Neuer Leitfaden: Gewalt gegen Frauen erkennen

10.05.2010 | Politik

Gewalt in der Familie – besonders Frauen sind davon betroffen – bleibt oft unerkannt. Ein kürzlich präsentierter Leitfaden des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend soll zur Sensibilisierung der Ärzte beitragen.

Österreichweit ist eine Vielzahl an Frauen täglich von häuslicher Gewalt betroffen und lebt oft mit den Tätern in einem Haushalt. Eine umfassende Broschüre zur medizinischen Versorgung von Betroffenen hat nun das Wirtschaftsministerium vorgestellt: „Gesundheitliche Versorgung gewaltbetroffener Frauen – Ein Leitfaden für Krankenhaus und medizinische Praxis“

Der 114 Seiten umfassende Leitfaden wurde allen niedergelassenen Allgemeinmedizinern und Gynäkologen übermittelt, sind diese doch oft die erste und einzige Anlaufstelle für von Gewalt betroffene Frauen. Die immer noch herrschende Tabuisierung des Themas Gewalt hindert viele daran, über ihre Gewalterlebnisse zu reden. Viele versuchen sogar, ihre Verletzungen mit Kleidung und Make up zu kaschieren. Ein sensibles Vorgehen des Arztes ist deshalb Ausschlag gebend für eine weitere Betreuung der Opfer. Oft bestehen die Täter darauf, die Opfer zu den Arztbesuchen zu begleiten, um den Frauen keinesfalls Gelegenheit zu geben, mit dem Arzt alleine zu sprechen. Die Partner zeigen sich oft aggressiv oder überfürsorglich und versuchen, den Frauen die Antworten vorwegzunehmen. Hat die begleitende Person selbst Verletzungen an Händen oder im Gesicht, ist vielmals von Gewalteinwirkungen gegen die Frau auszugehen.

Nicht nur im Hinblick auf medizinische Fragen sondern auch in sozialen oder familiären Problemsituationen können Ärzte die bedeutenden Weichen für eine gewaltfreie Zukunft stellen. Eine vertraute Atmosphäre zu schaffen und den richtigen Gesprächseinstieg zu finden, ist folglich ein sensibles Unterfangen. Deshalb soll der Leitfaden zur Unterstützung der Ärzte im Umgang mit Gewaltopfern dienen und die Aufmerksamkeit auf typische Symptome und Warnsignale lenken. Hellhörigkeit ist etwa dann geboten, wenn die Patientin eingeschüchtert und ängstlich wirkt, den Blickkontakt vermeidet und Verletzungen herunterspielt. Vielmals passen Art und Lage der Verletzungen nicht mit den Umständen oder Zeitpunkt der Entstehung überein. Das Verschleppen der Arzttermine oder das besonders häufige Erscheinen in der Ordination können ebenso auf Gewaltdelikte hindeuten. Neben derartigen Warnsignalen enthält der Leitfaden auch rechtliche Hinweise sowie Informationen über die richtige Dokumentation. Diese ist oft ein wichtiger Schritt, um die Gewalttaten zu beweisen und die betroffenen Frauen nachhaltig zu schützen. Darüber hinaus enthält die Broschüre auch nützliche Kontaktinformationen und Adressen.

Interview – Familienstaatssekretärin Christine Marek

Das „Unsägliche“ aussprechen

Gewalttaten müssen sensibel angesprochen werden. Wie der vorliegende Leitfaden Ärztinnen und Ärzte im Umgang mit Betroffenen unterstützen kann, erklärt Familienstaatssekretärin Christine Marek im Gespräch mit Birgit Oswald.

ÖÄZ: Wie kann man Frauen ermutigen, über Gewalterlebnisse zu sprechen?
Marek: Gewalt kann vor allem dann beendet werden, wenn sie nicht tabuisiert wird und betroffene Frauen darüber sprechen. Weil es keiner zusätzlichen Initiative der Betroffenen bedarf, ist es eine gute Möglichkeit, im Rahmen der ärztlichen Behandlung die Ursache der Verletzung zu benennen. Opfer von Gewalt benötigen meist jedoch viel Unterstützung, das „Unsägliche“ aussprechen zu können. Wenn der Arzt/die Ärztin in der Lage ist, in der Anamnese eine vermutete Gewaltursache in einer Form anzusprechen, die Frauen ermutigt, über die erfahrene Gewalt zu sprechen, dann kann er/sie viel zum Schutz von Opfern und zur Beendigung des Gewaltverhältnisses beitragen. Praxen und Krankenhäuser sind oft die erste und einzige Anlaufstelle, mit denen ein Gewaltopfer in Kontakt tritt. Aus Studien ist bekannt, dass sich die Opfer öffnen, wenn sie direkt nach ihren Gewalterfahrungen gefragt werden. Deshalb sollten Ärztinnen/Ärzte, Pflegepersonen, Hebammen und andere Gesundheitsberufe den ersten Schritt setzen und „häusliche Gewalt“ sensibel ansprechen.

Welche präventiven und therapeutischen Hilfsangebote gibt es konkret für Opfer?
Im Leitfaden sind die Adressen der Gewaltschutzeinrichtungen nach Bundesländern gegliedert aufgeführt. Dazu gehören Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser, die rund um die Uhr verfügbare Frauen-Helpline und die Notrufe zu sexualisierter Gewalt. Selbstverständlich sind auch die Polizeidienststellen und Gewaltambulanzen wichtige Ansprechstellen, an die Opfer von Gewalt verwiesen werden können. In diesen Einrichtungen erfahren Frauen auch, wo sie über Akutmaßnahmen hinaus weiterführende therapeutische Angebote bekommen können.

Was soll mit diesem Leitfaden erreicht werden und welche Punkte sind besonders zu betonen?
Der Leitfaden soll österreichweit zur Sensibilisierung beitragen und Ärzte dabei unterstützen, Gewalt anzusprechen. Wichtig wäre auch, dass Ärzte die im Adressteil genannten Schulungen in Anspruch nehmen. Die Dokumentationsbögen, die im Anhang und auf den Websites der Ärztekammer und des Wirtschaftsministeriums zum Download angeboten werden, sind ein gutes Instrument für richtiges Dokumentieren der Verletzungen und Krankheitsbilder. Entschließt sich eine Frau zu einer Anzeige, ist eine gute ärztliche Dokumentation ein gutes Beweismittel, das die Chancen im Prozess verbessert.

 

 

Tipp

Der Leitfaden ist unter http://www.bmwfj.gv.at abrufbar.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2010