Pati­en­ten­ver­fü­gung: Der letzte Wille

25.09.2010 | Politik

Vor der Errich­tung einer ver­bind­li­chen Pati­en­ten­ver­fü­gung muss ein aus­führ­li­ches Auf­klä­rungs­ge­spräch mit einem Arzt statt­fin­den. Mit der Pati­en­ten­ver­fü­gung kann ein Pati­ent selbst­be­stimmt recht­lich bin­dende Ent­schei­dun­gen in Bezug auf bestimmte Behand­lun­gen tref­fen.
Von Irene Mlekusch

Eine Pati­en­ten­ver­fü­gung im Sinne des Bun­des­ge­set­zes (BGBl. I 55/​2006) ist eine Wil­lens­er­klä­rung, mit der ein Pati­ent eine medi­zi­ni­sche Behand­lung ablehnt und die dann wirk­sam wer­den soll, wenn er zum Zeit­punkt der Behand­lung nicht einsichts‑, urteils- oder äuße­rungs­fä­hig ist. Eine der­ar­tige Ver­fas­sung einer Ver­fü­gung in Bezug auf die medi­zi­ni­sche Behand­lung kann ver­bind­lich oder beacht­lich sein.

„Die Pati­en­ten­ver­fü­gung gibt den Pati­en­ten die recht­li­che Mög­lich­keit, selbst­be­stimmt recht­lich bin­dende Ent­schei­dun­gen über ihre Gesund­heit durch die Ableh­nung bestimm­ter medi­zi­ni­scher Behand­lun­gen in einer mög­li­cher­weise in der Zukunft ein­tre­ten­den Situa­tion zu tref­fen. Für die Aus­übung ihres Selbst­be­stim­mungs­rechts im Rah­men die­ser ver­bind­li­chen Wil­lens­an­ord­nung ist es Vor­aus­set­zung, dass sie ihre Ent­schei­dung auf­grund ver­ständ­li­cher und umfas­sen­der ärzt­li­cher Auf­klä­rung tref­fen. Wie bei jedem Auf­klä­rungs­ge­spräch ist der Inhalt der Auf­klä­rung, ein­schließ­lich der Alter­na­ti­ven der zu unter­las­sen­den Behand­lung, Risi­ken, mög­li­cher­weise sich abzeich­nende medi­zi­ni­sche Ent­wick­lun­gen zu doku­men­tie­ren. Nur auf­grund die­ser recht­lich erfor­der­li­chen Auf­klä­rung bringt die Pati­en­ten­ver­fü­gung Pati­en­ten­si­cher­heit und auch Rechts­si­cher­heit für den Arzt und die Gesund­heits­ein­rich­tung, gegen­über denen die Pati­en­ten­ver­fü­gung dann tat­säch­lich zur Anwen­dung kommt“, erklärt Rita Maria Offen­ber­ger, Juris­tin in der Öster­rei­chi­schen Ärztekammer.

Die Errich­tung einer Pati­en­ten­ver­fü­gung ist ein höchst­per­sön­li­ches Recht, kein Stell­ver­tre­ter, Sach­wal­ter oder Ange­hö­ri­ger kann eine sol­che Ent­schei­dung für jemand ande­ren über­neh­men. Jeg­li­cher Miss­brauch einer Pati­en­ten­ver­fü­gung ist straf­bar. Ins­ge­samt haben in Öster­reich der­zeit wahr­schein­lich weni­ger als fünf Pro­zent der Bevöl­ke­rung ver­bind­li­che Pati­en­ten­ver­fü­gun­gen; genaue Zah­len gibt es aller­dings nicht. Eine ver­bind­li­che Pati­en­ten­ver­fü­gung kann ent­we­der im Pati­en­ten­ver­fü­gungs­re­gis­ter der Anwalts­kam­mer oder im Regis­ter der Nota­ri­ats­kam­mer regis­triert werden.

