von verschiedenen dermatologischen, allergologischen, proktologischen und mikrobiologischen Vorgängen ist das Analekzem eine der häufigsten proktologischen Erkrankungen. Aber auch eine Vielzahl von Dermatosen kann die Perianalregion betreffen und klinisch wie ein Analekzem imponieren.
Von Irene Mlekusch

Vor allem für Patienten ist es oft schwierig, das Problem zu verbalisieren. Die oftmals rezidivierenden oder chronischen Beschwerden, die mit einem unerträglichen Juckreiz einhergehen, verursachen aber bei vielen Betroffenen einen hohen Leidensdruck. Daher der Appell von Univ. Prof. Reinhard Höpfl, dem Leiter der proktologischen Ambulanz an der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie in Innsbruck: „Der Hausarzt sollte sich immer ein klinisches Bild machen und wirklich hinschauen. Denn häufig handelt es sich um Pflegefehler mit mildem Ekzem.“

Morphologisch manifestiert sich das Analekzem zirkumanal und intraanal, wobei das akute Ekzem ein Erythem mit feuchter Erosion darstellt. Zusätzlich können Papeln, Seropapeln, Bläschen, Erosionen oder im chronischen Stadium durch das Kratzen eine Licheninfektion auftreten. Die Symptomatik ist unabhängig von der Ursache durch Pruritus, Brennen, Wundsein und Nässen gekennzeichnet. Vor allem in der Nacht finden die Patienten oft keine Ruhe. „Um das Kratzen in der Nacht zu dezimieren, wird dem Patienten empfohlen, die Fingernägel kurz zu schneiden und beim Schlafen dünne Baumwollhandschuhe zu tragen“, ergänzt Höpfl. Dem Pruritus ani kommt bei der Entstehung des Analekzems eine zentrale Bedeutung zu, da die durch das Kratzen entstandenen Hautwunden sich aufgrund der anatomisch bedingten feuchten Kammer und durch mögliche Stuhlreste entzünden können. Die Entzündung führt zu brennenden Schmerzen und der Abheilungsprozess erzeugt wiederum einen Juckreiz, der die Betroffenen dazu veranlasst, erneut zu kratzen. Dieser Teufelskreis ist schwer zu durchbrechen. „Das Analekzem geht in etwa 80 Prozent der Fälle mit einem Pruritus einher“, fügt Univ. Prof. Max Wunderlich, Chirurg an der Privatklinik Josefstadt (Confraternität) in Wien hinzu. Und weiter: „Der idiopathische Pruritus ani und dies ist der häufigste, ist nur in etwa 50 Prozent der Fälle mit einem makroskopisch erkennbaren Ekzem verbunden.“

„Der Pruritus ani kann nur durch entsprechende Pflege und Beseitigung der Ursachen eingedämmt werden“, erklärt Höpfl und verweist auf die übertriebene Hygiene, die seiner Meinung nach mit zum Teufelskreis gehört. Extremes Waschen zerstört die Schutzbarriere der Haut. Zusätzlich können anatomische Gegebenheiten wie zum Beispiel ein Trichteranus die Reinigung erschweren und die lokale Feuchtigkeit erhöhen. Zur gesunden Analhygiene gehört das vorsichtige Entfernen von Stuhlresten, das milde Reinigen der Haut mit Wasser oder neutralen Öltüchern und das Rückfetten der Haut mit Vaseline. Nässe sollte unbedingt vermieden und die Region trocken gehalten werden; das Einlegen von Leinenstreifen kann dabei helfen. Faktoren, die den Juckreiz zusätzlich verstärken können, sind Bettwärme, Schwitzen, Übergewicht, enge Beinkleider, langes Sitzen, Sportarten, welche die Gesäßbacken beanspruchen wie zum Beispiel Laufen und Radfahren, scharfe Gewürze und unverträgliche Speisen sowie übermäßiger Kaffeekonsum.

