Nachtdienst im Spital: Stress pur

10.04.2010 | Politik

Von der Belastung der Spitalsärzte ist in letzter Zeit immer öfter die Rede. Sie zeigt sich in Statistiken, sie lässt sich mit der steigenden Zahl von Patienten belegen, die betreut werden müssen, und sie wurde auch in einer Studie bestätigt, wonach Spitalsärzte durch ihre Nachtdienste in ihrer Gesundheit gefährdet sind.
Von Kurt Markaritzer

So wichtig all diese Informationen über den alltäglichen Stress im Spital sind – sie geben das wahre Bild nicht wieder. Wie es wirklich ist, unter welch unglaublicher Hochspannung Ärztinnen und Ärzte bei einem routinemäßigen Einsatz rund um die Uhr stehen, erkennt man noch viel eindringlicher an einem Gedächtnisprotokoll, das der Arzt Peter Steinhuber* erstellt hat, der seit vielen Jahren an der Radiologie in einem Peripheriekrankenhaus beschäftigt ist. Seine Aufzeichnung eines „ganz normalen“ 24-Stunden-Dienstes demonstriert mit unglaublicher Eindringlichkeit, was die Ärzteschaft im Krankenhaus leisten muss. Hier das Protokoll.

Wochentags, Arbeitsbeginn 7.30 Uhr.
Zuständigkeit für zwei MR-Geräte. Die RTAs warten schon, der Tag gehört geplant. Medizinisch dringende Untersuchungen werden vorgereiht, auch Patienten, bei denen Operationen geplant sind, haben natürlich Priorität. Dann beginnt die Routinearbeit: Diktieren von MR Untersuchungen, Telefonanrufe, Auskünfte über Befunde, Besprechungen von Untersuchungen mit den Klinikern.

Ab 16 Uhr beginne ich als einzig diensthabender Arzt.
Bereits kurz danach der erste Anruf: Patient mit Verdacht auf eine Lungenembolie. Klinisch heftige Atemnot, pathologische Blutgase … Nahezu gleichzeitig zwei Anrufe wegen Ultraschalluntersuchungen: ein Patient mit
Bauchschmerzen seit zwei Stunden und ein Patient mit Verdacht auf Appendicitis, der auch hohes Fieber hat.

16.25 Uhr.
In der Zwischenzeit ist die CT-Untersuchung beendet, die Bilder werden begutachtet, es handelt sich um eine leichte Pulmonalembolie, der Befund wird dem diensthabenden Internisten mitgeteilt.

16.30 Uhr.

Es kommt schon der Anruf, dass die beiden Patienten für den Ultraschall gebracht worden sind. Beim Patienten mit Bauchschmerzen Bild wie bei Enteritis, beim Patient mit Verdacht auf Appendicitis findet sich ein sechs Zentimeter großes Abszessareal in der Umgebung des Coecums, die Appendix ist nur mehr angedeutet abgrenzbar. Zur exakten Ausdehnung ist nun eine ergänzende Computertomographie notwendig. Mit dem Patienten wird über die Notwendigkeit der Untersuchung gesprochen, gemeinsam wird der Kontrastmittelaufklärungsbogen besprochen und ausgefüllt. Wieder der Griff zum Telefon, um dem Chirurgen den Befund mitzuteilen, der nun auch zur geplanten CT Untersuchung kommt.