Umfeld infor­mie­ren

„Jeder medi­zi­ni­sche Not­fall stellt eine inten­sive Krise ohne Vor­warn­zeit dar“, erklärt Ste­fan Din­ges, Theo­loge und exter­ner Mit­ar­bei­ter des Insti­tuts für Ethik und Recht in der Medi­zin an der Uni­ver­si­tät Wien. Din­ges wei­ter: „Jeder Medi­zi­ner ist dabei ver­pflich­tet, eine inten­siv­me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung ein­zu­lei­ten, wenn diese zur Erhal­tung des Lebens not­wen­dig ist.“ Die Pati­en­ten­ver­fü­gung kommt in sol­chen Fäl­len meist zu spät auf den Tisch. Jeder Pati­ent muss sich selbst um seine Vor­sorge küm­mern und sein Umfeld über das Vor­han­den­sein einer Pati­en­ten­ver­fü­gung in Kennt­nis set­zen. In dem Moment, in dem eine ent­spre­chende Pati­en­ten­ver­fü­gung auf­taucht, sind lebens­ret­tende Maß­nah­men zu unter­las­sen, sofern dies der Wille des Betrof­fe­nen ist. Eine ver­bind­li­che Pati­en­ten­ver­fü­gung und das Wis­sen der Ange­hö­ri­gen darum, kann in schwie­ri­gen Situa­tio­nen das Han­deln für die Ärzte erleich­tern. „Inten­siv­me­di­zi­ner gehen oft davon aus, dass jeder Mensch über­le­ben will. Denn auch wenn sich Men­schen wäh­rend ihres Lebens ändern, so bleibt ihre Ein­stel­lung zum Leben an sich eher kon­stant“, schil­dert Dinges.

Auch Michael Stolz, Arzt für All­ge­mein­me­di­zin in Raben­stein an der Piel­ach, hat bei sei­nen Pati­en­ten die Erfah­rung gemacht, dass sie eine sehr genaue Vor­stel­lung davon haben, was Leben für sie bedeu­tet und wie sie sich ein „wür­de­vol­les Ster­ben“ vor­stel­len. „Die Pati­en­ten kom­men mit dem Wunsch, eine ver­bind­li­che Pati­en­ten­ver­fü­gung abzu­schlie­ßen, auf den Arzt ihres Ver­trau­ens zu, weil sie in ihrem per­sön­li­chen Umfeld einen schwe­ren Schick­sals­schlag mit anse­hen muss­ten und selbst ein men­schen­wür­di­ge­res Ende neh­men wol­len“, schil­dert Stolz. Dabei genügt es nicht, Punkt für Punkt der Pati­en­ten­ver­fü­gung mit den Pati­en­ten durch­zu­neh­men. Es muss grund­le­gend geklärt wer­den, was für die­sen Men­schen im Spe­zi­el­len Leben über­haupt bedeu­tet. Der Pati­ent muss auf­ge­klärt und seine Wün­sche und Fra­gen in Bezug auf medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung der­art ver­ständ­li­che erklärt wer­den, dass dem Pati­en­ten, der eine Ver­fü­gung abschlie­ßen will, auch klar ist, wel­che Fol­gen seine Ver­fü­gung auf sein wei­te­res Leben bezie­hungs­weise Ster­ben hat. Din­ges sieht in der Bera­tung den wich­tigs­ten Aspekt der Pati­en­ten­ver­fü­gung; denn die Pati­en­ten­ver­fü­gung kann unent­deckt blei­ben, wenn der Pati­ent seine Ent­schei­dung vor sei­nem Haus­arzt und sei­nen Ange­hö­ri­gen geheim hält.

Die Pati­en­ten­ver­fü­gung dient dem Arzt und dem Pati­en­ten dazu, struk­tu­riert ins Gespräch zu kom­men, denn das Reden selbst ist das eigent­lich Wich­tige daran. „Nimm das Papier und rede dar­über“, emp­fiehlt Din­ges jedem Arzt. Die Pati­en­ten­ver­fü­gung ist die Doku­men­ta­tion eines Ent­schei­dungs­pro­zes­ses, bei dem der Arzt mit bes­tem Wis­sen und Gewis­sen bera­tend zur Seite gestan­den hat. Din­ges fügt hinzu: „All­ge­mein­me­di­zi­ner soll­ten vor allem bei schwer­wie­gen­den Erkran­kun­gen auf die Mög­lich­keit der Pati­en­ten­ver­fü­gung auf­merk­sam machen. Im Falle einer Bera­tungs- und Behand­lungs­kon­ti­nui­tät besteht ein gro­ßes Ver­trau­ens­ver­hält­nis zwi­schen Arzt und Pati­ent, sodass auch ein heik­les Thema wie die Pati­en­ten­ver­fü­gung ange­spro­chen wer­den kann. Lei­der sind immer noch pater­na­lis­ti­sche Behand­lungs­mus­ter vor­han­den, die das grund­sätz­li­che Ver­trauen zu den Ärz­ten stö­ren.“

