Von der Belastung der Spitalsärzte ist in letzter Zeit immer öfter die Rede. Sie zeigt sich in Statistiken, sie lässt sich mit der steigenden Zahl von Patienten belegen, die betreut werden müssen, und sie wurde auch in einer Studie bestätigt, wonach Spitalsärzte durch ihre Nachtdienste in ihrer Gesundheit gefährdet sind.
Von Kurt Markaritzer
So wichtig all diese Informationen über den alltäglichen Stress im Spital sind – sie geben das wahre Bild nicht wieder. Wie es wirklich ist, unter welch unglaublicher Hochspannung Ärztinnen und Ärzte bei einem routinemäßigen Einsatz rund um die Uhr stehen, erkennt man noch viel eindringlicher an einem Gedächtnisprotokoll, das der Arzt Peter Steinhuber* erstellt hat, der seit vielen Jahren an der Radiologie in einem Peripheriekrankenhaus beschäftigt ist. Seine Aufzeichnung eines „ganz normalen“ 24-Stunden-Dienstes demonstriert mit unglaublicher Eindringlichkeit, was die Ärzteschaft im Krankenhaus leisten muss. Hier das Protokoll.
Wochentags, Arbeitsbeginn 7.30 Uhr.
Zuständigkeit für zwei MR-Geräte. Die RTAs warten schon, der Tag gehört geplant. Medizinisch dringende Untersuchungen werden vorgereiht, auch Patienten, bei denen Operationen geplant sind, haben natürlich Priorität. Dann beginnt die Routinearbeit: Diktieren von MR Untersuchungen, Telefonanrufe, Auskünfte über Befunde, Besprechungen von Untersuchungen mit den Klinikern.
Ab 16 Uhr beginne ich als einzig diensthabender Arzt.
Bereits kurz danach der erste Anruf: Patient mit Verdacht auf eine Lungenembolie. Klinisch heftige Atemnot, pathologische Blutgase … Nahezu gleichzeitig zwei Anrufe wegen Ultraschalluntersuchungen: ein Patient mit
Bauchschmerzen seit zwei Stunden und ein Patient mit Verdacht auf Appendicitis, der auch hohes Fieber hat.
16.25 Uhr.
In der Zwischenzeit ist die CT-Untersuchung beendet, die Bilder werden begutachtet, es handelt sich um eine leichte Pulmonalembolie, der Befund wird dem diensthabenden Internisten mitgeteilt.
16.30 Uhr.
Es kommt schon der Anruf, dass die beiden Patienten für den Ultraschall gebracht worden sind. Beim Pa tienten mit Bauchschmerzen Bild wie bei Enteritis, beim Patient mit Verdacht auf Appendicitis findet sich ein sechs Zentimeter großes Abszessareal in der Umgebung des Coecums, die Appendix ist nur mehr angedeutet abgrenzbar. Zur exakten Ausdehnung ist nun eine ergänzende Computertomographie notwendig. Mit dem Patienten wird über die Notwendigkeit der Untersuchung gesprochen, gemeinsam wird der Kontrastmittelaufklärungsbogen besprochen und ausgefüllt. Wieder der Griff zum Telefon, um dem Chirurgen den Befund mitzuteilen, der nun auch zur geplanten CT Untersuchung kommt.
17 Uhr.
Bestätigung des Ultraschallbefundes – das Abszessareal soll nun nach Befundbesprechung mit dem Chirurgen im Ultraschall drainiert werden. Nun gehört das notwenige Instrumentarium vorbereitet. Trotz guter Organisation ist im Dienst alles ein wenig mühsamer als im Routinebetrieb. Da ist es ziemlich angenehm, schon sehr routiniert zu sein und solch einen Eingriff schon oft gemacht zu haben. Wieder Aufklärung des Patienten über den Eingriff und mögliche Komplikationen. Der Patient will natürlich genau erfahren, was wir vorhaben, er sollte selbstverständlich auch wissen, was mit ihm geschieht. In der Zwischenzeit läutet schon wieder das Telefon: Zwei Schädel CT Untersuchungen bei Patienten nach Stürzen. Beide nehmen blutverdünnende Medikamente ein. Die Untersuchungen sind nicht ganz so dringend, die Drainage geht vor. Schnell die Telefonnummern notieren, wo die Patienten liegen, um sie später bestellen zu können.
