Patientenschiedsstellen: Einblicke aus Salzburg

10.06.2010 | Politik

In unserer Serie über die Patientenschiedsstellen in den Bundesländern und deren tägliche Arbeit bringen wir in dieser Ausgabe der ÖÄZ zwei Berichte aus der Interventionsstelle der Ärztekammer für Salzburg.


Fall 1

Eine Patientin wendet sich erstmalig an einen Salzburger Augenarzt. Sie sei am Vortag schwimmen gewesen und dabei habe sie ihre Kontaktlinsen und eine Schwimmbrille verwendet. Durch den Unterdruck, den die Schwimmbrille auf das Auge ausgeübt habe, habe sich die Kontaktlinse auf die Hornhaut „geklebt“ und diese offenbar verletzt. Der Arzt „schiebt“ die ihm bis dato unbekannte Patientin als Notfall ein und untersucht das Auge sorgfältig. Die Patientin erwähnt auch den Umstand, dass sie vorhabe, am nächsten Tag eine Geschäftsreise anzutreten und befragt den Arzt, ob dies trotzdem möglich sei, was bejaht wird. Es werden zwei Medikamente verschrieben: Vidisic Augengel und Betnesol-N Augen-, Ohren- und Nasentropfen. Die Patientin gibt im Beschwerdeschreiben an, die verschriebenen Medikamente vorschriftsmäßig eingenommen zu haben.

Am nächsten Tag begibt sich die Patientin auf die erwähnte Geschäftsreise nach Vorarlberg, wobei sich der Zustand des Auges jedoch von Stunde zu Stunde verschlechtert. Das Auge beginnt, stark zu tränen und zu schmerzen. Kurze Zeit später sind beide Augen massiv geschwollen, die Patientin kann nunmehr auch das linke Auge kaum mehr öffnen. Am nächsten Tag wird die Patientin ins Krankenhaus transferiert. Dort wird eine Hornhauterosion diagnostiziert und die verschriebenen Medikamente abgesetzt. Sie wurde stationär aufgenommen und vier Tage lang medikamentös behandelt. Die Patientin gibt in ihrer Beschwerde an, dass der behandelnde Arzt im Krankenhaus erwähnt habe, dass die verschriebenen Medikamente nicht auf eine offene Hornhaut gegeben werden sollten. Nach der Entlassung war die Patientin nicht fahrtüchtig und auf einen Chauffeur angewiesen, der sie zu ihren weiteren beruflichen Terminen bringt. Die Patientin sei mindestens zwei Monate beeinträchtigt gewesen. Heute ist sie wieder vollständig gesund, teilweise mache ihr aber noch starkes Sonnenlicht sowie längere Computerarbeit zu schaffen. Sie macht Hotelkosten, Fahrtkosten, Pflegegebühren und Selbstbehalte als Schadenersatz geltend und möchte eine Prüfung der Angelegenheit durch die Patientenvertretung und Interventionsstelle der Ärztekammer.

Die Interventionsstelle der Ärztekammer für Salzburg holte zu den Vorwürfen der Patientin eine schriftliche Stellungnahme des betroffenen Arztes ein. Dieser teilt in seiner Stellungnahme die Ansicht des Fachkollegen des Krankenhauses, dass Kortison bei offener Hornhaut nicht gegeben werden sollte. Bei der Untersuchung in seiner Ordination sei ein solcher Zustand der offenen Hornhaut jedoch nicht feststellbar gewesen. Diesbezüglich wird vom betroffenen Arzt bemängelt, dass die behandelnden Fachkollegen im Krankenhaus sich vor deren Aussage nicht mit ihm in Verbindung gesetzt hätten. Wie es zu einer Totalerosion der Hornhaut kommen konnte, sei ihm unerklärlich.

Aufgrund des Sachverhaltes und einer konkreten Schadenersatzforderung von Seiten der Patientin empfehlen wir die Einbeziehung der Haftpflichtversicherung des betroffenen Arztes. In der Folge wird ein medizinisches Gutachten erstellt. Das beauftragte Gutachten kann jedoch ein ärztliches Fehlverhalten nicht feststellen. Trotz ablehnendem Gutachten wird jedoch von Seiten der Haftpflichtversicherung ein Pauschalabfindungsbetrag von 500,– Euro ausbezahlt. Die Patientin ist wieder vollständig genesen und es ist auch nicht mit Folgeschäden beziehungsweise Folgeerkrankungen zu rechnen.