Der Geset­zes­text ver­langt vom Arzt, den Pati­en­ten in einer für den medi­zi­ni­schen Laien ver­ständ­li­chen Art und Weise auf­zu­klä­ren. Die Auf­gabe des Arz­tes ist es somit, ent­spre­chend sei­ner fach­li­chen Kom­pe­tenz und Erfah­rung über die Vor- und Nach­teile einer Behand­lung zu infor­mie­ren und auch auf mög­li­che Alter­na­ti­ven hin­zu­wei­sen. Die Ent­schei­dung, ob ein Pati­ent eine Behand­lung an sich vor­neh­men las­sen möchte oder nicht bezie­hungs­weise wel­che medi­zi­ni­schen Maß­nah­men er ablehnt, liegt ganz allein bei ihm. Die medi­zi­ni­schen Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen des bera­ten­den Arz­tes dür­fen den Pati­en­ten in sei­ner freien Ent­schei­dung aller­dings nicht wil­lent­lich beein­flus­sen. Stolz merkt an, dass es not­wen­dig ist, jeden Men­schen in sei­nem zeit­li­chen und sozio­kul­tu­rel­len Umfeld zu sehen, zu respek­tie­ren und auf die­ser Basis fach­lich kom­pe­tente Infor­ma­tion zu ver­mit­teln.

„Die Pati­en­ten­ver­fü­gung dient aus­schließ­lich dazu, bestimmte medi­zi­ni­sche Behand­lun­gen abzu­leh­nen. All­ge­meine For­mu­lie­run­gen kön­nen even­tu­ell als Ori­en­tie­rung zur Ermitt­lung des Pati­en­ten­wil­lens her­an­ge­zo­gen wer­den“, erklärt Offen­ber­ger. Stolz wie­derum macht seine Pati­en­ten dar­auf auf­merk­sam, dass die Grund­ver­sor­gung mit Nah­rung und Flüs­sig­keit als Bestand­teil der Pflege in der Pati­en­ten­ver­fü­gung nicht abge­lehnt wer­den darf. „Das Set­zen einer PEG-Sonde ist dage­gen ein medi­zi­ni­scher Ein­griff und kann somit vom Pati­en­ten abge­lehnt wer­den“, ergänzt er. Maß­nah­men, die als aktive, direkte Ster­be­hilfe zu wer­ten sind, sind recht­lich in Öster­reich ver­bo­ten und daher als Inhalt einer Pati­en­ten­ver­fü­gung rechts­un­wirk­sam.

Eine Unter­su­chung in Deutsch­land hat erge­ben, dass die Erwar­tun­gen von Arzt und Pati­en­ten beim Thema Pati­en­ten­ver­fü­gung enorm diver­gie­ren. Spricht der Arzt das Thema zuerst an, so hat der Pati­ent durch­wegs das Gefühl, dass der Arzt sich Zeit neh­men und aus­führ­lich reden will. Bringt aller­dings der Pati­ent den Wunsch nach einer Pati­en­ten­ver­fü­gung an den Arzt sei­nes Ver­trau­ens heran, so haben viele Ärzte das Gefühl, vom Pati­en­ten über­stimmt zu wer­den. „Die Pati­en­ten wol­len ihren Ärz­ten hin­ein­re­den“, so Din­ges.

Prak­ti­sche Umsetzung

Wie der Umgang mit der Pati­en­ten­ver­fü­gung in der Pra­xis gehand­habt wird, erläu­tert Din­ges, der im Wie­ner Hart­mann­spi­tal als Lei­ter des Teams für Kran­ken­haus­seel­sorge sowie für Ethik- und Pal­lia­tive care-Bera­tung zustän­dig ist: „Bei der Auf­nahme im Hart­mann­spi­tal wird man auf die Mög­lich­keit einer beacht­li­chen Pati­en­ten­ver­fü­gung auf­merk­sam gemacht. Das heißt, dass nach aus­führ­li­cher Auf­klä­rung und Fach­be­ra­tung zwi­schen dem Pati­en­ten und sei­nen medi­zi­ni­schen Betreu­ern Ver­ein­ba­run­gen betref­fend die wei­tere Behand­lung getrof­fen wer­den.“ Eine beacht­li­che Pati­en­ten­ver­fü­gung kann form­los und daher auch münd­lich errich­tet wer­den. Eine sol­che münd­li­che Pati­en­ten­ver­fü­gung muss vom Gesund­heits­per­so­nal in der Kran­ken­ge­schichte doku­men­tiert werden.