Nachdem der Patient mit dem Abszess aufgeklärt ist und ich mich versichert habe, dass die Gerinnungswerte in Ordnung sind, erfolgt die Drainage. Alles
funktioniert schnell und problemlos, die Unterstützung durch die diensthabende
RTA hat super geklappt. Auch der Patient ist erleichtert, seine Schmerzen lassen
schnell nach. Wir kontrollieren im CT noch schnell die Drainage, ich diktiere den Befund und informiere den Turnusarzt auf der Chirurgischen Abteilung noch über die notwendigen Spülungen.
18 Uhr.
Nun gehören aber die bisherigen Untersuchungen diktiert, die Befunde erstellt. Kaum bei der Befundungskonsole angekommen, läutet wieder das Telefon: ein Patient mit Schmerzen und Verdacht auf Nierenkolik. Das kleine Konkrement ist im Ultraschall gut zu sehen, es liegt schon knapp vor der Harnblase.
18.15 Uhr.
Wieder ein Versuch, zu diktieren, auch die beiden Schädeluntersuchungen werden von der RTA bestellt. Das Telefon bleibt ruhig, es gelingt die vorangegangen Untersuchungen und die Schädel CT-Untersuchungen zu diktieren.
19 Uhr.
Hunger meldet sich, aber auf dem Weg zum Zimmer läutet das Telefon: ein Patient nach einem Sturz mit dem Fahrrad. Ultraschall und CT von Kopf, Gesicht und Halswirbelsäule. Noch bevor der Patient angekommen ist, schrillt wieder das Telefon: drei Patienten von der Neurologie, einer davon dringend. Der „Dringende“ wird gleich bestellt, die beiden anderen müssen ein wenig warten. Das Telefon läutet jetzt immer häufiger, die Zeit verfliegt förmlich, dringende Untersuchungen werden vorgezogen.
Auf einmal ist es 24 Uhr.
Es ist jetzt ruhiger geworden, ich habe alle Anforderungen erledigen können, bin sozusagen mit meiner Arbeit fertig. Auf das Abendessen hab ich ganz vergessen. Um schlafen zu gehen bin ich zu sehr aufgeputscht, aber eine Dusche wäre entspannend. Nachdem das Telefon weiter ruhig bleibt versuche ich doch, mich niederzulegen.
1 Uhr.
Ich bin gerade eingenickt, da läutet wieder das Telefon: Ein 50-jähriger Patient mit einem schweren Schlaganfall. Jetzt muss alles blitzartig gehen. Ein Stroke-MRT ist notwendig. Schnell die RTA anrufen – und schon ist man wieder hellwach und einsatzbereit. Nach 15 Minuten steht die Indikation für die Lyse, ein Einsatz, der Sinn macht. Kaum fertig diktiert, läutet wieder das Telefon: ein Polytraumapatient, schwerer Verkehrsunfall. Wieder ist volle Konzentration gefragt. Ultraschall und Ganzkörper-CT sind angefordert, mehrere diensthabende Fachärzte im Krankenhaus – Unfallchirurgen, Allgemeinchirurgen, Anästhesisten, Kieferchirurgen, Wirbelsäulenchirurgen, Augenfachärzte – sind jetzt informiert und hellwach. Der Patient hat eine Mittelgesichtsverletzung und einen Oberschenkelbruch. Nach der Stabilisierung und der Diagnostik geht‘s rasch in den OP – die Anästhesisten und Chirurgen sind nun gefordert – die Nacht ist für sie gelaufen.
4 Uhr.
Ich habe meine Untersuchungen diktiert und bin endlich fertig. Jetzt bin ich schon ganz schön müde und versuche, schlafen zu gehen. Aber, aufgeputscht wie ich bin, gelingt das länger nicht.
5.30 Uhr.
Als ich endlich schlafe läutet wieder das Telefon. Ein älterer Patient mit Schlaganfall. Nachdem die Hirnblutung im CT ausgeschlossen ist, brauche ich nun nicht mehr schlafen zu gehen, da ich sowieso nicht mehr einschlafen kann. Es war ein interessanter Dienst mit spannenden Fällen und trotz Müdigkeit ist es ein befriedigendes Gefühl, dass alles gut gelaufen ist.
*) Name von der Redaktion geändert
Nachgefragt ÖÄZ: Geht es eigentlich bei jedem Dienst so hektisch zu? Man hat den Eindruck, dass der Arzt kaum zum Durchatmen kommt. Wenn so viel zu tun ist: Wie organisiert man den Dienst am besten? Erleichtert die moderne Technik die Arbeit? Wie schafft man es, sich bei einer derartigen ständigen Irgendwann muss sich ein Arzt aber trotzdem erholen. Wenn Sie bei einer guten Fee einen Wunsch zu Ihren Diensten frei hätten, was würden Sie sich wünschen? |
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 /10.04.2010