Kommentar – Dr. Günther Wawrowsky: (K)eine Bagatelle?!

10.11.2010 | Politik

Die Zusammenarbeit von niedergelassenen Ärzten und Apothekern klappt hervorragend – jedenfalls vor Ort, also dort, wo beide auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen sind, damit der Patient optimal versorgt wird.

Womit ich aber wirklich ein Problem habe, das ist die Standesvertretung der Apotheker. Noch sind vielen von uns die mehr als proaktiven Kampagnen zur Blutzuckermessung und Cholesterinbestimmung in den Apotheken in Erinnerung, schon suchen sich die Standesvertreter wieder ein neues Betätigungsfeld. Diesmal in punkto Selbstmedikation: Die Apotheker orten hier – sollten noch mehr Medikamente ohne Rezept erhältlich sein – ein gewaltiges Einsparpotenzial. Laut dem Institut für pharmaökonomische Forschung könnten es jährlich rund 740 Millionen Euro sein, wenn OTC-Produkte für Bagatellerkrankungen nicht mehr von der Kasse erstattet werden. Es wäre sinnvoller, bei Bagatellerkrankungen den Apotheker zu kontaktieren – wird einer der führenden Funktionäre der Standesvertretung der Apotheker zitiert. Offensichtlich ist mir hier etwas entgangen: Nämlich, dass die Apotheker seit neuestem in ihrer Ausbildung auch Kompetenzen hinsichtlich der Anamnese und der Therapie haben. In der Ausbildung eines Arztes dauert es üblicherweise mindestens neun Jahre, bis er die entsprechenden Fähigkeiten aufweist.

Dass die Selbstmedikation bei geringsten Beschwerden heute schon gang und gäbe ist, weiß jeder, der auch nur annähernd den Alltag in einer ärztlichen Ordination kennt. Jeder, der schon einmal eine rinnende Nase gehabt hat – und das noch dazu in einer Zeit, in der halb Österreich darüber klagt – weiß in der Regel meist selbst ganz genau, was zu tun ist. Und es spricht auch nichts dagegen, dass sich der Betroffene in diesem Fall vom Apotheker diejenigen rezeptfreien Medikamente besorgt, die ihm vom Arzt in der gleichen Situation schon einmal empfohlen worden sind.

Schwierig wird es für mich spätestens dann, wenn länger dauernde Kopfschmerzen oder Beschwerden im Magen-Darm-Trakt auf eigene Faust mit tatkräftiger Unterstützung des Apothekers behandelt werden. Nur die Expertise des Arztes und seine langjährige Erfahrung gewährleisten eine fachlich richtige Vorgangsweise.

Wer meint, mit einer Steigerung der Selbstmedikation große Summen im Gesundheitssystem einsparen zu können, unterliegt einem gewaltigen Irrtum. Die wochen- oder monatelange Selbstbehandlung maskiert die ursprünglichen Symptome, verlängert die Zeit bis zur richtigen Diagnose und somit auch den Beginn einer effizienten Therapie. Im schlimmsten Fall kann die Ursache für die Beschwerden nicht mehr kausal, sondern nur noch symptomatisch behandelt werden.

Ein Aspekt aus den Berechnungen des Instituts für pharmaökonomische Forschung befasst sich mit den volkswirtschaftlichen Einsparungseffekten: Die sollen angeblich dadurch zustande kommen, dass es keine Produktionsverluste durch Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte sowie Krankenstände gibt. Ich muss es einmal mehr sagen: So sehen Berechnungen und vermeintliche Einsparungspotenziale von sogenannten Experten aus, die möglicherweise mit Zahlen umgehen können, die aber nicht die geringste Ahnung von Medizin und kranken Menschen haben.

Warum nicht gleich: Medikamente ab sofort rezeptfrei an allen Tankstellen.

*) Dr. Günther Wawrowsky ist Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte in der ÖÄK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2010