Din­ges weist auf die Vor­sor­ge­voll­macht hin. Dabei kann ein Pati­ent, solange er ein­sichts- und urteils­fä­hig ist, eine andere Per­son (Ange­hö­ri­gen, bes­ten Freund etc.) bit­ten, sein Vor­sorge-Bevoll­mäch­tig­ter zu wer­den. Die­ser kann dann, wenn der Pati­ent nicht mehr sel­ber ent­schei­den kann, eine Ent­schei­dung für den Erkrank­ten tref­fen. Auf­grund der beson­de­ren Ver­ant­wor­tung bedarf es für die Errich­tung einer Vor­sor­ge­voll­macht in medi­zi­ni­schen Ange­le­gen­hei­ten eines Nota­ri­ats­ak­tes. Gibt es einen Vor­sorge-Bevoll­mäch­tig­ten, ist die Situa­tion für das behan­delnde Team ein­fa­cher; dafür kom­men auf den Ange­hö­ri­gen, wenn er der Vor­sor­ge­be­voll­mäch­tigte ist, mit­un­ter schwie­rige Situa­tio­nen zu. Hier ist es nötig, sich ange­bracht empa­thisch zu ver­hal­ten und die Fra­gen an die Ange­hö­ri­gen rich­tig zu stel­len, zum Bei­spiel: „Was hätte ihr Vater in die­ser Situa­tion gewollt?“ Aller­dings kann auch im Rah­men einer ver­bind­li­chen Pati­en­ten­ver­fü­gung eine Ver­trau­ens­per­son bestimmt werden.

Nach der ärzt­li­chen Auf­klä­rung und dem schrift­li­chen Ver­fas­sen der Pati­en­ten­ver­fü­gung muss diese von der Pati­en­ten­an­walt­schaft, einem Notar oder Rechts­an­walt abschlie­ßend auf ihre Voll­stän­dig­keit und Ver­ständ­lich­keit hin recht­lich über­prüft wer­den. Eine Pati­en­ten­ver­fü­gung wird in dem Moment wirk­sam, in dem der Pati­ent nicht mehr einsichts‑, urteils- oder äuße­rungs­fä­hig ist. Solange der Pati­ent aber zur Wil­lens­bil­dung fähig ist und Wil­lens­er­klä­run­gen abgibt, gel­ten diese aktu­el­len Äuße­run­gen. Auf diese Art und Weise kann auch der Wider­ruf der Pati­en­ten­ver­fü­gung voll­kom­men form­los erfol­gen. Eine Pati­en­ten­ver­fü­gung kann auch dann unwirk­sam wer­den, wenn der aktu­elle Stand der medi­zi­ni­schen Behand­lung sich im Hin­blick auf den Inhalt der Pati­en­ten­ver­fü­gung seit ihrer Errich­tung wesent­lich geän­dert hat.

Eine beacht­li­che Pati­en­ten­ver­fü­gung hat kein recht­li­ches „Ablauf­da­tum“, dafür kann der Pati­ent selbst einen Zeit­raum fest­le­gen, bis zu dem die Pati­en­ten­ver­fü­gung gel­ten soll. Sofern der Pati­ent nicht einen kür­ze­ren Zeit­raum bestimmt, ver­liert die Pati­en­ten­ver­fü­gung nach fünf Jah­ren ihre Gül­tig­keit. Ver­liert der Pati­ent aller­dings in die­ser Zeit die Einsichts‑, Urteils- oder Äuße­rungs­fä­hig­keit, so bleibt die ver­bind­li­che Pati­en­ten­ver­fü­gung wirk­sam. Wird die Ver­fü­gung trotz vor­lie­gen­der Ein­sichts- und Urteils­fä­hig­keit inner­halb der fünf Jahre nicht erneu­ert, so geht die ver­bind­li­che Pati­en­ten­ver­fü­gung in eine beacht­li­che über.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 18 /​25.09.2010