Standpunkt – Vize-Präs. Artur Wechselberger: Von den Deutschen lernen

10.06.2010 | Standpunkt


Von den Deutschen lernen!

(c) Zeitler

Nahezu zwei Jahrzehnte permanenter Reformen hat es bedurft, um das deutsche Gesundheitswesen schwer und nachhaltig zu beschädigen.

Ärztemangel im ganzen Land. Allein 5.000 Mediziner sollen laut Gesundheitsminister Philipp Rösler derzeit fehlen und besonders die neuen Bundesländer bemühen sich, durch Werbeaktionen die schon lückenhafte Basisversorgung am Land zu sichern. Dazu die Tatsache, dass schon jeder zweite der rund 150.000 niedergelassenen deutschen Ärzte in Stadt und Land älter als 55 Jahre ist.

Die Überalterung der Ärzte und der Bevölkerung bildet das Amalgam, das verantwortungsbewussten Gesundheitspolitikern den Schweiß auf die Stirn treibt.

Eine Umkehr des jahrelangen Reformdesasters will der neue FDP-Gesundheitsminister und Arzt Rösler schaffen. Ein zukunftssicheres und auf Dauer finanzierbares Gesundheitssystem, das auf Eigenverantwortung aufbaut, steht auf seiner Agenda ebenso wie der Ausbau der Zusammenarbeitsmöglichkeiten für die zunehmende Zahl der Ärztinnen. Erfolge gegen den Ärztemangel erwartet er sich nicht zuletzt aus einer Steigerung der Attraktivität des Berufes. Nicht mehr Geld will er versprechen, aber ein faires System. Ein System, in dem die Entscheidungen der Ärzte zugunsten der Patienten und nicht zugunsten des Systems und seiner knappen Ressourcen erfolgen müssen. Und auch die Universitäten will er in die Pflicht nehmen und fordert sie auf, bei der Selektion der Medizinstudenten nicht nur den Notendurchschnitt, sondern im Zulassungsverfahren auch persönliche und soziale Eignung der Studienwerber zu berücksichtigen. Statt auf staatlich verordnete Kontrolle setzt er auf Vertrauen und auf einen aufgeklärten und mündigen Patienten. Deshalb sei die Patienteninformation, die auch Preiskenntnis beinhalten muss, notwendig. Eine Forderung, der die Ärztekammer mit dem Wunsch, das Sachleistungssystem durch ein System der Kostenerstattung zu ersetzen, einen konkreten Vorschlag entgegen hält.

Ob dem Bekenntnis des Ministers zu Eigenverantwortung, Bürokratieabbau, Stärkung der Solidarität und Steigerung der Attraktivität des Arztberufes, auf die seine Gesundheitsreform aufbaut, auch die gesetzliche Umsetzung folgt, wird die Zukunft zeigen.

In Österreich fährt man jedenfalls noch immer den Kurs der Konfrontation gegen die Ärzte. Statt auf deren Expertise baut man auf Versprechungen systemfremder Propheten und deren Modelle, die noch nie bewiesen haben, dass sie im Gesundheitswesen auch erfolgreich umsetzbar sind. Offenen Auges steuert man bei den Gruppenpraxen auf einen programmierten Flop hin. Statt Förderung der ärztlichen Zusammenarbeit werden Bedarfsprüfungen und Restriktionen dekretiert und an Stelle flexibler Arbeitsmöglichkeiten wird die Anstellung von Ärzten bei Ärzten verunmöglicht. Und noch immer geistern die krankenhausnahen Allgemeinen Versorgungszentren (AVZs) durch die politische Diskussion unseres Landes, während der deutsche Gesundheitsminister – durch Erfahrung geläutert – fordert, dass Medizinische Versorgungszentren (MVZ) nicht nach den Regeln des Kapitals, sondern nach den Regeln der ärztlichen Freiberuflichkeit funktionieren müssen. Ein Thema, zu dem der Deutsche Ärztetag den Gesetzgeber auffordert, die Zulassung von MVZs an die Voraussetzungen zu knüpfen, dass die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte Ärztinnen und Ärzten zusteht und das MVZ von Ärztinnen und Ärzten verantwortlich geführt wird.

Österreichs Hang, deutsche Entwicklungen unkritisch zu übernehmen, ist hinlänglich bekannt. Umso mehr muss an die Verantwortlichen appelliert werden, Beispiele differenziert zu betrachten und das zu übernehmen, was objektiven Erfolg verspricht. Dazu gehören jedenfalls die Grundregeln zur Arbeitsmotivation. Denn sämtliche Studien zur Ursachenanalyse des Ärztemangels im deutschen Gesundheitswesen zeigen, dass die Attraktivität der ärztlichen Tätigkeit in Klinik und Praxis nicht nur vom Einkommen abhängt, sondern in noch viel größerem Maße vom Sinn der Arbeit, den inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten sowie von den Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung, der Kollegialität und der Führungskultur bestimmt wird.

Artur Wechselberger
1. Vize-Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2010