Kommentar – Univ. Doz. Titus Gaudernak: Fehlerkultur in der Medizin

25.10.2010 | Politik

Der Umgang mit Fehlern im Krankenhaus ist vor allem dann, wenn dramatische Fehler passieren, ein medial mit großen Emotionen aufbereitetes Thema. Krankenhäusern und besonders Ärzten wird vorgeworfen, dass Fehler konsequent unter den Tisch gekehrt würden, es fehle in der Medizin ein Fehlermanagement und eine Fehlerkultur. Doch worin soll diese bestehen?

Unter Fehlermanagement werden Aktivitäten im Umgang mit Fehlern verstanden: das Erkennen von Fehlern, Dokumentieren und die methodische Aufarbeitung. Fehlerkultur meint hingegen die Art und Weise, wie eine Organisation mit Fehlern, Fehlerfolgen, den betroffenen Patienten und den „schuldhaften“ Verursachern umgeht.

Holger Pfaff, Medizinsoziologe aus Köln, versteht unter Fehlerkultur eine Kultur, in der Fehler akzeptiert und als Lernchance begriffen werden. Das Motto sollte lauten: „Jeder Fehler ist ein Schatz“. Eine Kultur, in der keine Fehler gemacht werden dürfen (Nullfehlerkultur), sei abzulehnen. Gottfried Endel vom Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger hat 2004 unter dem Eindruck internationaler Daten – umgelegt auf Österreich – im Jahr rund 245.000 Zwischenfälle und rund 2.900 bis 6.800 iatrogene Todefälle in österreichischen Krankenanstalten errechnet und Fehlermeldesysteme für Österreich gefordert.

In der Schweiz wurde bereits 1996 ein über Internet nutzbares Critical Incident Reporting System (CIRS) entwickelt, mit dem Ziel, auf anonymer Basis möglichst viele „Beinahefehler“ zu erfassen, um die Löcher im „Schweizerkäsemodell“ zu stopfen. Jede Käsescheibe ist ein Abwehrmechanismus, aber mit Löchern (latenten Fehlern).

CIRSMedical

Österreichweit haben Krankenhäuser und Kliniken begonnen, Fehlermeldesysteme unterschiedlicher Ausprägung einzusetzen – verbunden mit der Hoffnung, dass dies der Anfang für eine neue Fehlerkultur sein könnte. Im CIRSMedical (Stand 8.9.2010) sind bis jetzt allerdings nur insgesamt 88 Eintragungen bearbeitet worden, wobei knapp die Hälfte auf Ereignisse im Krankenhaus Bezug nehmen und 33 Prozent auf Ordinationen.

Meldesysteme sind wertvoll, solange nicht Fehlermanagement mit Fehlerkultur gleich gesetzt oder verwechselt wird. Die konkretesten Hinweise, wie eine Fehlerkultur in einer Organisationseinheit beispielsweise im Krankenhaus aufgebaut werden könnte, finden sich in der Broschüre „Wenn etwas schief geht“ (Stiftung für Patientensicherheit, Zürich). Diese schweizerische Übersetzung eines Konsensdokumentes der Harvard-Spitäler beinhaltet zum Teil für Österreich utopisch anmutende Empfehlungen, etwa wenn davon gesprochen wird, Ärzte und Pflegepersonen im Umgang mit ihren eigenen Gefühlen zu schulen! Jedenfalls ist das Papier eine klare Absage an das Nullfehlerkonzept.

Ärzte werden so ausgebildet, dass bei ihrer Tätigkeit keine Fehler passieren dürfen. Tatsächlich arbeiten Ärzte aber in einem Hochrisikobereich, und Fehler stehen auf der Tagesordnung. Da sie große Angst davor haben, Fehler zu machen, weil es zum Arzt-Bild gehört, keine Fehler zu begehen, herrscht nach wie vor eine Fehlerabwehr und Fehlervertuschungsstrategie. Dazu kommt die Zunahme an gerichtlichen Untersuchungen; Umstände, die das Vertuschen eher zu fördern scheinen.

Fehlersysteme als Organisationsmittel sind unerlässlich. Die bis jetzt vernachlässigte Kultur im Umgang mit Fehlern und der dazu notwendige Wertekonsens dürfen aber nicht auf der Strecke bleiben. Es gehört zum ärztlichen Berufsethos, Fehler einzugestehen und rasch zu korrigieren. Die Herausbildung gemeinsamer Werte und die Schaffung einer stressfreien Kultur des Vertrauens und der gegenseitigen Akzeptanz, in der auch der Turnusarzt den Oberarzt oder Abteilungsleiter auf einen Fehler aufmerksam machen darf, ohne dafür Sanktionen befürchten zu müssen, wird nicht von heute auf morgen zu lösen sein. Von einer interdisziplinären Tagung über „Fehlerkultur in der Medizin“ im November in Wien darf man dafür neue Impulse erwarten.

*) Univ. Doz. Dr. Titus Gaudernak ist Mitglied des Kuratoriums von IMABE – Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik, Wien.

Tipp:
Nähere Informationen und Anmeldung zur Tagung „Fehlerkultur in der Medizin“ am 19. und 20. November 2010 in Wien unter www.imabe.org.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2010