Auf Kontaktallergien und Präkanzerosen achten

„Die Aufgabe des Dermatologen ist es, mögliche Kontaktallergien und Präkanzerosen aufzudecken“, so Höpfl. Wunderlich ruft in diesem Zusammenhang primär neoplastische Veränderungen, die ein Ekzem imitieren, häufig als solches angesehen und frustran behandelt werden, in Erinnerung: Morbus Bowen und extramammärer Morbus Paget. „Deren Diagnose wird durch eine Biopsie gestellt“, sagt Wunderlich und betont, dass diese dann indiziert ist, wenn ein Ekzem unter konservativer Therapie nicht oder nur vorübergehend heilt. Zu den weiteren prämalignen und malignen Erkrankungen der Perianalregion zählen die bowenoide Papulose, das Plattenepithelkarzinom der Analregion und das Basalzellkarzinom. Höpfl macht auf die steigende Inzidenz von präkanzerösen und invasiven Neubildungen aufmerksam: „Ursächlich für die Zunahme analer intraepithelialer Neoplasien sind Infektionen mit HPV, besonders häufig bei Risikogruppen wie Homosexuellen und/oder HIV-Positiven.“ Auch die speziell in der jüngeren Generation frühe sexuelle Aktivität ist ein Faktor, der anogenitale Infektionen mit humanen Papillomaviren begünstigt. Die seit wenigen Jahren verfügbare prophylaktische HPV-Impfung könnte diesbezüglich positive Effekte haben.

„Das Karzinoma in situ weist eher eine scharfe Begrenzung auf, wobei auch warzige flache Veränderungen suspekt sind“, weiß Höpfl und betont, dass das Analekzem wesentlich häufiger irritativ auf Basis einer Kontinenzstörung entsteht. Dieses irritativ-toxische Analekzem kann einerseits durch exogene mechanisch-traumatisierende Hautschädigung im Rahmen übertriebener Analhygiene verursacht sein. Andererseits können im perianalen Feuchtraum-Milieu exogene Faktoren wie beispielsweise fäkale Sekrete zu einer Schädigung der epidermalen Barriere führen. Angesichts des breiten Spektrums der Ursachen einer Sphinkterinsuffizienz mit dem Leitsymptom der Inkontinenz fasst Wunderlich die häufigsten Ursachen wie folgt zusammen: meist postpartale Sphinkterdefekte, bei Frauen überwiegende Sphinkterschwäche und Rectumprolaps oder postoperative Schädigungen. „Pruritus und Ekzem sind bei allen Patienten mit einer Störung der Kontinenz seltener als man denkt“, merkt der Experte. Die Auswahl des Therapieverfahrens richtet sich nicht nur nach der zugrunde liegenden Pathologie, sondern auch nach dem Schweregrad der Inkontinenz und reicht von konservativen Maßnahmen bis zu ausgereiften chirurgischen Verfahren, deren Heilungs- und Besserungsrate bestenfalls bei etwa 80 Prozent liegt.

„Ekzem und Pruritus sind erstaunlich selten, nämlich zu etwa 20 Prozent, mit einer proktologischen Erkrankung verbunden“, erklärt Wunderlich. Zur weiteren Abklärung empfiehlt er die Erhebung der Anamnese, die Palpation des Abdomens, besonders auch zur Beurteilung von eventuellen Lymphknotenvergrößerungen inguinal, die entzündlich oder neoplastisch bedingt sein können, eine anale Inspektion, digitale Palpation, Rektoskopie und Proktoskopie zur Diagnose einer der chronisch septischen Pathologien wie Fistel oder Hidradenitis suppurativa. „Berichtet der Patient über Blut beim Stuhlgang, so sollte in jedem Fall eine proktologische Untersuchung mit einer Rektoskopie erfolgen“, rät Höpfl. Ergibt der Befund schwerwiegende proktologische Erkrankungsbilder wie zum Beispiel Hämorrhoiden 4. Grades oder eine Analfistel, deren operative Therapie hohe Aussicht auf Erfolg hat, so ist eine chirurgische Sanierung durchaus indiziert. Wunderlich stellt allerdings klar: „Gerade weil der anale Pruritus meist ein idiopathischer ist, darf prinzipiell von keiner Operation eine Linderung oder Heilung erwartet werden. Davon ist – in Gegenwart von Pruritus ani und/oder Ekzem – jeder Patient vor einer Operation unmissverständlich zu unterrichten, insbesondere, wenn nicht gerade eine der beiden oben genannten klassischen Pathologien vorliegt.“