17 Uhr.
Bestätigung des Ultraschallbefundes – das Abszessareal soll nun nach Befundbesprechung mit dem Chirurgen im Ultraschall drainiert werden. Nun gehört das notwenige Instrumentarium vorbereitet. Trotz guter Organisation ist im Dienst alles ein wenig mühsamer als im Routinebetrieb. Da ist es ziemlich angenehm, schon sehr routiniert zu sein und solch einen Eingriff schon oft gemacht zu haben. Wieder Aufklärung des Patienten über den Eingriff und mögliche Komplikationen. Der Patient will natürlich genau erfahren, was wir vorhaben, er sollte selbstverständlich auch wissen, was mit ihm geschieht. In der Zwischenzeit läutet schon wieder das Telefon: Zwei Schädel CT Untersuchungen bei Patienten nach Stürzen. Beide nehmen blutverdünnende Medikamente ein. Die Untersuchungen sind nicht ganz so dringend, die Drainage geht vor. Schnell die Telefonnummern notieren, wo die Patienten liegen, um sie später bestellen zu können.
Nachdem der Patient mit dem Abszess aufgeklärt ist und ich mich versichert habe, dass die Gerinnungswerte in Ordnung sind, erfolgt die Drainage. Alles
funktioniert schnell und problemlos, die Unterstützung durch die diensthabende
RTA hat super geklappt. Auch der Patient ist erleichtert, seine Schmerzen lassen
schnell nach. Wir kontrollieren im CT noch schnell die Drainage, ich diktiere den Befund und informiere den Turnusarzt auf der Chirurgischen Abteilung noch über die notwendigen Spülungen.

18 Uhr.
Nun gehören aber die bisherigen Untersuchungen diktiert, die Befunde erstellt. Kaum bei der Befundungskonsole angekommen, läutet wieder das Telefon: ein Patient mit Schmerzen und Verdacht auf Nierenkolik. Das kleine Konkrement ist im Ultraschall gut zu sehen, es liegt schon knapp vor der Harnblase.

18.15 Uhr.
Wieder ein Versuch, zu diktieren, auch die beiden Schädeluntersuchungen werden von der RTA bestellt. Das Telefon bleibt ruhig, es gelingt die vorangegangen Untersuchungen und die Schädel CT-Untersuchungen zu diktieren.

19 Uhr.
Hunger meldet sich, aber auf dem Weg zum Zimmer läutet das Telefon: ein Patient nach einem Sturz mit dem Fahrrad. Ultraschall und CT von Kopf, Gesicht und Halswirbelsäule. Noch bevor der Patient angekommen ist, schrillt wieder das Telefon: drei Patienten von der Neurologie, einer davon dringend. Der „Dringende“ wird gleich bestellt, die beiden anderen müssen ein wenig warten. Das Telefon läutet jetzt immer häufiger, die Zeit verfliegt förmlich, dringende Untersuchungen werden vorgezogen.

Auf einmal ist es 24 Uhr.
Es ist jetzt ruhiger geworden, ich habe alle Anforderungen erledigen können, bin sozusagen mit meiner Arbeit fertig. Auf das Abendessen hab ich ganz vergessen. Um schlafen zu gehen bin ich zu sehr aufgeputscht, aber eine Dusche wäre entspannend. Nachdem das Telefon weiter ruhig bleibt versuche ich doch, mich niederzulegen.

1 Uhr.
Ich bin gerade eingenickt, da läutet wieder das Telefon: Ein 50-jähriger Patient mit einem schweren Schlaganfall. Jetzt muss alles blitzartig gehen. Ein Stroke-MRT ist notwendig. Schnell die RTA anrufen – und schon ist man wieder hellwach und einsatzbereit. Nach 15 Minuten steht die Indikation für die Lyse, ein Einsatz, der Sinn macht. Kaum fertig diktiert, läutet wieder das Telefon: ein Polytraumapatient, schwerer Verkehrsunfall. Wieder ist volle Konzentration gefragt. Ultraschall und Ganzkörper-CT sind angefordert, mehrere diensthabende Fachärzte im Krankenhaus – Unfallchirurgen, Allgemeinchirurgen, Anästhesisten, Kieferchirurgen, Wirbelsäulenchirurgen, Augenfachärzte – sind jetzt informiert und hellwach. Der Patient hat eine Mittelgesichtsverletzung und einen Oberschenkelbruch. Nach der Stabilisierung und der Diagnostik geht‘s rasch in den OP – die Anästhesisten und Chirurgen sind nun gefordert – die Nacht ist für sie gelaufen.

