Universitätsärzte: Für Forschung bleibt zu wenig Zeit

15.07.2010 | Politik

Die Situation der Universitätsärzte unterscheidet sich von der ihrer Kollegen in den Spitälern. Der Wiener Kurienobmann Univ. Prof. Thomas Szekeres analysiert die Hintergründe.
Von Kurt Markaritzer

Die Rahmenbedingungen für Ärzte an den Universitätsklinikern sind nicht überall gleich: Während in Graz und Innsbruck viele Universitätsklinik-Mediziner bei der jeweiligen Landes-Krankenanstaltengesellschaft beschäftigt sind, sind in der Bundeshauptstadt alle Universitätsärzte Angehörige der Medizinischen Universität Wien und haben spezielle Aufgaben, zu denen vor allem die Mitarbeit an Forschungsprojekten zählt. Außerdem müssen sie sich stärker in Lehre und Ausbildung einbinden – schließlich ist die Medizinische Universität Wien eine der größten in Europa mit einem hohen Anteil an ausländischen Studierenden.

Die Einstellung der Uni-Ärzte zu den Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen, wurde jetzt im Rahmen der IFES-Spitalsärzte-Befragung 2010 erforscht, die nach 2003 und 2006 bereits zum dritten Mal in ganz Österreich durchgeführt wurde. 135 Wiener Universitätsärzte wurden dabei befragt; ihre Statements sind repräsentativ für die insgesamt 1.601 in Wien tätigen Universitätsärzte. „Das größte Problem der Kolleginnen und Kollegen an den Universitätskliniken im AKH ist der Mangel an Zeit für Forschung“, konstatiert Univ. Prof. Thomas Szekeres, Vizepräsident und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien. „Sie müssen laut Gesetz 30 Prozent der Arbeitszeit für konkrete Forschungsprojekte aufwenden können. Aber davon ist man in der Realität weit entfernt.“

Forschung und Karriere

Tatsächlich wenden die Uni-Ärzte in Wien 22,17 Prozent ihrer wöchentlichen Arbeitszeit für Forschung und Lehre auf. Das ist zwar deutlich mehr als die 10,44 Prozent, die ihren Spitalsärzte-Kollegen in Wien dafür zur Verfügung stehen, aber signifikant weniger, als sie haben müssten. Jeder sechste Universitätsarzt hat nach eigenen Angaben „gar keine Zeit“ für die Forschung. Ist die Zeit für die medizinische Forschung zu knapp bemessen, werden wertvolle Ressourcen nicht optimal genützt, denn die Qualifikation der Universitätsärzte ist hoch: Im AKH ist jeder dritte Arzt habilitiert, im Durchschnitt aller Wiener Spitäler sind es zehn Prozent. Außerdem ist die Forschung auch für den beruflichen Aufstieg von entscheidender Bedeutung. Szekeres dazu: „Die Verlängerung der Verträge hängt maßgeblich von der geleisteten Forschungsarbeit ab. Dafür haben aber gerade jene Ärzte wenig Zeit, die sich mit besonderem Engagement um die Patienten kümmern.“ Die schwierigen Rahmenbedingungen führen dazu, dass die Belastungskurven bei den Ärzten steigen und der Druck, unter dem sie stehen, von vielen als subjektiv stärker empfunden wird als noch vor drei oder sieben Jahren.

Allerdings besteht in Wien berechtigte Hoffnung auf eine spürbare Entlastung, sagt Szekeres: „Der frühere Wissenschaftsminister Hahn hat 150 Planstellen für AKH-Ärzte bewilligt, die nunmehr besetzt werden. Damit kann das Krankenanstaltenarbeitszeitgesetz eingehalten werden, und es dürfte in der Arbeitszeit etwas mehr Raum für Forschung und Lehre verbleiben. Diese lang geforderte Aufstockung ist ein großer Erfolg für die Personalvertretung der Medizinischen Universität und auch für die Ärztekammer, die sich intensiv für eine derartige Lösung eingesetzt hat!“

Diese Entlastung ist jedenfalls dringend nötig, denn die wöchentliche Stundenanzahl der Universitätsärzte beträgt 60,74 Stunden und ist damit leicht höher als die durchschnittlichen 55,80 Wochenstunden der Wiener Spitalsärzte. Dazu ist der Anstieg an Patientenzahlen an der Universitätsklinik der AKH im Verhältnis höher als in Gemeindespitälern. Für den Andrang, der die Belastung der Ärzteschaft erhöht, gibt es eine natürliche Erklärung: Systembedingt werden überdurchschnittlich viele, besonders schwierige und auch akute Fälle im AKH behandelt; auch der Zufluss der Patienten aus den Bundesländern ist besonders hoch. So werden zum Beispiel der Großteil aller Organtransplantationen in Österreich im AKH ausgeführt, die Onkologie zählt neben anderen Fachbereichen zu den am stärksten frequentierten Kliniken Europas. Diese Faktoren machen die Arbeit an den Uni-Kliniken zu einer anspruchsvollen Herausforderung, die von den Ärzten im AKH angenommen und bewältigt wird: Zwar empfinden sie die administrativen Belastungen und die Diensteinteilung sowie den Stress durch Nachtdienste als ähnlich belastend wie ihre Kollegen in den anderen Spitälern, die Zufriedenheit mit dem Beruf ist bei den Uni-Ärzten allerdings höher.

