Telemedizin: Kein Fall für den Notarzt

10.09.2010 | Politik

In Oberösterreich wurde ein Modell angedacht, im Rahmen dessen der Notarzt das EKG an Spezialisten in Krankenanstalten übermittelt – und erst nach deren Auswertung entsprechende Maßnahmen ergreifen soll. Verzögerungen bei der Erstversorgung der Patienten wären die Folge; noch dazu sind zahlreiche rechtliche Fragen ungeklärt.
Von Kurt Markaritzer

Im Zuge des bevorstehenden Generationenwechsels der Monitoring-Systeme im Notarztdienst des Roten Kreuzes Oberösterreich wurde die Einführung eines telemetrischen Systems zur Übermittlung eines abgeleiteten EKGs an Spezialisten in Krankenanstalten angedacht. Das Notfallreferat der ÖÄK weist auf die damit verbundenen Probleme und Gefahren hin. Michael Lang, Präsident der Ärztekammer Burgenland und Leiter des Referats für Notfall- und Rettungsdienste sowie Katastrophenmedizin in der Österreichischen Ärztekammer, warnt jedenfalls vor zu hohen Erwartungen: „Die erwähnten Projekte wurden von einer Expertengruppe aus erfahrenen, stützpunktleitenden Notärzten verschiedener Fachgruppen diskutiert und negativ beurteilt. Bei allem Respekt vor der modernen Technik: Hier rate ich daher zu großer Zurückhaltung.“ Für Lang stehen die Potenziale der Telemedizin grundsätzlich außer Zweifel: „In der Radiologie bewährt sie sich zum Beispiel jeden Tag. Da werden Röntgenaufnahmen aus dem einen Spital elektronisch zu einem Radiologen in einem anderen Spital übermittelt, der sie dann begutachtet und das Ergebnis dem behandelnden Spitalsarzt mitteilt und mit ihm telefonisch diskutiert. Das geschieht – für bereits stationäre Patienten – ausreichend schnell, erbringt zuverlässige Resultate und ist eindeutig ein qualitativer Fortschritt.“

Wesentlich kritischer sieht er Projekte, wie sie zuletzt in Oberösterreich intensiv diskutiert wurden, wonach der Notarzt bei einem Einsatz an Ort und Stelle ein EKG macht und dieses dann per Telemetrie an den Spezialisten weiterleitet, der dann eine gründliche Auswertung vornimmt und sie an den Ort des Geschehens sendet. Michael Lang: „Ich warne angesichts solcher Projekte davor, sich von der modernen Technik und ihren vermeintlichen oder wirklichen Möglichkeiten blenden zu lassen. Ein derartiges Verfahren wirft aus meiner Sicht etliche Fragen auf, die vor einem ständigen Einsatz in der Praxis geklärt werden müssen.“

Grundsätzlich, so betont der Referatsleiter, sind die Notärzte in Österreich dafür ausgebildet, dass sie an Ort und Stelle die akute Situation erkennen und optimal einschätzen können: „Das Niveau ihrer Ausbildung ist anerkannt hoch und wir bemühen uns ständig darum, es nach Möglichkeit noch weiter zu verbessern. Darüber hinaus stellen EKG-Aufzeichnungen nur einen Teil der relevanten Information bei einem kardiologischen Notfall dar. Vielmehr entscheiden das klinische Gesamtbild des Patienten, die jeweilige exakte Anamnese, die geographische Lage des Notfall-Ortes und logistische und rettungstechnische Faktoren über die optimale primäre Therapie und schlussendlich die Wahl des Zielkrankenhauses. Der telefonische Kontakt, um dies alles zu übermitteln, führt unweigerlich zu einem deutlichen Zeitverlust.“ Der hoch qualifizierte Notarzt müsste bei dem Telemedizin-Einsatz ja erst einmal das Ergebnis der Untersuchung durch den Spezialisten abwarten, ehe er notwendige Maßnahmen setzen kann. Lang: „So etwas macht vielleicht in den USA Sinn, wo nur Paramedics vor Ort sind, die unter Umständen auf Fernbetreuung angewiesen sind und davon profitieren. Bei uns sind aber mit den Notärzten hochkompetente Spezialisten an Ort und Stelle, die in kürzest möglicher Zeit unter Einbeziehung aller relevanter Informationen die richtige Entscheidung treffen müssen und die das auch können.“

