Verordnung zu Nicht-interventionellen Studien: Am Ziel vorbei?

15.07.2010 | Politik

Ab September werden alle Nicht-interventionellen Studien mit einem Register öffentlich gemacht werden. Rechtlich umstritten ist dabei die Weitergabe von Daten an den Hauptverband.
Von Ruth Mayrhofer

Ab 1.9.2010 müssen per Verordnung des Bundesministers für Gesundheit alle Nicht-interventionellen Studien (NIS; vorher: Anwendungsbeobachtungen, AWB) vor ihrer Durchführung dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG/AGES PharmMed) elektronisch gemeldet werden*. Das betrifft Nicht-interventionelle Studien, die von der Pharmaindustrie gesponsert werden genauso wie sogenannte akademische Nicht-interventionelle Studien, die von Universitätseinrichtungen, Kliniken, Zentren oder im Rahmen von Diplomarbeiten ohne Sponsoring von Pharmafirmen eigenständig durchgeführt werden. Diese Meldepflicht soll – so Minister Stöger bei der Präsentation der neuen Verordnung – mittels eines öffentlich zugänglichen Registers beitragen, die Transparenz dieser Studien und die Patientensicherheit zu erhöhen. Außerdem wird es so erstmals Aufschluss über die Zahl aller Nicht-interventionellen Studien in Österreich geben.

NIS-Register in der Praxis

Das heißt: Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen führt ab 1.9.2010 das elektronische Register über alle Nicht-interventionellen Studien (Gestehungskosten: 100.000 Euro), die in Österreich stattfinden. Es wird an diesem Tag auf der Internet-Seite www.basg.at freigeschalten werden. Die Nicht-interventionellen Studien müssen von dem für die Durchführung Verantwortlichen – also von Pharmaunternehmen, Arzt, Apotheker oder der Medizinischen Einrichtung – darin elektronisch eingetragen werden. Neben dem zu beobachtenden Arzneimittel, der Zielsetzung der Studie und den möglichen daran teilnehmenden Patientenzahlen müssen die Firmen genauso die teilnehmenden Ärzte, deren Adressen und die ihnen für die Nicht-interventionellen Studien in Aussicht gestellte Aufwands-Entschädigung angeben. Nicht all diese Daten werden generell (also für jedermann einsehbar) öffentlich gestellt: Informationen über Honorare und Arzt-Adressen bleiben (Letztere bis zur Veröffentlichung des Kurzberichtes über die Nicht-interventionelle Studie) lediglich für die Behörde einsehbar; Patienten können aber prüfen, ob in ihrer Region eine solche Studie läuft.

Sechs Monate nach Beendigung einer Nicht-interventionellen Studie muss seitens des Studien-Verantwortlichen der Behörde ein Abschlussbericht nach definierten Qualitätskriterien vorgelegt werden, dessen Kurzfassung im Internet für jeden Interessierten öffentlich gemacht wird. Darin enthalten sind dann auch die Namen und Adressen jener Ärzte, die an der Nicht-interventionellen Studie teilgenommen haben.

NIS versus Klinische Prüfung

Nicht-interventionelle Studien haben zum Ziel, ein Arzneimittel nach erfolgter Zulassung im Alltag zu untersuchen. Sie sollen dazu führen, die Kenntnisse zur Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Medikaments in der routinemäßigen Anwendung zu erweitern. Solche Studien definieren sich darüber, dass alle erhobenen Daten mittels epidemiologischer Methoden analysiert, die Diagnose und sonstige Beobachtungen der ärztlichen Praxis entsprechen und keine weiteren Diagnoseverfahren veranlasst werden. Der Patient wird im Rahmen seiner Routinebehandlung therapiert, der Arzt unterliegt hinsichtlich seiner Behandlung keinen Vorgaben. Üblich ist es, Nicht-interventionelle Studien als Fall-Kontroll-Studien, Register- oder Kohortenstudien mit zugelassenen und im Handel befindlichen Arzneimitteln oder Medizinprodukten durchzuführen. Patienten müssen seitens der Ärzte über ihre Teilnahme an einer solchen Studie aufgeklärt werden; der Arzt darf erst nach seiner initialen Therapieentscheidung die Aufnahme eines Patienten in eine Nicht-interventionelle Studie erwägen. Die Abgrenzung dieser Studie zu einer Klinischen Prüfung ist die Nichtintervention. Für die Patienten dürfen keine zusätzlichen Belastungen entstehen. Die Behandlung muss mit den in der Zulassung festgelegten Angaben erfolgen.

Transparenz als Image-Schutz?

In der Vergangenheit sind Nicht-interventionelle Studien immer wieder in den Fokus der Kritik geraten: von einem „reinen Marketing-Instrument der Pharmaindustrie“ war die Rede, von der „Bestechung und Bestechlichkeit der Ärzteschaft“ in Sachen Aufwandsentschädigung, von einem „Anreizsystem“ für Ärzte, ihre Verordnungsgewohnheiten zugunsten des in einer solchen Studie zu beobachtenden Produkts zu verändern. Durch die Offenlegung der Details zu den einzelnen Nicht-interventionellen Studien sollen künftig diese Kritikpunkte ausgeräumt werden. „Auf begründetes Verlangen“ – was derzeit noch nicht näher definiert ist – kann übrigens der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger beim Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen Informationen abfragen, um etwa festzustellen, ob ein bestimmter Arzt durch eine Nicht-interventionelle Studie sein Verschreibeverhalten nicht doch vielleicht geändert hat.