Fall 2

Der Patient wendet sich an den von der Beschwerde betroffenen Arzt mit dem Ersuchen, ein etwa haselnussgroßes Geschwür in der linken Wange zu entfernen. Nach eingehender Untersuchung stellt der Arzt fest, dass es sich dabei um ein Atherom handelt, also eine gutartige Zyste des Unterhautzellgewebes, die entfernt werden müsse. Der Patient wird vom niedergelassenen Arzt operiert. Vier bis fünf Stunden nach der Operation bildet sich erneut ein Knoten in ähnlicher Größe mit Austritt klarer Flüssigkeit und der Patient wendet sich an die dermatologische Ambulanz der Universitätsklinik. Dort wird der Verband geöffnet und der Patient an die Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten überwiesen.

An der HNO-Abteilung der Universitätsklinik wird eine so genannte postoperative Speichelfistel diagnostiziert und eine Minderbeweglichkeit des linken Mundastes festgestellt. Der Patient wird in weiterer Folge stationär aufgenommen und die Speichelfistel saniert. Nach Mitteilung der HNO-Abteilung der Universitätsklinik wurde bei der Atherom-Entfernung durch den niedergelassenen Arzt der Ausführungsgang der Speicheldrüse verletzt.

Die Interventionsstelle der Ärztekammer für Salzburg holt zum Vorwurf eines Behandlungsfehlers die schriftliche Stellungnahme des betroffenen Arztes ein. Der Arzt erklärt in seiner ausführlich begründeten Stellungnahme, dass sich während der Operation eine Vernarbung des umliegenden Gewebes zeigte, die auf ältere und häufige Entzündungen zurückzuführen sei. Dadurch könne der Verlauf des Ausführungsganges der Speicheldrüse von der Norm abgewichen haben und oberflächlicher verlaufen sein als dies normalerweise der Fall sei. Aus diesem Grunde sei es durchaus möglich, dass es beim Herauspräparieren des Atheroms zur Durchtrennung des Ausführungsganges gekommen sei. Eine Aufklärung des Patienten sei deshalb unterblieben, da nach Ansicht des Arztes eine derartige Komplikation auch für ihn nicht vorhersehbar gewesen sei.

In der Folge wurde auch die Haftpflichtversicherung des niedergelassenen Arztes mit einbezogen. Im anschließend beauftragten Gutachten wurde festgestellt, dass die Entfernung des Atheroms zwar de lege artis erfolgte, jedoch die eingetretene Komplikation als durchaus typisch betrachtet werden kann. Aufgrund der fehlenden Aufklärung wurde die Angelegenheit sodann mit der Auszahlung eines Pauschalabfindungsbetrages in Höhe von 10.000,– Euro außergerichtlich geschlichtet.

Diskussion:

Der vorliegende Fall zeigt das immer wiederkehrende Problem der mangelhaften Aufklärung beziehungsweise Aufklärungsdokumentation auf. Die Ärzte beklagen häufig, dass die von der Rechtsprechung geforderte Aufklärung und insbesondere deren Dokumentation in der Praxis nur sehr schwer oder nur mit unzumutbarem Verwaltungsaufwand erfolgen könne. Andererseits zeigt die Zahl der Beschwerden zu dieser Problematik jedoch, dass sich die Patienten oft nur ungenügend informiert fühlen. Auch entsteht oft der Eindruck auf Seiten der Patienten, es bestehe ein gewisser Zeitdruck und der Arzt nehme sich eben keine Zeit für ausführlichere Informationen. Die Ärztekammer für Salzburg hält immer wieder Seminare und Fortbildungen zum Thema „Ärztliche Aufklärung“. Gemessen an der Zahl der einlangenden Patientenbeschwerden, die sich auf die mangelhafte Aufklärung stützen, besteht hier jedoch offenbar ein erhöhter Bedarf der Sensibilisierung der Ärzteschaft für dieses Thema.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2010