Zusammenarbeit hilfreich

In jedem Fall raten die Experten zu einer Zusammenarbeit von Dermatologie und Chirurgie. Denn eine weitere häufige Form des Analekzems ist das allergische Kontaktekzem. Diese Form des Analekzems mit starkem Juckreiz wird immunologisch durch eine Sensibilisierung Typ-IV-Reaktion hervorgerufen. Meist tritt die Reaktion unerwartet auf Hautpflegemittel, Intimsprays, Toilettenpapier oder Proktologika auf, die jahrelang komplikationslos benutzt worden sind. Vor allem feuchtes, recyceltes oder gefärbtes Toilettenpapier kann durch die Ekzematogene Kathon C6 und Euxyl K400 eine Kontaktallergie auslösen. Im erscheinungsfreien Intervall kann bei Verdacht auf einen allergischen Auslöser ein Epikutantest Klärung verschaffen.

Auch beim atopischen Analekzem ist der quälende Pruritus das Leitsymptom. Die perianale Region ist neben den Kniekehlen und Ellenbeugen eine typische Prädilektionsstelle für dieses Ekzem.

Differentialdiagnostisch können hinter dem analen Juckreiz und dem Ekzem auch eine Psoriasis inversa, ein Lichen sclerosus et atrophicus, Lichen ruber planus, eine anale Candidose, perianale Infektionen mit Corynebacterium minutissimum oder bevorzugt bei Kindern die perianale Streptokokkendermatitis stehen.

Besonders beim irritativ-toxischen Ekzem ist das Meiden beziehungsweise Ausschalten der auslösenden Faktoren grundlegend für einen Therapieerfolg. „Kortikosteroide können im Analbereich zum Einsatz kommen, sollten allerdings nicht länger als zwei bis drei Tage angewendet werden“, sagt Höpfl. Er empfiehlt seinen Patienten, falls möglich sofort zur Pflege überzugehen und die irritierte Haut mit Zinkpasten oder Acrylaten wie zum Beispiel Cavilon™ zu schützen. Sitzbäder mit Eichenrindenextrakt oder synthetischen Gerbstoffen können helfen, eine übermäßige Feuchtigkeitsentwicklung der perianalen Region zu vermindern. „Bei Psoriasis inversa, die auch im Analbereich durch die typischen Hautveränderungen erkennbar ist, sind Vitamin D-Präparate das Mittel der Wahl“, so Höpfl. Liegt ein atopisches Ekzem vor, können Bestrahlungen mit hochenergetischem UVA-Licht Erleichterung bringen. Des Weiteren nennt er topische Immunmodulatoren wie zum beispiel Tacrolimus, welches vor allem bei perianalen atopischen Ekzemen als Ersatz für Kortikosteroide zum Einsatz kommen kann.

Proktologische Erkrankungen, die ein Analekzem verursachen können:

  • Permanent prolabierte Haemorrhoiden (= 4. Grad) wegen der Schleimsekretion von der irritierten bloßliegenden Mucosa
  • Marisken mit dem Problem der Analhygiene (gründliche Reinigung wegen überdurchschnittlicher Faltenbildung nicht möglich)
  • Hartnäckig sezernierende Analfisteln
  • Hidradenitis suppurativa (= Akne inversa oder conglobata)
  • Fäkale Inkontinenz
  • Häufige Stuhlentleerungen bei Durchfallsleiden (zum Beispiel Crohn, der zusätzlich noch mit lokal entzündlichen Prozessen im Analkanal einhergehen kann)

Quelle: M. Wunderlich

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2011