Verzögerung im Notfall

Die Übermittlung der EKG-Daten zur Auswertung wird unweigerlich in einer derartigen Notsituation eine Verzögerung bringen, die dem Patienten schadet und verhindert, dass das vorrangige Ziel der notärztlichen Versorgung optimal erreicht werden kann: die bestmögliche und raschest mögliche Erstversorgung des Patienten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, damit er transportfähig ist und so schnell wie möglich zur endgültigen Behandlung in das Spital gebracht werden kann. Lang: „Da geht es oft um Minuten. Es ist zum Beispiel oft notwendig, den Patienten noch im Notarztwagen zu lysieren. Mit solchen Maßnahmen müsste man aber unter Umständen warten, bis die Auswertung durch den Spezialisten vorliegt. Natürlich ist es prinzipiell gut, über eine zweite Meinung zu verfügen, in dem konkreten Fall scheint mir das Einholen dieser zweiten Meinung aber kontraproduktiv.“

Zahlreiche Bedenken

Der Zeitfaktor ist nur ein Umstand, der den Referatsleiter skeptisch stimmt; es gibt auch noch andere Bedenken. Die rechtliche Situation ist aus berufsrechtlicher, datenschutzrechtlicher, haftungsrechtlicher und versicherungsrechtlicher Sicht teilweise unklar bis vollkommen ungelöst.

  • Der Notarzt ist für seine Handlungen verantwortlich. Wer haftet, wenn er die telemetrisch erfolgenden Anweisungen beachtet und sie sich später als falsch erweisen?
  • Das Gleiche gilt für den gegenteiligen Fall: Der Notarzt ignoriert die telemedizinisch erfolgte Auswertung, weil er aus der persönlichen Sicht des Patienten zu einer anderen Entscheidung kommt. Auch da wäre die Haftungsfrage ungeklärt.
  • Fraglich ist auch, wie sichergestellt werden soll, dass ein Spezialist rund um die Uhr sofort zur Verfügung steht, um das EKG auszuwerten. Bei einem Noteinsatz bliebe keine Zeit, ihn erst langwierig in einem Spital oder Labor zu suchen.
  • Schließlich stellt sich bei dem heiklen Thema die Frage des Datenschutzes, der unter den Bedingungen einer Notfallsituation naturgemäß nur schwer sichergestellt werden kann sowie der gesicherten Datenqualität und Datensicherheit.
  • In diesem Zusammenhang ist auch der Kostenfaktor zu berücksichtigen: nicht nur in Bezug auf das technische Equipment, sondern auch in Bezug auf die Personalkosten, die auf die Träger zukämen, welche 24 Stunden, sieben Tage die Woche rund um die Uhr höchstqualifizierte Ärzte vorhalten müssten, die ohne Verzögerung sofort erreichbar sein müssten. Dazu kommt, dass die große Anzahl von höchst kompetenten Spezialisten wohl kaum zur Verfügung steht, um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten.


Lang: „Wir sind, wie gesagt, keineswegs prinzipiell gegen telemetrische Konzepte. Im Zusammenhang mit dem Einsatz bei Notärzten sehen wir aber noch viele Risiken und die Gefahr, dass unnötige Kosten entstehen, aber keine Verbesserung in der Patientenversorgung erreicht wird. Daher lehnen wir die angesprochenen Überlegungen im Interesse einer optimalen Patientenversorgung ab.“ Derzeit wird im Referat für Notfallmedizin der ÖÄK darüber diskutiert; das entsprechende Schreiben an alle betroffenen Gremien erfolgt im November.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2010