Kommentar – Dr. Jan Stejskal: Aids im Griff?

25.09.2010 | Politik

„Treatment is Prevention“, so lautete die Botschaft der 13. Welt-Aids-Konferenz, die im Juli in Wien stattfand. Der Präsident der Internationalen AIDS-Gesellschaft, Julio Montaner, betonte: „…HAART [highly active anti-retroviral therapy] is the best chance we have to control the epidemic“, und weiter: „We have a historic opportunity, in a few years we can eradicate AIDS from the surface of the planet.” Derart euphorische Ankündigungen machen – bei allem Verständnis für das Prinzip Hoffnung als Geldmotor – angesichts der bisherigen Fakten doch ein wenig stutzig. Steht die Wende in der Entwicklung der HIV-Epidemie nach wenigen partiellen Erfolgen nun vor der Tür? Haben wir dank HAART die Epidemie demnächst im Griff?

Eine neue evidenzbasierte Grundsatzdiskussion könnte bei HIV viel Positives bewirken, die Bereitschaft vorausgesetzt, manche Fehlentwicklungen in der Prävention der letzten beiden Jahrzehnte effizient korrigieren zu wollen. Durch eine falsch verstandene Kausalität und darauf aufgebaute Fehlinterpretation ist der Weg voran allerdings wesentlich erschwert. Darunter gehören unter anderem die vordringliche Betonung der Stigmatisierung und Diskriminierung. Sie spielen als Co-Faktoren bei der Ausbreitung der Epidemie zwar eine wichtige, jedoch nicht zentrale Rolle. Aids scheint nämlich ein epidemiologischer „Sonderfall“ zu sein: Es ist wohl die einzige bevölkerungsmedizinisch relevante, entscheidend von Verhaltensfaktoren beeinflusste Erkrankung, bei deren Prävention kaum auf Verhaltensänderung, sondern hauptsächlich auf Risikominimierung gesetzt wird – durch die Empfehlung von Kondomen. Der Aufruf zu einer grundlegenden Änderung des Sexualverhaltens, bei dem der Faktor Treue ein fester Bestandteil ist, wird dagegen als „moralisierend“ gebrandmarkt.

Dabei hat nach allen Untersuchungen die bisherige Präventionsstrategie nicht zur Senkung der HIV-Prävalenz beigetragen. Dagegen konnte die sogenannte ABC-Kampagne (be abstinent – be faithful – use a condom), die zentral auf Verhaltensänderung setzt, in Ländern wie Uganda in den 1990er Jahren überzeugende Erfolge feiern – mit einer Verringerung der HIV-Prävalenz in der Bevölkerung von 20 auf 6,7 Prozent in 15 Jahren.

Nun scheint der Bogen in eine andere Richtung überspannt, wenn ohne ausreichende Evidenz die HAART euphorisch als Mittel der Prävention und Kontrolle bei der HIV-Epidemie ausgegeben wird. Anhand der bisherigen Datenlage ist gesichert, dass HAART eine vertikale (von Mutter auf Kind) Übertragung effektiv unterbinden sowie eine Neuinfektion bei einem serodifferenten in einer festen Beziehung lebenden Paar verhindern kann. Studien berichteten über Mortalitätssenkung, Verbesserung der Lebensqualität sowie den Inzidenzrückgang. Inwieweit dadurch die globale Mortalitätsrate zurückgeht, wissen wir aber nicht. Eine Korrelation bedeutet noch nicht notwendigerweise einen Kausalzusammenhang, worauf auch der Schweizer Infektiologe Bernard Hirschel, Leiter des HIV/Aids Zentrums der Genfer Universitätsklinik, hingewiesen hat.

Einen allzu euphorischen Optimismus zu verbreiten, wäre derzeit unverantwortlich, insbesondere wenn man von Modellen ausgeht, die der Realität nicht entsprechen. So weiß in manchen afrikanischen Gegenden mehr als die Hälfte der Bevölkerung nichts von ihrem HIV-positiven Status; in Österreich sind es immerhin noch 30 Prozent! Die HAART-Therapie hat ihren Platz in der vertikalen Übertragung und dort, wo sie klinisch indiziert ist. Sie aber schon jetzt als Schlüssel der Prävention auszugeben, beruht derzeit noch auf Hypothesen.

Entscheidend ist: Auch wenn es Anhaltspunkte gibt, dass die antiretrovirale Therapie die Ausbreitung von HIV weltweit eindämmen kann, gilt dies nur, wenn gleichzeitig eine Änderung im Sexualverhalten einsetzt, in der zwei Dimensionen an Bedeutung gewinnen: treue Partnerschaft und die Stärkung der Rechte und Würde der Frau. Ohne diese Faktoren werden sich langfristig nur schwer Lösungen im Dienste der Betroffenen finden. Eine Erfolgsstrategie wird sich letztlich daran messen, ob sie ein ganzheitliches Präventionskonzept liefert, das an die Ursachen der Epidemie geht und sich nicht bloß auf Begleitmaßnahmen beschränkt.


*) Dr. Jan Stejskal ist Mitarbeiter am Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik – IMABE, Wien

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2010