Neues Kontrollinstrument

Insgesamt bejaht Stöger unumwunden die Frage, ob mit diesem Register für Nicht-interventionelle Studien nicht auch ein neues Kontrollinstrument geschaffen wurde, um Pharmaindustrie und Ärzten gegebenenfalls bei vermutetem Fehlverhalten kräftig auf die Finger zu klopfen. Er geht aber davon aus, dass „dies nicht notwendig sein wird, jedoch zur Schaffung von Bewusstsein dafür, was okay ist und was nicht, beitragen kann“. Außerdem meint Stöger, dass der Druck auf die Ärzteschaft durch das neue Register wachsen könnte; schließlich könnten Patienten jederzeit in die ihnen zugänglichen Teile des Registers Einsicht nehmen.

Zustimmung, Kritik, Achselzucken

„Transparenz schafft Vertrauen“ heißt es seitens der Patientenanwaltschaft zur neuen Verordnung über Nicht-interventionelle Studien, die damit die Einführung dieses Instruments explizit auch im Sinne der Patienten begrüßt. Seitens der Pharmaindustrie bekennt man sich ohne Einschränkung zur Offenlegung aller Daten gegenüber dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen und der damit in Zusammenhang stehenden Transparenz, wie Helga Tieben, Direktorin für Zulassungsangelegenheiten, Compliance und Innovation des Branchenverbandes Pharmig, betont. „Das Melderegister ist ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Tieben, „weil dadurch die Anforderungen und die Qualitätsstandards, die schon seit einigen Jahren seitens der Pharmig vorliegen und auch vom BASG in seinem NIS-Leitfaden als Referenz verwendet werden, verbindlich gemacht werden.“ Außerdem könne so auch erstmals das Spektrum der akademischen Studien überschaubar werden. „Wahrscheinlich ergibt sich insgesamt ein höherer Anteil solcher akademischer Studien als jener, die von der Pharmaindustrie initiiert werden. Das soll man auch sehen können“, so die Expertin. Allerdings, so die Bedenken der Industrie, ginge die Verordnung über den rechtlichen Rahmen des Arzneimittelgesetzes (AMG), das sich auf die Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität von Arzneimitteln konzentriert, hinaus. Tieben: „Die Weitergabe der Daten an den Hauptverband ist gesetzlich nicht gedeckt. Der Hauptverband hat dies als politische Forderung durchgesetzt. Damit ist ein Systembruch gelungen.“ Und: „Wenn der Hauptverband Ärztedaten möchte, soll er sich diese direkt von seinen Vertragspartnern, den Ärzten, holen.“

Ärzte: Kontrolle bringt nichts

Günther Wawrowsky, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der ÖÄK, sieht die Entwicklungen rund um die Nicht-interventionellen Studien gelassen: „Mir ist das alles ziemlich gleichgültig; es gibt viel wichtigere Probleme!“ Aber dennoch bezeichnet er die entsprechende Verordnung als eine „Schein-Verordnung“, weil sie ein Thema anfasst, das weder wirklich dringlich noch gut durchdacht sei. „Kann sein, dass sich der Hauptverband freut, weil er ein zusätzliches Kontrollinstrument erfunden hat. Aber er wird sehen, dass es nichts bringt.“ Nachsatz: „Diese Kontrolle könnte jedoch so weit ausschlagen, dass sie letztlich zumindest indirekt die Patienten trifft!“ Damit könnte Wawrowsky recht behalten: Die Pharmaindustrie rechnet damit, dass insbesondere kleinere Unternehmen sich nicht der administrativen Belastung des Registers für Nicht-interventionelle Studien aussetzen werden wollen. Somit würde die Anzahl der von Pharmafirmen gesponserten Nicht-interventionellen Studien jedenfalls sinken. Seitens der niedergelassenen Ärzteschaft geht man davon aus, dass vielleicht doch Ärzte an einer Teilnahme an einer solchen Studie abgeschreckt werden könnten beziehungsweise sich der zusätzlichen Kontrolle nicht mehr unterwerfen wollen. Zwingen, eine Nicht-interventionelle Studie durchzuführen, so Kurienobmann Wawrowsky, könne man niemanden.

Fazit: Kann sein, dass die Katze sich damit in den sprichwörtlichen Schwanz beißt. Denn: Weniger Nicht-interventionelle Studien bedeuten auch ein Minus an Arzneimittel- und damit an Patientensicherheit, was den Intentionen dieses Registers eindeutig widerspricht. Daher muss man die Frage stellen, ob diese Verordnung à la longue nicht am von der Behörde angestrebten Ziel vorbei schießt. Oder: Ob die Kontrolle doch wichtiger war als alles andere …

* Verordnung über die Meldepflicht für Nicht-interventionelle Studien, BGBl Nr. 180/2010

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2010