Schulärztliche Fortbildung: Jugendlicher Alkoholkonsum: bagatellisiert

25.10.2010 | Politik

Rund 90 Prozent der unter 16-Jährigen haben – trotz strenger Regelung im Jugendschutzgesetz – schon mehrfach Alkohol konsumiert. Dem Thema Alkohol war ein umfassender Beitrag bei einer Fortbildungsveranstaltung für Schulärzte Anfang Oktober in Wien gewidmet.
Von Birgit Oswald

Im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung „Schulärztliche Hilfestellung für gefährdete Jugendliche“ klärten Experten aus den Gebieten Sucht, Integration, Medien und Ernährung darüber auf, welche Gefahren es im Leben von Jugendlichen gibt. „Wir versuchen, jedes Jahr aktuelle Themen zu finden, die für Jugendliche relevant sind und mit denen sich deshalb auch Schulärzte auseinandersetzen sollten,“ erklärte Gudrun Weber, Schulärztereferentin der Österreichischen Ärztekammer.

Barbara Buchegger, von der Initiative Saferinternet.at, befasste sich in ihrem Statement mit der Nutzung des Internets und des Handys durch Schüler. Demnach sind etwa Portale, die sich mit selbstzerstörerischem Verhalten wie Ritzen, Selbstmord und auch anorektischen Erkrankungen beschäftigen, für Schulärzte relevant. Auf bestimmten Homepages etwa werden Essstörungen mit Kurznamen versehen und so personifiziert als Schönheitsideal und Freundinnen der Betroffenen dargestellt. Solche Portale hätten sektenhaftes Potential, das für betroffene Jugendliche gefährlich werden könne, wie Buchegger erläuterte: „Wenn Jugendliche in so ein Verhalten hineinkommen, können Schulärzte eine sehr relevante Rolle spielen. Sie können als Schnittstellen zwischen Eltern und Schülern fungieren und erste Anlaufstelle für Jugendliche sein“. Deshalb sei es besonders wichtig, dass Schulärzte um die Existenz und Bedeutung solcher Internetseiten wissen.

Grundsätzlich nutzen Jugendliche das Internet aber, um in ihrer Freizeit miteinander zu kommunizieren, zu spielen und sich zu unterhalten. Daraus ergeben sich sowohl positive als auch negative Aspekte. „Es ist gut, dass Schüler durch das Internet mehr Kontakt in der schulfreien Zeit mit Freunden haben. Allerdings gibt es dadurch keinen zeitlichen oder räumlichen Schutz mehr. In Fällen von Cyber-Mobbing können sich betroffene Schüler kaum abgrenzen, es kann viel leichter und tiefer in ihr Privatleben eingegriffen werden“, sagte Buchegger und ging dabei besonders auf die Anzeichen des Cyber-Mobbings und dessen komplexe Struktur ein. Oft sind Opfer und Täter nicht klar voneinander zu trennen. Die typischen Symptome bei einem Jugendlichen, der von Cyber-Mobbing betroffen ist, unterscheiden sich kaum von jenen, die aus dem klassischen Mobbing bekannt sind. „Betroffene ziehen sich in sich zurück, meiden Kontakt mit anderen, wollen oft nicht mehr in die Schule gehen, bleiben dem Unterricht fern und sind häufig krank. Auch Gegenstände können plötzlich fehlen, Bücher werden vergessen, Handys wechseln ohne Anlass den Besitzer,“ erklärte die Expertin. Speziell die körperlichen Symptome könnten von Schulärzten wahrgenommen und als eventuelle Anzeichen für Mobbing in Erwägung gezogen werden, so die Expertin.

Um derartige Vorfälle zu vermeiden, sei eine stärkere Integration von Medienkompetenz in den Unterricht notwendig. Digitale Geräte wie Handys würden bisher kaum als Lernbegleiter genutzt werden, obwohl fast jeder Schüler ein mobiles Telefon besitzt. Dabei würde sich ein kompetenter Umgang mit einer solchen medialen Infrastruktur zu Gunsten der Schüler auswirken. „Ein derart verantwortungsvoller Umgang mit Medien strahlt auch auf andere Bereiche ab. Schüler sind dann etwa auch im Facebook vorsichtiger und geben ihr Passwort nicht leichfertig weiter.“ Verbote solcher Lernbegleiter sieht die Expertin deshalb nicht als effizient an. Maßnahmen, die auf das ganze System wirken, wie etwa Konfliktlösungsstrategien oder die Stärkung des Klassenklimas, seien weithaus zielführender.