Sofortige Entlastung notwendig

Damit es so bleibt und die Arbeitszufriedenheit nach Möglichkeit gesteigert wird, sind einige Maßnahmen nötig, die nicht auf die unendlich lange Bank geschoben werden dürfen. Die erste ist die Entlastung von administrativen Aufgaben. Szekeres: „Wir brauchen auch an den Universitätskliniken qualifizierte Mitarbeiter, die den Ärztinnen und Ärzten Dokumentations-, Administrations- und Organisationsarbeiten abnehmen, die mit medizinischen Tätigkeiten nur wenig oder gar nichts zu tun haben, wie zum Beispiel Briefe schreiben. Das kann jede Sekretärin besser und schneller! Außerdem könnten Tätigkeiten wie Blutabnahmen oder subkutane Injektionen vom Pflegepersonal vorgenommen werden.“ Damit bliebe den Ärzten mehr Zeit für die Behandlung und vor allem für den persönlichen Kontakt zum Patienten. Außerdem – betont der Wiener Kurienobmann – wird die Medizinische Universität Wien mehr Ärzte ausbilden müssen: „Wir brauchen in Zukunft sicher mehr Ärztinnen und Ärzte und weniger lange Arbeitszeiten, um die Qualität der Gesundheitsversorgung zu bewahren. Es gibt Ärztebedarfs-Studien, die schon jetzt vor einem drohenden Ärztemangel warnen.“

Keine Bewerber für offene Stellen

Die Warnung ist mit Sicherheit berechtigt, denn aktuell gibt es einige Fächer, in denen Arztstellen ausgeschrieben werden, für die sich keine oder nur wenige Bewerber finden. Szekeres: „Das hat es früher nicht gegeben und es ist ein alarmierendes Indiz dafür, dass der Beruf des Spitalsarztes längst nicht mehr sonderlich attraktiv ist.“ Das warnende Beispiel für die bevorstehende Entwicklung ist Deutschland, wo immer mehr ausgebildete und sehr gut qualifizierte Mediziner nicht mehr eine Karriere im Spital anstreben oder als niedergelassene Ärzte tätig werden, sondern in die Pharmaindustrie und ähnliche Wirtschaftszweige abwandern, wo sie mehr verdienen können und durch angemessene Arbeitszeiten auch mehr Lebensqualität haben. Szekeres: „Die Spitäler und insbesondere die Universitätskliniken müssen sich dieser Konkurrenzsituation stellen und im Interesse des ganzen Systems einer drohenden Verknappung beim ärztlichen Personal entgegenwirken.“ Was zu tun ist, fasst der Wiener Kurienobmann in drei Punkten zusammen:

  • Die Arbeitszeiten für Spitalsärzte generell und speziell an den Universitätskliniken müssen auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden, das auch Platz für das Familienleben lässt – allerdings ohne finanzielle Einbußen für die Betroffenen. Derzeit haben die Ärzte in den Wiener Spitälern eine durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche von 55,8 Stunden. Im AKH sind es nahezu fünf Stunden mehr, weil für Forschung und Lehre im Schnitt mehr Überstunden geleistet werden.
  • Die Bezahlung muss der Leistung und der Qualifikation entsprechen. Die Basiseinkommen in den Spitälern erfüllen diesen Anspruch nicht. Laut Kollektivvertragsschema liegt der Durchschnittsverdienst eines angestellten Arztes bei 21,40 Euro pro Stunde, der Erstverdienst eines angestellten Arztes (inklusive Zulagen) beträgt etwa 2500 Euro brutto pro Monat. Das Gehaltsschema bei den Uni-Ärzten ist etwas günstiger, dennoch verdienen Wirtschaftsmanager, Geschäftsführer oder leitende Beamte im öffentlichen Dienst wesentlich mehr als die hoch qualifizierten Mediziner.
  • Die Karrierechancen und die Möglichkeiten zur Mitsprache sind verbesserungswürdig. Derzeit beklagen sich 20 Prozent der Spitalsärzte in Österreich über fehlende Autonomie, die Situation an den Universitätskliniken weist hier keine markanten Unterschiede auf. Wegen der engen Verbindung von geleisteter Forschungsarbeit und beruflichem Aufstieg müssen für Ärztinnen und Ärzte genügend Zeiträume geschaffen werden, damit sie die Voraussetzungen für Karrierechancen schaffen und nützen können.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2010