4 Uhr.
Ich habe meine Untersuchungen diktiert und bin endlich fertig. Jetzt bin ich schon ganz schön müde und versuche, schlafen zu gehen. Aber, aufgeputscht wie ich bin, gelingt das länger nicht.

5.30 Uhr.
Als ich endlich schlafe läutet wieder das Telefon. Ein älterer Patient mit Schlaganfall. Nachdem die Hirnblutung im CT ausgeschlossen ist, brauche ich nun nicht mehr schlafen zu gehen, da ich sowieso nicht mehr einschlafen kann. Es war ein interessanter Dienst mit spannenden Fällen und trotz Müdigkeit ist es ein befriedigendes Gefühl, dass alles gut gelaufen ist. 


*) Name von der Redaktion geändert

Nachgefragt
Wie Dr. Peter Steinhuber damit umgeht, erklärt er in einem Gespräch mit Kurt Markaritzer.

ÖÄZ: Geht es eigentlich bei jedem Dienst so hektisch zu?
Steinhuber: Nun, der Tag, an dem ich diese Aufzeichnung gemacht habe, war sicherlich besonders stressig. Aber wesentlich ruhiger ist es sonst auch nicht.

Man hat den Eindruck, dass der Arzt kaum zum Durchatmen kommt.
Die Zeit vergeht bei viel Arbeit immer schnell, da bleibt oft gerade noch Zeit für einen kurzen Kaffee in der Mittagspause. Essen ist manchmal nicht mehr drinnen.

Wenn so viel zu tun ist: Wie organisiert man den Dienst am besten?
Ein solides Zeitmanagement ist unbedingt erforderlich. Das Prinzip: Wichtige Untersuchungen müssen zuerst gemacht werden, die anderen können zeitlich etwas nach hinten geschoben werden, effiziente Triage ist notwendig.

Erleichtert die moderne Technik die Arbeit?
Die Technik, die uns zur Verfügung steht, ermöglicht eine rasche und effiziente Diagnostik. Die Beurteilung der Untersuchungen ist durch die neuesten zur Verfügung stehenden Befundungskonsolen schneller und effizienter geworden. Ein Fortschritt für die Zuweiser ergibt sich durch die moderne Technik mit Spracherkennung. Sie macht es möglich, dass Befunde sofort vom Arzt fertig gestellt werden. Andererseits übernehmen wir dadurch auch teilweise den Job der Sekretariate.

Wie schafft man es, sich bei einer derartigen ständigen
Belastung selbst zu motivieren?

Die stärkste Motivation ist natürlich, dass mir mein Beruf
große Freude macht. Wenn man sieht, dass es den Patienten besser geht, dass alles gut gegangen ist, dass man ihnen helfen kann, dann baut sich so viel Freude auf, dass man den Stress vergisst. Die Verantwortung im Dienst ist auch erfüllend – man ist in seinem Fachgebiet alleine für das Krankenhaus zuständig.

Irgendwann muss sich ein Arzt aber trotzdem erholen.
Ganz klar. In dieser Hinsicht hat sich für uns die Situation
gegenüber früher gebessert. Noch vor kurzem haben wir nach dem Nachtdienst am nächsten Tag einfach weitergearbeitet, jetzt können wir nach dem Nachtdienst im Laufe des Vormittags nach Hause gehen. Nur: Die Entspannung stellt sich da nicht gleich ein, man spürt die Nachwirkung der Stressbelastung auch an diesem freien Tag, man schläft schlechter und merkt, dass man die Dienste nicht mehr so gut verkraftet, wenn man älter wird.

Wenn Sie bei einer guten Fee einen Wunsch zu Ihren Diensten frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
Ich würde sie um einen Assistenten oder eine Assistentin
bitten, die bei Routineangelegenheiten helfen und einspringen, so dass man in den Nachtstunden nicht wegen jeder Kleinigkeit die Ruhephasen unterbrechen muss. Außerdem ist endlich eine leistungsgerechte Honorierung der Nachtdienste notwendig!

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2010