Gefahrenpunkt Alkohol

„Viele wissen nicht, dass rund 90 Prozent der unter 16-Jährigen trotz Jugendschutzgesetz schon mehrfache Alkoholerfahrung haben“, betonte Univ. Prof. Michael Musalek, Leiter des Anton Proksch Instituts in Wien. Der Suchtexperte ging vor allem auf das Ausmaß des Alkoholkonsums und die Bagatellisierung ein. Dabei sind genau Unterschiede zwischen einem normalen, einem erhöhten, einem problematischen Alkoholkonsum und einer Sucht zu beachten. „Es gibt eine Gruppe von Jugendlichen, die zu Depressionen sowie zu Angst- und Schlafstörungen neigt. Viele bemerken dann, dass ihnen der Alkohol hilft, besser zu schlafen und weniger Angst zu haben. Das sind die massiv Gefährdeten, die ihren Konsum schließlich nicht mehr steuern können“, so Musalek.

Über die euphorisierende und enthemmende Wirkung von Alkohol wüssten zwar viele Jugendliche Bescheid; jedoch herrsche Unwissenheit über die depressiogene Wirkung von Alkohol und darüber, dass die Risikofreudigkeit zunehme. Vor allem die Folgen seien laut Musalek zu beachten: „Die Depressivität und die Enthemmung sind die ideale Vorraussetzung für einen Suizidversuch. Schulärzte haben die Sonderstellung, frühzeitig zu erkennen, ob und wo ein Schüler ein Ernst zu nehmendes Problem hat“. Schon bei den Erwachsenen werde ein mögliches Alkoholproblem viel zu selten angesprochen; deshalb sei es speziell bei Jugendlichen wichtig, auf einen eventuell problematischen Konsum aufmerksam zu machen. Dabei sollten Schulärzte eine Reihe von Symptomen beachten: „Ein Alkoholproblem kommt nie alleine, das ist immer eingebunden in psychiatrische Auffälligkeiten wie Depressionen, Schlafstörungen, Lernschwierigkeiten, Angststörungen, massive psychosoziale Probleme. Dann sollte der Schularzt daran denken, dass auch Alkohol eine Rolle spielen könnte, da es das am häufigsten eingenommene Selbstmedikationsmittel ist“. Und auch der umgekehrte Schluss sei zulässig: Wenn ein Schüler alkoholauffällig wird, müsse dringend auf weitere psychiatrische Auffälligkeiten geachtet werden.

Im Vorfeld sei es wichtig, ein Problembewusstsein in Schulen zu schaffen, das sowohl für Lehrer als auch Schüler spürbar ist. Musalek riet diesbezüglich sowohl von Bagatellisierung als auch von Gleichgültigkeit ab. Eine verständnisvolle Atmosphäre, die von schulärztlicher Seite durch präventive Maßnahmen gestärkt werden könne, sei anzustreben. „Jugendliche sind noch in der Formungsphase, die genützt werden sollte. Es geht darum, ein kritisches Bewusstsein fernab von Anklage oder Bestrafung zu schaffen. Ein dogmatisches Vorgehen wird von Jugendlichen in der Regel nicht angenommen. Wenn Jugendliche erfahren, wo Vorteile, Nachteile und Gefahrenmomente liegen, dann hat das immer Wirkung“, so der Experte. Dabei sei das Vorleben einer vernünftigen Haltung entscheidend.

Diabeteszahl steigt

Weil die Zahl der Diabetiker im Kindes- und Jugendalter laufend ansteigt, sollen Schulärzte auch in punkto Stoffwechselerkrankungen künftig besonders wachsam sein. „In den letzten zehn Jahren ist die Häufigkeit des Typ 1-Diabetes im Kindesalter fast doppelt so hoch geworden. Es muss somit mit häufigeren Diagnosen gerechnet werden,“ betonte Univ. Prof. Edith Schober, Oberärztin an der Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde am Wiener AKH und riet, auf Symptome wie Gewichtsabnahme, Polyurie und Polydipsie vermehrt zu achten. Vor allem eine frühe Diagnose, die nicht erst in der Ketoazidose gestellt werden sollte, ist der Spezialistin ein großes Anliegen. Moderne Therapien seien zwar immer sicherer und leichter anzuwenden, dennoch sollten betroffene Kinder Unterstützung von allen Seiten erhalten. „Ärzte sollen dahinter stehen, dass Eltern gemeinsam mit ihrem Kind Therapieziele wie den HB1c-Wert unter 7,5 zu halten, erreichen und dass das Kind die Insulintherapie sowie die Blutzuckerkontrollen ohne Stress auch in der Schule durchführen kann,“ plädierte die Expertin.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2010